Royal Navy/AP

Abgefeuerte Rakete von einem britischen Kriegsschiff im Roten Meer (16.12.2023)

Wenn es wirklich nur die Ansarollah wäre. Die »Huthis« genannte Miliz hat einen Hebel gefunden, mit dem sie den Staaten, die Israels Militäroffensive im Gazastreifen unterstützen, nicht bloß auf die Nerven geht, sondern ihnen auch schweren Schaden zufügen kann. Ihre Angriffe auf Schiffe im Roten Meer zwingen den Handel zu großen Umwegen; das kommt sehr teuer und kostet viel Zeit. Mehr noch: Die Ansarollah führt mit ihren geringen militärischen Mitteln derzeit die Vereinigten Staaten vor. Denn diese könnten zwar in wenigen Tagen die jemenitischen Raketen- und Drohnenlager in Schutt und Asche legen. Genau dies fordern pensionierte US-Generäle und konservative Kommentatoren denn auch längst. Und dennoch hält sich die Biden-Regierung bislang zurück, beschränkt die US-Navy strikt darauf, das Drohnenabschießen zu üben, bemüht sich jetzt um eine möglichst breite Militärallianz.

Denn es ist eben nicht nur die Ansarollah, die dem Westen aktuell in Nah- und Mittelost Schwierigkeiten macht. Die Hisbollah beschießt vom Libanon aus Israel. Dort kann jederzeit eine zweite Front eines ausgreifenden Nahostkrieges in vollem Umfang entbrennen. Israel ist schon jetzt auf Unterstützung aus den USA angewiesen; das wäre es bei einem Zweifrontenkrieg noch mehr. In Syrien und in Iran wiederum attackieren schiitische Milizen seit dem 7. Oktober verstärkt US-Truppenstützpunkte. Die Zahl ihrer Angriffe dürfte inzwischen hundert überschritten haben: ein Hinweis darauf, dass auch dort zu jedem Augenblick die Hölle losbrechen kann.

Und dann? Dann stecken die USA in der Zwickmühle. In einem sind sich die zerstrittenen Fraktionen des US-Establishments völlig einig: Als Hauptgegner gilt ihnen China. Ihr Fokus richtet sich deshalb vor allem auf die Asien-Pazifik-Region. Die US-Militärstrategie sieht seit einigen Jahren vor, dass die US-Streitkräfte in der Lage sein sollen, einen großen Krieg zu gewinnen. Zwei Kriege gleichzeitig aber, die sich die US-Streitkräfte früher zutrauten, gelten ihnen heute als zumindest höchst riskant. Bricht im Nahen und Mittleren Osten die Hölle los, müsste Washington entweder, was kaum vorstellbar ist, schmählich fliehen wie aus Afghanistan oder aber in einen nächsten Mittelostkrieg ziehen. Das ginge zu Lasten seines Aufmarschs gegen China und kommt ebenfalls nicht in Frage.

Was bleibt? Nun, nur der Versuch, den nächsten Mittelostkrieg zu vermeiden. Deshalb hält Washington den Ball ungewohnt flach, deshalb gründet es eine breite Militärallianz gegen die Ansarollah, anstatt einfach zuzuschlagen. Iran und die mit ihm kooperierenden Milizen in der Region ziehen unterdessen die Schrauben langsam, aber unerbittlich an. Ob Iran die Fäden zieht oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle: Denn die Zwickmühle, in der die USA stecken, liegt für ihre Gegner in Nah- und Mittelost offen zutage. Ihre schwindende Dominanz in der Region wird vor den Augen der globalen Öffentlichkeit weiter angezählt.

QOSHE - Ball flachhalten - Jörg Kronauer
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19.12.2023

Royal Navy/AP

Abgefeuerte Rakete von einem britischen Kriegsschiff im Roten Meer (16.12.2023)

Wenn es wirklich nur die Ansarollah wäre. Die »Huthis« genannte Miliz hat einen Hebel gefunden, mit dem sie den Staaten, die Israels Militäroffensive im Gazastreifen unterstützen, nicht bloß auf die Nerven geht, sondern ihnen auch schweren Schaden zufügen kann. Ihre Angriffe auf Schiffe im Roten Meer zwingen den Handel zu großen Umwegen; das kommt sehr teuer und kostet viel Zeit. Mehr noch: Die Ansarollah führt mit ihren geringen militärischen Mitteln derzeit die Vereinigten Staaten vor. Denn diese könnten zwar in wenigen Tagen die jemenitischen Raketen- und Drohnenlager in Schutt und Asche legen. Genau dies fordern pensionierte US-Generäle und........

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