Berlin. Die gefährlichsten Autofahrer haben keine grauen Haare, sondern meist die neuesten Frisuren vom Barbershop um die Ecke. Junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren, und hier besonders männliche Fahranfänger, gelten als Hochrisikogruppe hinterm Steuer. Der Unfall am Potsdamer Platz in Berlin vergangenes Wochenende passt ins Muster: Mit überhöhtem Tempo fuhr ein Mann auf dem Fahrradschutzstreifen rechts am Stau vorbei und erfasste eine Mutter und ihren vierjährigen Sohn, die zwischen den stehenden Autos die vierspurige Straße überquerten. Sie wurden durch die Luft geschleudert; beide überlebten den Unfall nicht. Der Täter raste gut hundert Meter weiter in ein stehendes Auto.

Das alles klingt vom Unfallgeschehen nach einem ungeduldigen, rücksichtslosen und wahrscheinlich jugendlichen Raser. Doch der Täter ist 83 Jahre alt. Sofort bricht eine langjährige Debatte aufs Neue los: Dürfen Senioren so lange fahren, wie sie es selbst für richtig halten? Oder müssen sie sich verpflichtend auf ihre Fahrtüchtigkeit testen lassen?

Die Zahlen sprechen gegen die erfahrenen Kapitäne der Land- und Stadtstraßen. Das Risiko für einen Unfall steige mit 75 Jahren deutlich an, hatte vor Jahren eine Studie des Gesamtverbands der deutschen Versicherer ergeben. Drei von vier Unfällen, in die über 75-jährige Autofahrer verwickelt sind, wurden auch von ihnen verursacht. Und mit dem demografischen Wandel steigt automatisch auch der Anteil der Älteren hinter dem Steuer.

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Die Debatte wird aber auch deshalb so heftig geführt, weil gerade für ältere, nicht mehr so mobile Personen die Fahrerlaubnis und das eigene Auto mehr denn je Mobilität und die Möglichkeit zu sozialen Kontakten bedeuten. Wer auf dem Land oder in den Vororten lebt, wo der Bus nur selten fährt und schon der Weg zur Haltestelle zu mühsam ist, hat oft keine andere Wahl, als sich selbst hinters Steuer zu setzen.

Ja, aber in der Zukunft fahren doch überall bedarfsgesteuerte Rufbusse, die man einfach per App digital heranwinkt, sagen jetzt manche. Nun, die Seniorinnen und Senioren der Zukunft mögen auch alle diese Apps bedienen können. Die jetzige Seniorengeneration beschränkt sich meist auf Whatsapp. Das eigene Auto bietet mehr Sicherheit als digitale Zukunftsmusik.

In der Schweiz gibt es bereits seit 50 Jahren vorgeschriebene Gesundheitschecks für Senioren am Steuer, zunächst ab 70, dann ab 75 Jahren. Die Zahl der Unfälle mit Beteiligung von Senioren hat das im Vergleich zu den Nachbarländern Österreich und Deutschland nicht reduziert. Sind solche Prüfungen also für die Katz?

Gesundheitschecks in der Praxis bringen sicherlich weniger als etwa standardisierte Rückmeldefahrten mit geschulten Fahrbeobachtern. Eine solche Fahrt zeigt den Senioren ihre Stärken und Schwächen im alltäglichen Straßenverkehr auf. Diese Rückmeldefahrten sollten für alle ab 75 Jahren verpflichtend sein. Sie freiwillig anzubieten reicht nicht. Starrsinnige, die wider besseres Wissen nie auf den Beifahrersitz wechseln würden, würde man so nicht erreichen.

Ebenso nachteilig wäre es allerdings auch, aus dieser Fahrstunde eine Fahrprüfung zu machen und bei Fehlern mit dem automatischen Entzug des Führerscheins zu drohen. Die Auswertung sollte in Ruhe und individuell abgestimmt erfolgen. Idealerweise sollte sich an die Rückmeldefahrt bei Zweifeln an der Fahrtüchtigkeit ein Gespräch über die Lebenssituation, das soziale Umfeld und alternative Mobilitätsangebote anschließen.

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Viele Städte haben bereits Anreize geschaffen, damit schwankende Senioren ihr Auto stehen lassen und auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen – eine kostenlose Jahreskarte zum Beispiel.

Die Frage der Mobilität im Alter ist zu heikel, um nur die Extreme „Fahrverbote“ oder „Augen zu und durch“ zu diskutieren. Überzeugungsarbeit ist mindestens so wichtig wie verpflichtende Check-ups.

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16.03.2024

Berlin. Die gefährlichsten Autofahrer haben keine grauen Haare, sondern meist die neuesten Frisuren vom Barbershop um die Ecke. Junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren, und hier besonders männliche Fahranfänger, gelten als Hochrisikogruppe hinterm Steuer. Der Unfall am Potsdamer Platz in Berlin vergangenes Wochenende passt ins Muster: Mit überhöhtem Tempo fuhr ein Mann auf dem Fahrradschutzstreifen rechts am Stau vorbei und erfasste eine Mutter und ihren vierjährigen Sohn, die zwischen den stehenden Autos die vierspurige Straße überquerten. Sie wurden durch die Luft geschleudert; beide überlebten den Unfall nicht. Der Täter raste gut hundert Meter weiter in ein stehendes Auto.

Das alles klingt vom Unfallgeschehen nach einem ungeduldigen, rücksichtslosen und wahrscheinlich jugendlichen Raser. Doch der Täter ist 83 Jahre alt. Sofort bricht eine langjährige Debatte aufs Neue los: Dürfen Senioren so lange fahren, wie sie es selbst für richtig halten?........

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