Xinhua/IMAGO

Chinas Präsident Xi Jinping (Beijing, 29.12.2023)

Eine ganze Welle an Erwartungen habe China ausgelöst, als es ihm im März 2023 gelungen sei, in den hochkomplizierten Verhandlungen über eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran einen Durchbruch zu erzielen: Das ist eine Einschätzung, die man immer wieder hört – weniger zwar im Westen, dessen Eliten die Erfolge ihres großen Rivalen stets nach Kräften beschweigen oder herunterspielen, oft aber im globalen Süden und bei den wenigen Kritikern und Gegnern der eigenen Herrschaft in der westlichen Welt. Und es stimmt ja: Die Tatsache, dass es nicht mehr nur eine wirtschaftliche, sondern in wachsendem Maß auch eine diplomatische Alternative zu den bislang dominanten transatlantischen Mächten gibt, schürt Hoffnungen; Hoffnungen, dass angeblich unlösbare Konflikte, wenn man sie im Kontext einer neu heraufziehenden Weltordnung sieht, vielleicht doch nicht ewig schwelen, brennen und explodieren müssen – dass ein Ende der Kriege vielleicht doch möglich ist.

Dass China prinzipiell das Potential hat, völlig verfahrene Auseinandersetzungen zu klären, trifft zu. Es verfügt über eine vielleicht in der internationalen Konfliktlösung noch nicht routinierte, aber doch hochprofessionelle Diplomatie. Es hat weltweit großen wirtschaftlichen Einfluss, hat also bei Bedarf Druck- wie auch Lockmittel bei der Hand; und es wird mehr und mehr als Weltmacht gesehen, mit der man sich besser nicht leichtfertig anlegt. Das gilt ganz allgemein wie im besonderen auch für den Nahen und Mittleren Osten. Seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel sind im Kern ökonomisch belastbar. Sein Verhältnis zu den beiden großen Antipoden in Mittelost, zu Saudi-Arabien und Iran, ist ebenfalls tragfähig, und Beijing sorgt auf regelmäßigen Zusammenkünften mit beiden Seiten dafür, dass das so bleibt – und die im März eingeleitete Annäherung zwischen Riad und Teheran weitere Fortschritte macht.

Damit hält Beijing im Grundsatz sämtliche wichtigen Fäden für eine Konfliktlösung im Nahen und Mittleren Osten in der Hand. Vor allem zwei Fragen bleiben: zum einen, ob Israel irgendwie dazu gebracht werden kann, die Zweistaatenlösung zuzulassen; zum anderen, ob der Westen bereit ist, China einen weiteren Verhandlungserfolg oder zumindest die Teilhabe daran zu gestatten. Beide Fragen hängen zusammen. Hinzu kommt allerdings noch eine dritte: ob der Westen auf Dauer von China vermittelte Verhandlungslösungen blockieren kann. Aktuell tut er dies indirekt, indem er Beijing dazu drängt, die jemenitischen Ansarollah mit Hilfe Teherans an die Kandare zu nehmen. Nach chinesischer Auffassung geht dies nur im Rahmen eines Gesamtpakets, das auf der Zweistaatenlösung basiert. Der Druck, es mit einem solchen Gesamtpaket endlich ernsthaft zu versuchen, wächst. Vielleicht nicht im Westen, dafür aber im globalen Süden, der parallel zum Abstieg der transatlantischen Welt zusehends an Macht gewinnt.

QOSHE - Die Fäden in der Hand - Jörg Kronauer
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Die Fäden in der Hand

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15.01.2024

Xinhua/IMAGO

Chinas Präsident Xi Jinping (Beijing, 29.12.2023)

Eine ganze Welle an Erwartungen habe China ausgelöst, als es ihm im März 2023 gelungen sei, in den hochkomplizierten Verhandlungen über eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran einen Durchbruch zu erzielen: Das ist eine Einschätzung, die man immer wieder hört – weniger zwar im Westen, dessen Eliten die Erfolge ihres großen Rivalen stets nach Kräften beschweigen oder herunterspielen, oft aber im globalen Süden und bei den wenigen Kritikern und Gegnern der eigenen Herrschaft in der westlichen Welt. Und es stimmt ja: Die Tatsache, dass es nicht mehr nur eine wirtschaftliche, sondern in wachsendem Maß auch eine diplomatische Alternative zu den bislang........

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