Stand: 23.04.2024, 16:09 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Zum Thema Arbeitszeitverkürzung gibt es viele gute Ideen. Wer aber eine sozial-ökologische Transformation anstrebt, muss auch Reichtum umverteilen.

Eine Woche noch, dann schreiben wir den 1. Mai, bis heute als „Tag der Arbeit“ oder „Kampftag der Arbeiterklasse“ bekannt. Traditionell ging der malochende Teil der Industriegesellschaft auf die Straße, um für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren, und bis heute rufen die Gewerkschaften jedes Jahr zu Kundgebungen auf. Die Tradition hat irgendwie überlebt, auch wenn Parks und Grillplätze in diesem Jahr wieder deutlich mehr Zulauf haben werden.

Den Nichtdemonstrierenden wird niemand verübeln, dass sie ihre Freizeit lieber zur Entspannung und Erholung nutzen, sie ist knapp genug bemessen. Aber gerade deshalb sollten sie mal auf eine Forderung der Gewerkschaften schauen, die zwar nicht neu ist, aber in den aktuellen Debatten über „gute Arbeit“ immer mehr an Bedeutung gewinnt: Arbeitszeitverkürzung. Sie ist längst (wieder) zu einem zentralen Element arbeitspolitischer Kämpfe geworden, der Maiaufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes trägt die Freizeit sogar im Titel: „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“.

Die Forderung nach 35-, 32- oder gar 28-Stunden-Wochen – möglichst ohne Einbußen beim Lohn – könnte sich in naher Zukunft als Schlüsselelement der Verteilungskämpfe zwischen Kapital und Arbeit erweisen. Sicher auch deshalb, weil viele Menschen sich mehr Zeit zum Grillen und Chillen wünschen. Aber nicht nur das: Es geht um das Verhältnis zwischen Erwerbs- und unbezahlter Sorgearbeit, also etwa Kinderbetreuung oder Pflege. Es geht aber auch, noch grundsätzlicher, um die Frage nach dem Wirtschaftssystem der Zukunft.

Zur Debatte steht die Frage, ob wir als Gesamtgesellschaft diese Zukunft als Fortsetzung der Industrie- und Wachstumsökonomie denken, wenn auch angetrieben von klimaverträglicheren Energien. Oder ob wir eine sozial-ökologische Transformation anstreben, die zwar weder ohne Industrie noch ohne Wachstum in einzelnen Sektoren auskommt, aber die ökonomischen Strukturen konsequent von ökologischer und sozialer Verträglichkeit her denkt.

Wer Letzteres will – weniger die etablierten Parteien, aber doch viele kluge Köpfe in der Zivilgesellschaft machen sich darüber Gedanken –, kommt an einer Erkenntnis nicht vorbei: Sozial-ökologische Transformation ist ohne die Umverteilung von Reichtum nicht denkbar. Wo es künftig weniger zu arbeiten gibt – etwa in der Auto- oder Stahlindustrie –, kann Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein Weg sein: Gewinne, etwa durch zunehmende Produktivität, würden zwischen Kapitalbesitzenden und Arbeitskräften gerechter verteilt. Und wo künftig mehr Personal gebraucht wird – etwa in der Pflege –, wären verträglichere Arbeitszeiten ohne Einkommensverlust womöglich der einzige Weg, das notwendige Personal zu gewinnen.

Schon an diesen Beispielen wird deutlich, dass hinter der Arbeitszeitfrage der Systemkonflikt um die Verteilung des durch Arbeit erwirtschafteten Reichtums liegt. Deshalb verwundert es nicht, dass das bisher übermächtige Anti-Transformations-Lager bereits heftig widerspricht: „Wenn wir unseren Wohlstand in diesem Land erhalten wollen, müssten wir alle mehr arbeiten, aber auf jeden Fall nicht weniger“, sagt beispielsweise Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes BDA. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck, offiziell immer noch Mitglied einer „grün“ genannten Partei, outete sich während des Tarifkonflikts bei der Deutschen Bahn als Gesinnungsgenosse des Arbeitgeber-Präsidenten: „Jedenfalls wird ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben. Und das können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten.“

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

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Es stimmt: Wer die Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts lediglich grün einfärben will, hat manche Argumente auf seiner Seite, vor allem den vielbeschworenen Fachkräftemangel. Aber steckt nicht auch darin ein Denken in alten Kategorien? Wird da nicht die Frage unterschlagen, wie viel Arbeit wir wofür in einer sozial-ökologischen Wirtschaft bräuchten? Und, Stichwort Pflege: Auch gute Löhne und Arbeitsbedingungen könnten schließlich ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein.

Der Tarifstreit bei der Deutschen Bahn dürfte nur ein kleiner Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen gewesen sein. Die am Ende vereinbarte Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, verteilt auf vier Stufen von 2026 bis 2029, war womöglich wirklich ein historischer Erfolg, da trafen die lauten Töne des Gewerkschaftschefs Claus Weselsky einmal zu. Und weil die Verkürzung mit einer Wahlfreiheit verbunden ist (weniger Arbeit oder mehr Geld), liefert der Abschluss die Möglichkeit belastbarer Erkenntnisse über die Wünsche der Beschäftigten gleich mit.

Was bei der Bahn vereinbart wurde, ist längst nicht mehr der einzige Erfolg der Bewegung für kürzere Arbeitszeiten. Die IG Metall hat schon vor Jahren eine „verkürzte Vollzeit“ für besonders belastete Beschäftigte durchgesetzt, und auch sonst spielt das Thema in Tarifauseinandersetzungen immer öfter eine Rolle. Die Metallgewerkschaft zum Beispiel beteiligt sich derzeit an einem Modellversuch mit 45 Unternehmen, bei dem die Vier-Tage-Woche getestet wird. Wo das bereits probiert wurde (etwa in Irland und den USA), waren sogar die Unternehmen zufrieden, weil Einbußen bei Produktivität und sogar bei Gewinnen ausblieben, eher im Gegenteil, während sich die Zufriedenheit und auch die Gesundheit der Beschäftigten verbesserte.

