Stand: 30.01.2024, 17:26 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Haltung zeigen kann bedeuten, sich in manchen Punkten auch von denjenigen zu distanzieren, mit denen zusammen man für die Demokratie auf die Straße geht. Die Kolumne „Hebel meint“.

Seit Hunderttausende in Deutschland gegen den rechtsextremen Horror demonstrieren, hat ein schönes Wort Konjunktur: Haltung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von der „Süddeutschen Zeitung“ nach Ermutigendem gefragt, erinnert an ein Wort des ehemaligen israelischen Präsidenten Schimon Peres: „Pessimismus lähmt da, wo wir eigentlich Haltung, Mut und aktives Handeln brauchen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz sagt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Was ich in den letzten Tagen an Demonstrationen, an Haltung auf Deutschlands Straßen sehe, lässt mich hoffen.“ Der CDU-Politiker Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, fordert zum „Haltung zeigen“ auf, CSU-Chef Markus Söder lobt die Demonstrierenden, und selbst der Deutsche Fußballbund ist im Spiel: „Mit dieser Haltung solidarisieren wir uns als DFB. Denn es ist unsere Haltung“, schreibt Vizepräsidentin Celia Šašic. Dass Grüne und Linke mitdemonstrieren, versteht sich ohnehin von selbst.

Einreiseverbot gegen Martin Sellner?

Um das gleich klarzustellen: Es ist nicht nur zu begrüßen, sondern es war höchste Zeit, dass ein breites gesellschaftliches Spektrum sich gegen eine anschwellende Bewegung stellt, die statt gleicher Rechte für alle Menschen eine – um das historisch belastete Wort bewusst zu gebrauchen – Selektion anstrebt; eine Erteilung oder Nichterteilung von Rechten je nach Herkunft, Hautfarbe oder Konformität beziehungsweise Nicht-Konformität mit autoritär oktroyierten „Integrations“-Vorschriften. Das ist der Kern der „Remigrations“-Fantasien, die keineswegs neu sind, aber durch das Potsdamer Treffen der Rechtsextremen endlich Aufmerksamkeit gefunden haben.

Also ja, es ist ein Glück, dass diese Bedrohung jetzt Hunderttausende auf die Straßen treibt, ungeachtet politischer Unterschiede. Und doch steckt in dieser Gemeinsamkeit eine Ambivalenz, die in der Begeisterung nicht untergehen sollte: Ja, der Widerstand gegen manifest antidemokratische Kräfte bedarf der vielbeschworenen „Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten“. Aber die Frage, wo diese Gemeinsamkeit im politischen Alltag ihre Grenzen hat, ja: wo Demokratinnen und Demokraten selbst die Demokratie gefährden – die darf bei alldem nicht untergehen. Was ist damit gemeint?

Bei der großen Frankfurter Demonstration gegen rechts war ein Pappschild zu sehen, auf dem geschrieben stand: „Respect Existence or expect Resistance“. Das Spiel mit dem Buchstabentausch funktioniert im Deutschen nicht so schön, aber die Botschaft ist klar: Wer das Existenzrecht (und damit die Menschenrechte) nicht für alle respektiert, sollte sich auf gesellschaftlichen Widerstand einstellen.

Da kam die unangenehme Frage auf: Erfüllen diesen Anspruch auch diejenigen, die bei der Kundgebung neben uns stehen? Gehört der Frankfurter Oberbürgermeister, der eine sehr schöne Rede hielt, nicht derselben SPD an wie Olaf Scholz und Nancy Faeser? Also derjenigen Partei, unter deren Führung den Leuten weisgemacht wird, mit teils menschenrechtsverachtenden Methoden von Abschottung und Abschiebung sei der globalen Tragödie millionenfacher Flucht zu begegnen?

