Berlin. Hat Israel einen Vergeltungsschlag gegen den Iran ausgeführt und dabei Zurückhaltung geübt? US-Medienberichte deuten zumindest darauf hin. Israelische Zurückhaltung wäre im Trommelfeuer der schlechten Nachrichten aus dem Nahen Osten in den vergangenen Wochen zumindest ein kleiner Lichtblick. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt, weiterhin droht ein Flächenbrand, der Folgen weit über die Krisenregion hinaus haben könnte. Die in der G7-Gruppe zusammengeschlossenen großen Industriestaaten – zu denen unter anderem die USA und Deutschland gehören – haben zum Abschluss ihres Außenministertreffens auf Capri noch einmal vor einer Ausweitung des Konflikts gewarnt. Und sie haben ausdrücklich alle Seiten aufgefordert, eine Eskalation zu vermeiden.

Der direkte Konflikt zwischen Israel und dem Iran hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt. Erst hat Israel zu Monatsbeginn den Komplex der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus angegriffen, 13 Menschen wurden getötet. Die „New York Times“ berichtet nun unter Berufung auf mehrere US- und einen israelischen Regierungsmitarbeiter, die israelische Seite habe sich verkalkuliert, weil sie die Reaktion Teherans unterschätzt habe. Der Iran schlug am vergangenen Wochenende mit einem präzedenzlosen Angriff zurück, Israel konnte aber fast alle der mehr als 300 iranischen Drohnen und Raketen abfangen. Nun scheint wiederum Israel zurückgeschlagen zu haben – aber mit Augenmaß, wenn die unbestätigten Berichte zutreffen.

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Wenn sich die Vernunft durchsetzt, könnten damit alle Konfliktparteien das Gesicht wahren: Der Iran könnte für sich in Anspruch nehmen, den Angriff in Damaskus gerächt zu haben. Israel könnte als Erfolg verkaufen, den iranischen Luftangriff abgewehrt zu haben und nun zumindest symbolisch reagiert zu haben. Doch ob sich die Vernunft im Nahen Osten durchsetzt und ein Weiterdrehen der Eskalationsspirale vermieden werden kann, ist alles andere als gewiss. Die USA und Deutschland sollten daher beim Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht nachlassen. Beim Iran reicht das nicht.

Das Regime in Teheran destabilisiert den gesamten Nahen Osten. Im Gazastreifen unterstützt es die Hamas, die am 7. Oktober das Blutbad in Israel angerichtet hat, im Libanon die Hisbollah-Miliz, im Jemen die Huthis – die Liste ließe sich fortsetzen. Dass der Iran bald über eine Atombombe verfügen könnte, muss weltweit für Unruhe sorgen. Dass Teheran nicht nur Drohnen für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine liefert, sondern sich generell immer weiter an Moskau annähert, sollte im Westen alle Alarmglocken schrillen lassen. Die Europäische Union, deren Iran-Politik seit Jahren eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche ist, sollte den Mix daher deutlich ändern. Im Klartext heißt das: Sie sollte die Sanktionen gegen Teheran deutlich verschärfen.

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Die Eskalation zwischen dem Iran und Israel hat die Aufmerksamkeit weggelenkt vom Gazakrieg, über den es einem israelischen Medienbericht zufolge beim jüngsten Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zum offenen Streit mit Netanjahu kam. Das Auswärtige Amt wies den Bericht zwar „in zentralen Punkten“ zurück. Kein Geheimnis ist aber, dass die Bundesregierung mit Netanjahu wegen des harten israelischen Vorgehens zunehmend über Kreuz liegt. Baerbocks Einfluss bei Netanjahu mag begrenzt sein. Dennoch ist es richtig, dass sie sich für die notleidenden Zivilisten im Gazastreifen einsetzt. Einen weiteren richtigen Beschluss hat die EU am Freitag gefasst: Sie verhängt erstmals Sanktionen wegen der Gewalt radikaler israelischer Siedler gegen Palästinenser im besetzten Westjordanland – ein überfälliger Schritt.

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Kann eine Eskalation im Nahen Osten vermieden werden?

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19.04.2024

Berlin. Hat Israel einen Vergeltungsschlag gegen den Iran ausgeführt und dabei Zurückhaltung geübt? US-Medienberichte deuten zumindest darauf hin. Israelische Zurückhaltung wäre im Trommelfeuer der schlechten Nachrichten aus dem Nahen Osten in den vergangenen Wochen zumindest ein kleiner Lichtblick. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt, weiterhin droht ein Flächenbrand, der Folgen weit über die Krisenregion hinaus haben könnte. Die in der G7-Gruppe zusammengeschlossenen großen Industriestaaten – zu denen unter anderem die USA und Deutschland gehören – haben zum Abschluss ihres Außenministertreffens auf Capri noch einmal vor einer Ausweitung des Konflikts gewarnt. Und sie haben ausdrücklich alle Seiten aufgefordert, eine Eskalation zu vermeiden.

Der direkte Konflikt zwischen Israel und dem Iran hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt. Erst hat Israel zu Monatsbeginn den Komplex der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus angegriffen, 13........

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