Das alles ist noch immer weit entfernt von einer allgemeinen 28-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, wie sie zum Beispiel das „Konzeptwerk Neue Ökonomie“, ein alternativer „Thinktank“ für Wirtschaftswissenschaften, fordert. Aber eine Tendenz ist zu erkennen, das Bedürfnis vieler Menschen nach mehr freier Zeit steht außer Frage: Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab 2023, dass 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten gerne auf eine Vier-Tage-Woche umsteigen würden – die meisten allerdings nur bei vollem Lohnausgleich.

Das wissen die Unternehmensverbände und ihre Interessenvertretungen in der Parteipolitik natürlich auch. So erklärt sich vielleicht der Furor, mit dem sie Tarifkämpfe wie den bei der Bahn zu delegitimieren versuchen – bis hin zu der Forderung, das Streikrecht gesetzlich einzuschränken. Besser lässt sich kaum belegen, dass der Kampf um Arbeitszeitverkürzung zum zentralen Konfliktfeld um die Zukunft der Wirtschaft werden könnte.

Es ist nicht leicht zu entscheiden, welcher Streitpunkt der Ampelkoalition gerade eine nähere Beschäftigung verdient. Haushalt? Verkehrspolitik? Oder doch die Kindergrundsicherung?

Die Wahl fällt diesmal auf Letztere. Sie stellt den Versuch dar, staatliche Leistungen für die Jüngsten wenn schon nicht dem Bedarf anzupassen, so doch wenigstens leichter zugänglich zu machen. Und dahinter steckt wiederum etwas sehr Grundsätzliches. Die Botschaft: Wo Hilfe nötig ist, wird geholfen, auch ohne dass die Betroffenen per Antrag darum bitten müssen. Das baut übrigens, um ein bei der FDP beliebtes Thema aufzugreifen, Bürokratie ab – allerdings auf den Küchentischen überforderter Antragstellender.

Es kann sein, dass der Sozialstaat Menschen einstellen muss, um diesen Service gewährleisten zu können. Das soll er so sparsam wie möglich tun. Aber fast ausschließlich über die Personalkosten zu streiten, statt sich den Sozialstaat, der den Menschen dient, das Notwendige kosten zu lassen – das ist kollektiver Zynismus, ideologisch inszeniert von der FDP, die das Ganze eigentlich nicht will.

Lisa Paus, die grüne Sozialministerin, hat sich jetzt dieser Logik gebeugt und ist kleinlaut von der vorläufigen Schätzung (5000 zusätzliche Stellen) abgerückt. Warum hat sie das getan? Weil sie die Machtverhältnisse kennt und akzeptiert – in der Ampelkoalition und leider nicht nur dort.

QOSHE - Wie viel Arbeit wollen wir? - Stephan Hebel
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Wie viel Arbeit wollen wir?

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23.04.2024

Stand: 23.04.2024, 16:09 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Zum Thema Arbeitszeitverkürzung gibt es viele gute Ideen. Wer aber eine sozial-ökologische Transformation anstrebt, muss auch Reichtum umverteilen.

Eine Woche noch, dann schreiben wir den 1. Mai, bis heute als „Tag der Arbeit“ oder „Kampftag der Arbeiterklasse“ bekannt. Traditionell ging der malochende Teil der Industriegesellschaft auf die Straße, um für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren, und bis heute rufen die Gewerkschaften jedes Jahr zu Kundgebungen auf. Die Tradition hat irgendwie überlebt, auch wenn Parks und Grillplätze in diesem Jahr wieder deutlich mehr Zulauf haben werden.

Den Nichtdemonstrierenden wird niemand verübeln, dass sie ihre Freizeit lieber zur Entspannung und Erholung nutzen, sie ist knapp genug bemessen. Aber gerade deshalb sollten sie mal auf eine Forderung der Gewerkschaften schauen, die zwar nicht neu ist, aber in den aktuellen Debatten über „gute Arbeit“ immer mehr an Bedeutung gewinnt: Arbeitszeitverkürzung. Sie ist längst (wieder) zu einem zentralen Element arbeitspolitischer Kämpfe geworden, der Maiaufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes trägt die Freizeit sogar im Titel: „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“.

Die Forderung nach 35-, 32- oder gar 28-Stunden-Wochen – möglichst ohne Einbußen beim Lohn – könnte sich in naher Zukunft als Schlüsselelement der Verteilungskämpfe zwischen Kapital und Arbeit erweisen. Sicher auch deshalb, weil viele Menschen sich mehr Zeit zum Grillen und Chillen wünschen. Aber nicht nur das: Es geht um das Verhältnis zwischen Erwerbs- und unbezahlter Sorgearbeit, also etwa Kinderbetreuung oder Pflege. Es geht aber auch, noch grundsätzlicher, um die Frage nach dem Wirtschaftssystem der Zukunft.

Zur Debatte steht die Frage, ob wir als Gesamtgesellschaft diese Zukunft als Fortsetzung der Industrie- und Wachstumsökonomie denken, wenn auch angetrieben von klimaverträglicheren Energien. Oder ob wir eine sozial-ökologische Transformation anstreben, die zwar weder ohne Industrie noch ohne Wachstum in........

© Frankfurter Rundschau


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