Oder: Wozu fühlt sich ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz durch die Demos „ermutigt“, der sich in Anbiederung an die AfD-Klientel nicht erst einmal des rassistischen Untertons bedient hat („kleine Paschas“)? Wie passt die Teilnahme des FDP-Vorsitzenden an einer Demo zu Äußerungen „seiner“ Bundestagsabgeordneten Katja Adler, die auf „X“ in täuschender Ähnlichkeit zum AfD-Sound schrieb: „Nun wird #Demokratie in einer definitorischen Übergriffigkeit von Links-Grünen vereinnahmt, dass einem ganz schwindelig werden könnte… jedenfalls auch…“. Auf Deutsch: Wer von Demokratie ein anderes Verständnis hat als die FDP, ist links-grüner Übergriffigkeit überführt.

Noch etwas kommt erschwerend hinzu: Auch manche, die sich einst als Linke begriffen hätten, zeigen ein erschreckendes Verhältnis zum Kampf gegen rechts. Sahra Wagenknecht, in der ARD befragt, verhöhnte geradezu den Kampf gegen die AfD: „Es gibt in dieser Partei Nazis, das ist richtig. Aber natürlich ist trotzdem nicht Frau Weidel ein Nazi. (…) Wir helfen der AfD durch diese unsachliche Hysterie.“ Und auf dem Internet-Portal „Nachdenkseiten“, einem Lieblingsort der Wagenknecht-Klientel, fand Herausgeber Albrecht Müller das Potsdamer Rechten-Treffen zwar immerhin „übel“, redete es aber so klein, wie es nur geht: „Da wird eine (üble) Mücke zum Elefanten hochstilisiert.“ Immerhin: Die Wagenknecht-Leute demonstrieren ehrlicherweise erst gar nicht mit, Frau Adler von der FDP wahrscheinlich auch nicht.

Nun könnte jemand meinen, all diese Hinweise dienten einer Absage an die breite Aufstellung der Demonstrationen gegen rechts. Nein, das tun sie nicht! Wer Demokratie will, muss samstags gemeinsam mit allen, die dazu bereit sind, auf die Straße gehen. Von Montag bis Freitag aber muss er oder sie bereit sein, auch denjenigen, die am Samstag mitdemonstriert haben, Widerstand zu leisten, wenn sie selbst die allgemeine Gültigkeit der Menschenrechte infrage stellen. Beispielsweise, aber nicht nur mit ihrer Migrationspolitik.

Das ist sie, die Ambivalenz, die aushalten muss, wer die Demokratie gegen ihre schlimmsten Feinde verteidigen und zugleich den Zustand, in dem sie sich befindet, nicht unwidersprochen hinnehmen will.

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

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Nur kurz sei am Ende erwähnt: Es ist nicht die einzige Ambivalenz, die sich auftut, wenn man die Universalität der Menschenrechte verteidigt. Wir müssen es aushalten, die Forderungen der Lokführer für nachvollziehbar zu halten und dennoch Claus Weselsky als berufsständischen Ego-Shooter mit CDU-Parteibuch zu erkennen. Wir müssen es ertragen, den Terror der Hamas uneingeschränkt zu verurteilen und zugleich die Legitimität des israelischen Vorgehens infrage zu stellen, ohne uns in polarisierten Entweder-oder-Positionen zu verschanzen. Wir müssen die verbrecherische Aggression Russlands gegen die Ukraine beim Namen nennen, ohne die kritische Distanz zu den Reaktionen der westlichen Allianz zu verlieren.

Es mag schwer sein, all diese Ambivalenzen auszuhalten. Aber andererseits: Wenn wir „Haltung“ nicht mit dem Verharren in unkritischer Gefolgschaft für die eine oder andere Extremposition verstehen, sondern als Beharren auf universeller Gültigkeit grundlegender Rechte – dann weitet sich der Blick auf die Krisen und Konflikte der Gegenwart in einer Weise, die befreiend wirken kann.

Von den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine hören wir täglich. Aber auch wenn es wehtut: Wer die Welt verstehen will, um sie zu verändern, muss die Perspektive weiten: Mehr als 200 gewaltsame Konflikte hat das Heidelberg Institute for International Conflict Research gezählt.

