Wang Chun/XinHua/dpa

Containerterminal im Hafen von Lianyungang in Ostchina (7.12.2022)

Das Dilemma, das die EU-Spitze am Donnerstag zum EU-China-Gipfel nach Beijing getrieben hat, verbirgt sich hinter einer einzigen dürren Zahl, über die sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei ihren Gesprächen in der chinesischen Hauptstadt unisono beschwerten: Das Handelsdefizit, das das europäische Staatenkartell gegenüber der Volksrepublik einfährt, steigt kontinuierlich und hat im vergangenen Jahr den bemerkenswerten Betrag von knapp 400 Milliarden Euro erreicht. Das ist zweimal so viel wie noch vor zwei Jahren. Grund für den Anstieg ist die Kombination relativer wirtschaftlicher Schwäche mit aggressiven politischen Maßnahmen auf Seiten der EU.

Ein Beispiel für die relative wirtschaftliche Schwäche bietet die Solarindustrie. Keine zwei Jahrzehnte ist es her, da wurde jede dritte Solarzelle weltweit in Deutschland hergestellt. Dann begann der rasante Aufstieg der chinesischen Branche, die günstiger produzieren kann – unter anderem, weil die Löhne in der Volksrepublik niedriger sind und weil das Land wie wild die Nutzung erneuerbarer Energien ausbaut; Letzteres ermöglicht eine Fertigung im ganz großen Stil, die zusätzlich Kosten einspart. Das Resultat: Heute kommen um die 80 Prozent aller Solarmodule weltweit aus China. Auch in der EU werden überwiegend chinesische Solarzellen verbaut; das treibt den Import gewaltig in die Höhe. Ähnliches zeigt sich auch in anderen Branchen. Die Folge: Der Gesamtimport der EU aus China steigt stark. Und, auch das gehört dazu: In Europa wird weniger produziert.

Gleichzeitig zeigt sich: Mit ihren Überlegungen, immer mehr in den Wirtschaftskrieg gegen China einzusteigen, stellt die EU sich selbst ein Bein. Europäische Konzerne, die Standorte in der Volksrepublik haben, müssen davon ausgehen, dass auch Brüssel künftig immer mehr zu Strafzöllen und Wirtschaftssanktionen gegen China greift. Sie müssen also damit rechnen, dass sie künftig weniger oder gar keine Bauteile mehr aus Europa an ihre chinesischen Werke liefern dürfen. Das Problem: Der chinesische Markt ist mit seinen 1,4 Milliarden Menschen so riesig, dass ein Rückzug von ihm keine Alternative ist. Was tun gerade auch deutsche Unternehmen deshalb? Sie bauen für ihre chinesischen Fabriken Lieferketten auf, die keine – sanktionsgefährdeten – europäischen Bauteile mehr enthalten. Das schlägt sich negativ auf die Exporte aus der EU in die Volksrepublik nieder. Die stagnieren seit Jahren; das wiederum treibt logischerweise das Handelsdefizit in die Höhe.

Wie weiter? Die EU plant zur Zeit, um ihrem Dilemma zu entkommen, eine Beschränkung des Imports chinesischer Solarmodule und Strafzölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos. Auf beides wird Beijing freilich auf die eine oder andere Weise reagieren. Der EU-China-Gipfel war der Versuch, vielleicht doch noch eine andere Lösung zu finden oder die drohende Eskalation zumindest ein wenig einzudämmen. Letztere könnte, nebenbei, der EU noch stärker schaden als der Volksrepublik.

QOSHE - In der Zwickmühle - Jörg Kronauer
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In der Zwickmühle

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07.12.2023

Wang Chun/XinHua/dpa

Containerterminal im Hafen von Lianyungang in Ostchina (7.12.2022)

Das Dilemma, das die EU-Spitze am Donnerstag zum EU-China-Gipfel nach Beijing getrieben hat, verbirgt sich hinter einer einzigen dürren Zahl, über die sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei ihren Gesprächen in der chinesischen Hauptstadt unisono beschwerten: Das Handelsdefizit, das das europäische Staatenkartell gegenüber der Volksrepublik einfährt, steigt kontinuierlich und hat im vergangenen Jahr den bemerkenswerten Betrag von knapp 400 Milliarden Euro erreicht. Das ist zweimal so viel wie noch vor zwei Jahren. Grund für den Anstieg ist die Kombination relativer wirtschaftlicher Schwäche mit aggressiven politischen Maßnahmen........

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