Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Im Linke-Programm zur EU-Wahl wird das imperialistische Konstrukt Europäische Union so charakterisiert: »Während Regierungen und große Unternehmen die Wirtschaftsunion forciert haben, blieb die Entwicklung einer Sozialunion meilenweit dahinter zurück.« Weiter weg von der Realität zu formulieren ist nicht einfach. Die EU wurde gegründet, um Schranken für Kapital und Waren zu beseitigen und dafür, die Sozialstandards nach unten anzugleichen. Reisefreiheit gilt inzwischen oft als lästig. In diesem Gebilde machten sich vor allem deutsche Finanz- und Industriekonzerne für den Weltmarkt konkurrenzfähig, setzten mit Hilfe von SPD und Bündnis 90/Die Grünen »Armut per Gesetz«, wie die damalige PDS noch wusste, und Dumpinglöhne durch. Anschließend rühmte sich Gerhard Schröder, den »größten Niedriglohnsektor in Europa« eingerichtet zu haben. 2023 läuft das anders: Dax-Unternehmen melden Rekordgewinne, die von der Regierung eingeführte Inflation steigert die Armut.

Sogenannte Verteilungsgerechtigkeit spielte in Reden auf dem Augsburger Parteitag der Linkspartei eine große Rolle, öfter war die Rede von »Klassenperspektive«. Gemeint war offenbar, was der Kovorsitzende Martin Schirdewan mehrfach ausrief: »Wir legen uns mit den Reichen und Mächtigen an.« Die können, lässt sich nicht nur wegen des irrealen Wahlprogramms sagen, ruhiger schlafen denn je – falls sie diese Partei je wahrgenommen haben. Nötig war das nur für kurze Zeit, als Die Linke in der Art einer linken Sozialdemokratie gegen Hartz IV und imperialistischen Krieg auftrat. Es war die erfolgreichste Zeit – sie erhielt 2009 an die fünf Millionen Wählerstimmen. Die vorwiegend ostdeutschen Funktionäre, die diesen Kurs bekämpften, haben vor langer Zeit die Oberhand gewonnen und den Parteiruin herbeigeführt.

Die Vermeidung der Ursachenanalyse von Wahlniederlagen ist durch sie zu einem der wichtigsten Merkmale der Linkspartei geworden. Deren Spitzenpersonal ruht unabhängig davon, ob zum Beispiel eine Linke-Fraktion in Hessen nach 15 Jahren aus dem Landtag fliegt, in seinen Amtssesseln. In der Partei Die Linke bestimmt Funktionärsfeudalimus die Pöstchenvergabe. Das blieb auch in Augsburg so. Dafür sorgte erneut die Zusammensetzung der Delegierten: Es sind mehrheitlich seit Jahrzehnten Mandatsträger und Beschäftigte der Partei.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitierte Oskar ­Lafontaine zustimmend ein Schweizer Blatt, das »weltfremde Politik« für den Parteiniedergang verantwortlich machte. Ein weiteres Beispiel aus dem EU-Wahlprogramm illustriert das: »Daher stellen wir uns sowohl gegen die Befürworter*innen einer marktradikalen EU als auch gegen das nationalistische Konzept eines ›Europas der Vaterländer‹«. Der Dank der Konzerne, falls das dort zur Kenntnis genommen wird, für Ablenkung von Krieg und Krise ist sicher.

QOSHE - Weltfremd - Arnold Schölzel
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Weltfremd

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19.11.2023

Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Im Linke-Programm zur EU-Wahl wird das imperialistische Konstrukt Europäische Union so charakterisiert: »Während Regierungen und große Unternehmen die Wirtschaftsunion forciert haben, blieb die Entwicklung einer Sozialunion meilenweit dahinter zurück.« Weiter weg von der Realität zu formulieren ist nicht einfach. Die EU wurde gegründet, um Schranken für Kapital und Waren zu beseitigen und dafür, die Sozialstandards nach unten anzugleichen. Reisefreiheit gilt inzwischen oft als lästig. In diesem Gebilde machten sich vor allem deutsche Finanz- und Industriekonzerne für den Weltmarkt konkurrenzfähig, setzten mit Hilfe von SPD und Bündnis 90/Die Grünen »Armut per Gesetz«,........

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