Ein Beispiel: Zum Jahresanfang 2024 veröffentlichten mehrere Organisationen einen offenen Brief an die Bundesregierung zu den türkischen Angriffen im Norden und Osten Syriens. Zu den Unterzeichnenden gehören unter vielen anderen der Verein Armut und Gesundheit, Terre des Femmes und Medico international. Sie zitieren eine Jahresbilanz der oppositionellen „Syrischen Demokratischen Kräfte“, „wonach die Türkei 2023 den Nordosten Syriens 798-mal angegriffen hat, davon in 103 Fällen mit Kampfjets und Drohnen“. Und sie fordern eine klare Verurteilung durch die Bundesregierung.

In dem Gebiet hat sich eine demokratische Selbstverwaltung etabliert. Von der Türkei wird sie wegen angeblicher Mitverantwortung für kurdische Gewalttaten attackiert, mit denen sie nach Angaben der deutschen Unterstützer:innen nichts zu tun hat.

Es ist eine traurige Tatsache, dass eine deutsche Regierung dazu kaum etwas zu sagen hat, aus offensichtlicher Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei. Es macht aber Mut, dass es engagierte Menschen gibt, die uns immer wieder an den Kampf um Alternativen zu Autoritarismus und Gewalt erinnern.

QOSHE - Protest gegen Rechtsextreme: Grenzen der Gemeinsamkeit - Stephan Hebel
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Protest gegen Rechtsextreme: Grenzen der Gemeinsamkeit

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01.02.2024

Stand: 30.01.2024, 17:26 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Haltung zeigen kann bedeuten, sich in manchen Punkten auch von denjenigen zu distanzieren, mit denen zusammen man für die Demokratie auf die Straße geht. Die Kolumne „Hebel meint“.

Seit Hunderttausende in Deutschland gegen den rechtsextremen Horror demonstrieren, hat ein schönes Wort Konjunktur: Haltung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von der „Süddeutschen Zeitung“ nach Ermutigendem gefragt, erinnert an ein Wort des ehemaligen israelischen Präsidenten Schimon Peres: „Pessimismus lähmt da, wo wir eigentlich Haltung, Mut und aktives Handeln brauchen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz sagt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Was ich in den letzten Tagen an Demonstrationen, an Haltung auf Deutschlands Straßen sehe, lässt mich hoffen.“ Der CDU-Politiker Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, fordert zum „Haltung zeigen“ auf, CSU-Chef Markus Söder lobt die Demonstrierenden, und selbst der Deutsche Fußballbund ist im Spiel: „Mit dieser Haltung solidarisieren wir uns als DFB. Denn es ist unsere Haltung“, schreibt Vizepräsidentin Celia Šašic. Dass Grüne und Linke mitdemonstrieren, versteht sich ohnehin von selbst.

Einreiseverbot gegen Martin Sellner?

Um das gleich klarzustellen: Es ist nicht nur zu begrüßen, sondern es war höchste Zeit, dass ein breites gesellschaftliches Spektrum sich gegen eine anschwellende Bewegung stellt, die statt gleicher Rechte für alle Menschen eine – um das historisch belastete Wort bewusst zu gebrauchen – Selektion anstrebt; eine Erteilung oder Nichterteilung von Rechten je nach Herkunft, Hautfarbe oder Konformität beziehungsweise Nicht-Konformität mit autoritär oktroyierten „Integrations“-Vorschriften. Das ist der Kern der „Remigrations“-Fantasien, die keineswegs neu sind, aber durch das Potsdamer Treffen der Rechtsextremen endlich Aufmerksamkeit gefunden haben.

Also ja, es ist ein Glück, dass diese Bedrohung jetzt Hunderttausende auf die Straßen treibt, ungeachtet politischer Unterschiede. Und doch steckt in dieser Gemeinsamkeit eine........

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