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Geert Wilders während der Verkündung der Ergebnisse der Wahlen zur Abgeordnetenkammer

Die Leichtigkeit, mit der Erdrutschwahlsieger Geert Wilders Hetze gegen Muslime für unwesentlich erklärte, besagt, was es damit auf sich hat: ein Kinderschreck. Die EU demonstriert, dass sich zehntausendfaches Ersäufen von Flüchtlingen organisieren lässt, ohne wie Wilders den Koran mit »Mein Kampf« gleichzusetzen oder Marokkaner als »Abschaum« zu bezeichnen. In der Bundesrepublik macht der Konsens der Demokraten von SPD bis AfD den »Asyltsunami« (Wilders) zur Existenzfrage des Staates. Wilders’ Versprechen, sich in einer Regierung an die Verfassung zu halten, ist unnötig. »Legale« Migrantenbekämpfung klappt überall in der EU.

Spätestens seit dem 7. Oktober stimmte der Blonde mit Mozartfrisur zu Israel und Palästina mit der EU-Mehrheit überein. Seine Umfragewerte stiegen rapide an: Er hatte schon immer gewusst, was nötig ist. Am 8. Oktober schrieb er daher auf X: »Zurückhaltung ist ein törichtes westliches Konzept.« Am 13. Oktober: »Seit 1946 gibt es einen unabhängigen palästinensischen Staat: das Königreich Jordanien.« Palästinenser sollten sich freiwillig dort ansiedeln. Seine kolonialistische Phantasie entspricht der westlichen Praxis.

Im Widerspruch dazu steht scheinbar Wilders’ Drohung, den EU-Austritt der Niederlande herbeizuführen, die Grenzen zur Bundesrepublik für Migranten zu schließen und die Waffenhilfe für die Ukraine – die Niederlande haben neben Dänemark F-16-Kampfjets geliefert – einzustellen. Er müsste Koalitionspartner finden, um die zu stoppen. Die in Frage kommenden Parteien blieben am Tag nach der Wahl aber bei ihrer Ablehnung. Noch unwahrscheinlicher ist eine »linke« Koalition. Wer auch immer Regierungschef in Den Haag wird, er hat zu berücksichtigen, dass Wilders nicht der einzige war, der auf EU-Ablehnung setzte. Das hat Tradition: 2005 ließen die Niederländer zusammen mit den französischen Wählern per Referendum den EU-Verfassungsvertrag scheitern. 2016 stimmten sie als einzige gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Es war der Ursprung von Putsch und Bürgerkrieg dort gewesen. Das hat etwas mit Wohlstandsnationalismus zu tun – die niederländische Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt rund 10.000 Euro vor der deutschen und damit sogar vor der Bayerns, wo am 8. Oktober zwei Drittel der Wähler rechts und konservativ wählten. Vergleichbar mit Bayern ist auch die Härte staatlicher Repression bei offenem Unmut, siehe das Vorgehen gegen die Straßenblockaden niederländischer Bauern 2022. Das Flachland ist wie Bayern ohne Berge, aber mit Grachten.

Die Dialektik der globalen Konterrevolution seit 1991 hat den Typus Trump-Wilders-Orbán hervorgebracht – ein Ausdruck der Krise des westlichen Systems und dessen wachsender Neigung zu abenteuerlichen, gewaltsamen Aktionen. Wilders und Co. ernten, was die moralisierenden Bellizisten des sozialliberalen Establishments gesät haben.

QOSHE - Bayern mit Grachten - Arnold Schölzel
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Bayern mit Grachten

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23.11.2023

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Geert Wilders während der Verkündung der Ergebnisse der Wahlen zur Abgeordnetenkammer

Die Leichtigkeit, mit der Erdrutschwahlsieger Geert Wilders Hetze gegen Muslime für unwesentlich erklärte, besagt, was es damit auf sich hat: ein Kinderschreck. Die EU demonstriert, dass sich zehntausendfaches Ersäufen von Flüchtlingen organisieren lässt, ohne wie Wilders den Koran mit »Mein Kampf« gleichzusetzen oder Marokkaner als »Abschaum« zu bezeichnen. In der Bundesrepublik macht der Konsens der Demokraten von SPD bis AfD den »Asyltsunami« (Wilders) zur Existenzfrage des Staates. Wilders’ Versprechen, sich in einer Regierung an die Verfassung zu halten, ist unnötig. »Legale« Migrantenbekämpfung klappt überall in der........

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