Fliegende Tennisbälle, Münzen und Schokotaler, Spiele, die kurz vor dem Abbruch stehen: Mit den Protesten gegen den bevorstehenden Einstieg eines strategischen Partners bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) verschaffen sich die Ultras in der 1. und 2. Bundesliga immer wieder lautstark und öffentlichkeitswirksam Gehör. Die Angst vor einem Investor, der angeblich den deutschen Fußball bedroht, hat überwältigende Ausmaße angenommen. Gerade die Art und Weise, wie die Abstimmung der 36 Profiklubs über den Einstieg eines Investors Ende des vergangenen Jahres ablief, ließ die Wut der Anhänger überkochen. Zumal bis heute unklar ist, ob das Votum rechtmäßig zustande gekommen ist.

So wird in der Fanszene vermutet, dass der Mehrheitsgesellschafter von Hannover 96, Martin Kind, in dem geheimen Votum gegen die Anweisung seiner Vereinsführung gestimmt und damit die knappe Mehrheit hergestellt hat. Das käme wohl einem Verstoß der sogenannten 50+1-Regel gleich, die besagt, dass die Vereine das Sagen auch in den Profiabteilungen behalten müssen. Die Vorgänge wertet die Ultras als finalen Angriff auf die Seele des von ihnen so geliebten Sports gewertet.

Spieler von Borussia Dortmund sammel Münzen vom Spielfeld, die die Fans zuvor auf den Rasen geschmissen haben.

© Quelle: IMAGO/Jan Huebner

Eine aktive Fanszene mit klaren Meinungen, die auch kundgetan werden darf, gehört hierzulande zum Kulturgut Fußball. Wenn der Aufstand noch in rechtmäßigen Bahnen abläuft, ist das gut so. Soll der Protest nach Ansicht der Ultras allerdings besser wirken, überschreitet er gewisse Grenzen. Das ist soweit verstanden - aber wo soll das hinführen? Entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, aus welchen Ecken die Proteste gerade jetzt so lautstark zu hören sind?

Es wirkt so, als seien manche Ultra-Gruppierungen in den Kurven lange nicht allzu kritisch damit umgegangen, mit woher das Geld kommt, mit dem der eigene Klub unterstützt, mitunter sogar am Leben gehalten wird. Bestes Beispiel Berlin: Im Olympiastadion war ein Abbruch des Zweitliga-Spiels gegen den Hamburger SV am vergangenen Wochenende „nicht weit entfernt“, wie Schiedsrichter Daniel Schlager anschließend bestätigte. 30 Minuten dauerte die aufgrund der Proteste notwendig gewordene Unterbrechung.

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Dabei könnten die Tennisbälle schleudernden Fans von Hertha BSC eigentlich ganz froh sein, dass ihr Klub mit „777 Partners“ im Sommer einen potenten Unterstützer gefunden hat, der nach dem Bundesligaabstieg mit seinem Geld einen tiefen Fall der „Alten Dame“ bis mindestens in die Regionalliga verhindert hat. Und obwohl die mehr als 370 Millionen Euro des vorherigen Investors Lars Windhorst letztlich mehr Probleme geschaffen als gelöst haben (Stichwort Big City Club), war jene Finanzspritze für die Hauptstädter in wirtschaftlich bedrohlichen Corona-Zeiten eine Hilfe.

Und nicht nur in Berlin ufern die Proteste aus: Auch jüngst etwa beim VfL Wolfsburg (Moment mal, Volkswagen?) und vor einigen Wochen bei Borussia Dortmund – dem einzigen börsennotierten Klub im deutschen Profifußball - demonstrierten die Ultras ihren Unmut.

Offensichtlich zeigen die Proteste in Teilen Wirkung - die Präsidenten von Union Berlin und dem VfB Stuttgart haben zumindest schon für eine neue Abstimmung plädiert. Die Macht der Kurven, die so gesehen immer größer wird, scheint Auswirkungen zu haben.

Und doch bleibt am Ende auch der Eindruck, dass die Ultras, die gern als Verfechter ihrer ureigenen romantischen Fußball-Idee auftreten, sich zwischen vermeintlich gutem und vermeintlich schlechtem Geld entscheiden - je nachdem, was für den eigenen Klub gerade besser passt. Von Doppelmoral ist das nur einen Tennisballwurf entfernt. Und eine große Schwäche der aktuellen Protestwelle.

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08.02.2024

Fliegende Tennisbälle, Münzen und Schokotaler, Spiele, die kurz vor dem Abbruch stehen: Mit den Protesten gegen den bevorstehenden Einstieg eines strategischen Partners bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) verschaffen sich die Ultras in der 1. und 2. Bundesliga immer wieder lautstark und öffentlichkeitswirksam Gehör. Die Angst vor einem Investor, der angeblich den deutschen Fußball bedroht, hat überwältigende Ausmaße angenommen. Gerade die Art und Weise, wie die Abstimmung der 36 Profiklubs über den Einstieg eines Investors Ende des vergangenen Jahres ablief, ließ die Wut der Anhänger überkochen. Zumal bis heute unklar ist, ob das Votum rechtmäßig zustande gekommen ist.

So wird in der Fanszene vermutet, dass der Mehrheitsgesellschafter von Hannover 96, Martin Kind, in dem geheimen Votum gegen die Anweisung seiner Vereinsführung gestimmt und damit die knappe Mehrheit hergestellt hat. Das käme wohl einem Verstoß der sogenannten........

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