Kiew. Es sind dramatische Nachrichten, die aus der Ukraine um die Welt gehen. In immer höherer Frequenz attackiert die russische Luftwaffe die Städte des Nachbarlandes. Nacht für Nacht versetzen Raketen, Drohnen, Marschflugkörper und Gleitbomben die Menschen in Angst und Schrecken. Die Energieinfrastruktur ist in weiten Teilen zerstört, die Zahl der zivilen Opfer steigt.

Gleichzeitig wird an der Front die russische Überlegenheit immer drückender. Fast 500.000 Soldaten soll Kriegsherr Waldimir Putin derzeit in der Ukraine einsetzen, fast zweieinhalb Mal so viele wie beim Einmarsch vor zwei Jahren. 150.000 Wehrdienstleistende wurden gerade erst einberufen. Und angeblich plant der Kreml-Herrscher die Mobilisierung Hunderttausender Reservisten.

Mit massiven Luftangriffen hat Russland zuletzt viele ukrainische Kraftwerke in der Ukraine ausgeschaltet. In dieser schwierigen Lage kommt Habeck zu Besuch.

Quelle: dpa

Das größte Problem aber ist die fehlende Munition. Mindestens sechs Mal so viele Artilleriegranaten wie die ukrainischen Verteidiger sollen die Aggressoren inzwischen verschießen. Angesichts der ungleichen Feuerkraft bleibt den Verteidigern immer häufiger nur der geordnete Rückzug. Die Erkenntnis ist bitter: Russland hat das Blatt im Ukraine-Krieg zu seinen Gunsten gewendet.

Das ist weder Zufall noch Fügung – und es kommt nicht einmal unerwartet. Während Russland in den vergangenen zwei Jahren seine Industriebetriebe konsequent auf die Produktion kriegswichtiger Güter umgestellt hat, sind die westlichen Unterstützter und auch Deutschland weit hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Zwar ist es wahr, dass die Ukraine ohne die Waffen- und Finanzhilfe aus den USA und Europa längst geschlagen wäre. Gleichzeitig gilt aber auch, dass all diese Lieferungen nicht ausreichen. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben – auf diese Formel lässt sich die westliche Hilfe bringen.

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Der Misserfolg hat viele Mütter und Väter. Die Republikaner im US-Kongress, die das für Kiew fast schon überlebenswichtige Hilfspaket seit Monaten blockieren. Die EU, die immer wieder fulminante Versprechen macht, von denen bislang kaum eines eingelöst wurde. Der französische Präsident, der seiner großspurigen Rhetorik nur mickrige Taten folgen lässt. Oder der deutsche Bundeskanzler, der zwar nominell zu den größten Unterstützern Kiews zählt, aber noch immer den Eindruck vermittelt, als agiere er nur mit halber Kraft.

Man kann trefflich streiten, wer den größten Teil der Verantwortung für die Misere trägt. Allein, es nützt der Ukraine nichts. Was der Ukraine nützt, sind Waffen, Waffen, Waffen. Und Munition.

Die Entscheidung Berlins, jetzt eine weiteres Patriot-System zur Flugabwehr zu liefern, ist ein wichtiger Schritt – und gleichzeitig kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Nur wenn andere Staaten nachziehen, wird die Lieferung einen Effekt haben.

Es ist das vielleicht größte Dilemma dieses Krieges: Angesichts eines zu allem entschlossenen Russlands, ist das, was Westen an Unterstützung liefern kann und will, zu wenig. Dabei hätte schon Deutschland allein die finanzielle und industrielle Kraft, die Ukraine so auszurüsten, dass sie Russland auf Dauer die Stirn bieten könnte. Würden auch noch die EU und die USA ihre Wirtschaftskraft entschlossen einsetzen, hätte Moskau keine Chance.

Dafür allerdings müsste man in Washington, Brüssel, Paris und Berlin endlich begreifen, dass in der Ukraine nicht nur die Selbstbestimmung eines Volkes und die Glaubwürdigkeit des Westens auf dem Spiel stehen, sondern die Sicherheitsarchitektur Europas in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Ein faschistisches, imperialistisches und damit auch noch erfolgreiches Russland wäre eine weit größere Bedrohung für die europäische Sicherheit als es die kommunistische Sowjetunion je war.

Das zu verhindern, sollte uns einiges wert sein. Mehr, als wir derzeit zu geben bereit sind.

QOSHE - Wenn die Ukraine verliert, haben Deutschland und der Westen versagt - Andreas Niesmann
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Wenn die Ukraine verliert, haben Deutschland und der Westen versagt

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18.04.2024

Kiew. Es sind dramatische Nachrichten, die aus der Ukraine um die Welt gehen. In immer höherer Frequenz attackiert die russische Luftwaffe die Städte des Nachbarlandes. Nacht für Nacht versetzen Raketen, Drohnen, Marschflugkörper und Gleitbomben die Menschen in Angst und Schrecken. Die Energieinfrastruktur ist in weiten Teilen zerstört, die Zahl der zivilen Opfer steigt.

Gleichzeitig wird an der Front die russische Überlegenheit immer drückender. Fast 500.000 Soldaten soll Kriegsherr Waldimir Putin derzeit in der Ukraine einsetzen, fast zweieinhalb Mal so viele wie beim Einmarsch vor zwei Jahren. 150.000 Wehrdienstleistende wurden gerade erst einberufen. Und angeblich plant der Kreml-Herrscher die Mobilisierung Hunderttausender Reservisten.

Mit massiven Luftangriffen hat Russland zuletzt viele ukrainische Kraftwerke in der Ukraine ausgeschaltet. In dieser schwierigen Lage kommt Habeck zu Besuch.

Quelle: dpa

Das größte Problem aber ist die fehlende Munition.........

© HAZ


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