Es ist 2024, und es wird wieder diskutiert. Darüber, ob Kleidung individuell sein darf oder nicht. Echt jetzt?

Die Gesellschaft will Menschen, die wissen, wer sie sind. Die eine Persönlichkeit haben. Die sich von Zwängen anderer befreien. Die sich nicht durch andere sagen lassen, ob ihr Aussehen gut oder schlecht ist. Denen egal ist, was andere sagen, weil es um das eigene Wohlbefinden, das eigene Gefühl geht. „Hast du hohe Schuhe oder gar einen Hut – oder hast du etwa ein zu kurzes Kleid getragen?“, sangen Die Ärzte schon 2008. „Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu. Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun.“

Es ist 2024 und zu Recht werden jene angeprangert, die sich über Frisuren, Klamotten, Körperformen anderer Menschen lustig machen.

Nur in der Schule, da soll das bitte anders sein. Da sollen Kinder möglichst wenig experimentieren und sich ausprobieren, da soll die Selbstfindung – ausgerechnet in der prägendsten Phase überhaupt – bitte aufhören. In Frankreich sollen an hundert Schulen Schuluniformen getestet werden, 2026 sollen sie flächendeckend kommen. Und auch in Deutschland fordert der Bundeselternrat eine Kleiderordnung.

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Der Bundeselternrat sagt, Mütter (wo sind die Väter?) seien die Diskussionen mit ihren Kindern über zu kurze Kleidung leid. Tatsächlich? Sollen also nun statt der Eltern die Lehrkräfte die Kleiderfrage klären? Bei allem Verständnis für das, was Eltern leisten und leisten müssen – nicht alles kann die Institution Schule für sie regeln.

Und welches Grundverständnis liegt dem überhaupt zugrunde? Was ist das für eine Gesellschaft, die sich darüber aufregt, wie lang oder kurz ein Rock ist? Ob durch das Tragen eines Tops ein BH sichtbar ist? Dass Jeans zerrissen sind? Ist nicht auf jedem Werbeplakat mehr Haut zu sehen? Sind zerrissene oder lottrige Kleidungsstücke nicht auch ein Ausdruck von Zugehörigkeit? Müssen kurze, enge Klamotten zwangsläufig dazu führen, Kinder und Jugendliche zu sexualisieren?

Erinnern Sie sich noch einmal zurück, wie Sie mit 13, 14 waren. Sind Sie gerne shoppen gegangen? Oder mussten Sie Klamotten auftragen, die gar nicht Ihr Fall waren? War Ihr Geschmack so wie der aller anderen in der Klasse? Hätten Sie sich in jedem Kleidungsstück wohlgefühlt? Haben Sie Diskussionen mit Ihren Eltern geführt?

In Deutschland ein seltenes Bild: An einer bayerischen Realschule wurde 2010 eine Schuluniform getestet. Auf Dauer hielt sich die Kleiderordnung dort nicht.

© Quelle: Johannes Simon/ddp

Diese Debatten um Kleidungsstil, Individualität und Anpassung sind wichtig für die Entwicklung junger Menschen. Sie müssen geführt werden. Aber im privaten Umfeld. Im Gespräch mit Eltern, Freundinnen und Freunde bildet sich bei Jugendlichen ein Modegeschmack heraus, der auch dazu beiträgt, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen oder sich eben auch von ihr abzugrenzen.

Kleiderordnung und Schuluniform gehen deshalb zu weit. Wenn der Bundeselternrat die Schule um Hilfe bitten muss, scheint es, als hätten eben jene Eltern kein Vertrauen in ihre eigene Erziehung. Statt Vorschriften zu etablieren, ist es viel zielführender, Eltern und Kinder dabei zu unterstützen, dass niemand wegen seines Aussehens oder seiner Kleidung beleidigt, sexualisiert oder ausgegrenzt wird.

Eine Lösung ist eine Kleiderordnung keineswegs. Wer sollte sie wie kontrollieren? Sollen Lehrer nachmessen, wie lang der Rock oder wie tief das Dekolleté ist? Und welche moralische Instanz legt fest, welche Kleidung aus welchem Grund wie lang oder kurz sein darf, was als lottrig gilt und was als angemessen?

Wenn wir Kindern daheim und in Schulen beibringen, dass jede und jeder sein darf, wie sie oder er ist, dass jede und jeder so okay ist, wie sie oder er ist, dann verbietet es sich, über Kleiderordnungen in Schulen zu debattieren. Dann sind Kinder, die mit Jogginghosen zur Schule kommen, genauso okay wie jene, die Pullunder tragen.

QOSHE - KostenpflichtigKostenpflichtig Kleidung geht den Staat nichts an! - Miriam Keilbach
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KostenpflichtigKostenpflichtig Kleidung geht den Staat nichts an!

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03.02.2024

Es ist 2024, und es wird wieder diskutiert. Darüber, ob Kleidung individuell sein darf oder nicht. Echt jetzt?

Die Gesellschaft will Menschen, die wissen, wer sie sind. Die eine Persönlichkeit haben. Die sich von Zwängen anderer befreien. Die sich nicht durch andere sagen lassen, ob ihr Aussehen gut oder schlecht ist. Denen egal ist, was andere sagen, weil es um das eigene Wohlbefinden, das eigene Gefühl geht. „Hast du hohe Schuhe oder gar einen Hut – oder hast du etwa ein zu kurzes Kleid getragen?“, sangen Die Ärzte schon 2008. „Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu. Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun.“

Es ist 2024 und zu Recht werden jene angeprangert, die sich über Frisuren, Klamotten, Körperformen anderer Menschen lustig machen.

Nur in der Schule, da soll das bitte anders sein. Da sollen Kinder möglichst wenig experimentieren und sich ausprobieren, da soll die Selbstfindung – ausgerechnet in der prägendsten Phase überhaupt – bitte........

© HAZ


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