Michael Müller, der frühere Berliner Regierungschef, gilt als weltfremd und etwas wunderlich, nachdem er vor einiger Zeit freimütig bekannte, in seinem Amt überhaupt nicht bemerkt zu haben, dass Berlin eine schmutzige Stadt ist. Nun meldet sich der heutige SPD-Bundestags­abgeordnete wieder einmal zu Wort – und erneut muss man sich verwundert die Augen reiben. Schließlich stellt Müller Grundlagen des Rechtsstaates infrage, wenn er eine Amnestie für Regelverstöße während der Corona-Pandemie fordert.

Zugegeben, aus heutiger Sicht erscheint ein Fall aus Berlin, bei dem kürzlich ein heute 21‑Jähriger einen Bußgeldbescheid erhalten hatte, weil er im Lockdown statt mit maximal fünf Leuten zu sechst auf der Straße unterwegs war, nur noch kurios. Doch die damalige Zeit war alles andere als lustig, schließlich ging es darum, die Verbreitung des Virus einzudämmen und damit Menschenleben zu schützen. Dazu gab es Gesetze und Vorschriften, die als geltendes Recht einzuhalten waren. Einige wurden von Gerichten als unverhältnismäßig gekippt, wie etwa die strengen Ausgangs­beschränkungen Bayerns im April 2020. Andere hatten auch vor den Gerichten Bestand oder es wurde gar nicht gegen sie geklagt.

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Eine Amnestie für Corona-Verstöße würde die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nachträglich vor den Kopf stoßen, die sich damals – teilweise unter großen Entbehrungen – an alle Regeln gehalten hat. Sie nähme Regierungen und Parlamenten die Möglichkeit, in Zukunft in einer ähnlichen Situation überhaupt noch irgend­welche Schutzvorschriften durchzusetzen. Schließlich könnten die Bürgerinnen und Bürger auf eine erneute Amnestie setzen und damit alle Vorgaben getrost ignorieren.

Wer sich heute wegen seines Verhaltens in der Corona-Zeit ungerecht behandelt fühlt, kann gerichtlich gegen verhängte Bußgelder vorgehen. Eine Amnestie wäre hingegen nicht nur ungerecht, sondern geradezu fahrlässig.

QOSHE - Eine Amnestie für Corona-Verstöße wäre ungerecht und geradezu fahrlässig - Tim Szent-Ivanyi
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Eine Amnestie für Corona-Verstöße wäre ungerecht und geradezu fahrlässig

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08.04.2024

Michael Müller, der frühere Berliner Regierungschef, gilt als weltfremd und etwas wunderlich, nachdem er vor einiger Zeit freimütig bekannte, in seinem Amt überhaupt nicht bemerkt zu haben, dass Berlin eine schmutzige Stadt ist. Nun meldet sich der heutige SPD-Bundestags­abgeordnete wieder einmal zu Wort – und erneut muss man sich verwundert die Augen reiben. Schließlich stellt Müller Grundlagen des Rechtsstaates infrage, wenn er eine Amnestie für Regelverstöße während der........

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