Hannes P. Albert/dpa

Der Traum der Sozialdemokratie, dem Abgrund durch Hochbesteuerung der Vermögendsten zu entkommen, hat sich bisher nicht verwirklichen lassen …

Kapitalismus bringe regelmäßig »Krisen aus Überfluss« hervor, wussten die Sozialisten des 19. Jahrhunderts vor Marx. Der wiederum machte im »Kapital« das »Missverhältnis der Produktion in verschiedenen Zweigen« und »die Konsumtionsbeschränkung der Massen« als letztendlichen Grund wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krachs aus. Gibt es keinen Profit, weil sich immer weniger das in Überfülle Produzierte leisten können, schaut ein deutscher Finanzminister wie seinerzeit Peer Steinbrück 2008 schon mal »in den Abgrund«. Der Traum der Sozialdemokratie, davon durch Hochbesteuerung der Vermögendsten wegzukommen, hat sich bisher nicht verwirklichen lassen, zumal die SPD in der Regierung das Gegenteil macht: Unter Helmut Kohl betrug der Spitzensteuersatz 53 Prozent, Gerhard Schröder senkte ihn auf 42 Prozent. So »regulieren« sie Widersprüche, indem sie die Irregularität erhöhen. Das schließt ein: den Notstand vorbereiten. Und international: die unbewaffneten Feldzüge gegen die Habenichtse (Ausplünderung durch »Schulden«) verschärfen, die bewaffneten vermehren. Vom Klima reden, aber mehr Panzer und Raketen anschaffen. Denn das oberste Gebot lautet: Die Ungleichheit muss erhalten bleiben, sie allein sichert Besitz-, Macht und Herrschaft.

Also erfährt die Welt zu Beginn jeden Jahres durch die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam wie in diesem Januar: »Die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 verdoppelt, fast fünf Milliarden Menschen sind ärmer geworden.« Das wirkt wie das jährlich grüßende Murmeltier: Denen oben wie unten wird versichert, das sich nichts ändert. Ähnlich steht es um den Jahresbericht des UN-Entwicklungsprogramms, der im März besagte: Die Spaltung zwischen Arm und Reich hat sich weltweit vergrößert. In diese Reihe stellt sich auch die Oxfam-Forderung vom Donnerstag, die Superreichen stärker zu besteuern. Das ist alles gut, weil es die Lunte verlängert. Den Sprengstoff beseitigt das nicht. Denn hinter der Abstraktion »Ungleichheit« verbergen sich Elend, Hunger, Tod oder, wie auf der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Washington soeben festgestellt wurde: Rund 600 Millionen Afrikaner haben keinen Zugang zu elektrischem Strom. Konsequenz der Ampel: Die Entwicklungshilfe wird 2024 weiter gekürzt.

Weltkriegsgefahr, Klimakrise und soziale Ungleichheit werden zu einem Brandherd. Brasilien versucht zusammen mit anderen BRICS-Staaten in seiner G20-Präsidentschaft etwas zu löschen und setzt die Umlenkung von Kapitalströmen in ökologische und soziale Vorhaben auf die Tagesordnung. Das wollten bei der ersten Runde Ende Februar USA und EU-Staaten blockieren, weil die Ukraine nicht erwähnt wurde. Die barbarisch Reichen setzen auf Barbarei, auf Panzer, Bomben und auch mal Genozid. Brasilien zeigt: Die Mehrheit der Menschheit will mehr, als nur die Lunte verlängern.

QOSHE - Lunte verlängert - Arnold Schölzel
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Lunte verlängert

9 0
18.04.2024

Hannes P. Albert/dpa

Der Traum der Sozialdemokratie, dem Abgrund durch Hochbesteuerung der Vermögendsten zu entkommen, hat sich bisher nicht verwirklichen lassen …

Kapitalismus bringe regelmäßig »Krisen aus Überfluss« hervor, wussten die Sozialisten des 19. Jahrhunderts vor Marx. Der wiederum machte im »Kapital« das »Missverhältnis der Produktion in verschiedenen Zweigen« und »die Konsumtionsbeschränkung der Massen« als letztendlichen Grund wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krachs aus. Gibt es keinen Profit, weil sich immer weniger das in Überfülle Produzierte leisten können, schaut ein deutscher Finanzminister wie seinerzeit Peer Steinbrück 2008 schon mal »in den Abgrund«. Der Traum der Sozialdemokratie, davon durch........

© Junge Welt


Get it on Google Play