dts Nachrichtenagentur/IMAGO

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit Kanzler Scholz und Ministern

Der Ort war Programm: Im »Haus der Deutschen Wirtschaft« ließen Kanzler Scholz und Präsident Lula die deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen am Montag ausklingen, im Beisein ihrer Wirtschaftsminister und zahlreicher Vertreter von allerlei Unternehmen. Scholz will den weiteren deutschen Abstieg verhindern. Noch vor 20 Jahren lieferte die deutsche Industrie zehn Prozent aller brasilianischen Importe, heute sind es nur noch fünf Prozent, und eine Wende ist nicht in Sicht. Lula wiederum orientiert mit ganzer Kraft auf eine multipolare Welt. Er sucht wie schon während seiner ersten beiden Amtszeiten den Handel mit Afrika auszuweiten – vor allem mit den früheren portugiesischen Kolonien –, er hielt sich vergangene Woche mit einer Wirtschaftsdelegation in Saudi-Arabien auf, und jetzt war er halt noch in Berlin. Multipolar, das heißt ja, nicht in einen Block eingezwängt zu sein, sondern die Wahl zu haben, und je zahlreicher die Optionen, desto besser. Die deutsche Option gehört, als eine von vielen natürlich, dazu.

Bevor Lula und Scholz sich unter die Unternehmer mischten, ging es bei ihren Gesprächen nicht zuletzt um das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur. Lula will es durchsetzen. Es hälfe ihm, die Wirtschaftsbeziehungen zu einem Pol auszubauen und so zur Basis für eine multipolare Welt beizutragen. Es hälfe ihm auch, Brasiliens mächtige Konzernherren bei Laune zu halten, die bereits in den 2000er Jahren mit umfangreichen Investitionen in Afrika satte Profite machten und die nun nicht nur am Persischen Golf, sondern auch in Europa möglichst viel Geld verdienen wollen. Das ist Lulas Deal. Vijay Prashad vom Tricontinental Institute for Social Research hat in anderem Zusammenhang mal von »Neoliberalismus mit südlichen Charakteristika« gesprochen; die Bezeichnung passt auch hier. Der feine, aber gewiss nicht kleine Unterschied zum Neoliberalismus mit transatlantischen Charakteristika: »Wir sind nicht mehr kolonisiert, wir sind unabhängig«, hat Lula am Wochenende erklärt; er bezog das auf die penetranten Nachforderungen der EU zum Mercosur-Abkommen: »Wir wollen mit Respekt behandelt werden.«

Dazu gehört auch, früheren Kolonien außenpolitische Unabhängigkeit zuzugestehen. Keiner der westlichen Profiteure der alten neokolonialen Welt tut das freiwillig, auch Deutschland nicht. Als Scholz im Januar bei seinem Besuch in Brasília die dortige Regierung aufforderte, der Ukraine Munition zu liefern, überzog er und wurde von Lula vor versammelter Presse abgewatscht. Als Außenministerin Baerbock im Juni in Brasilien eintraf, organisierte sich ihr Amtskollege Vieira allerlei Termine in Afrika, um einen Grund zu haben, der zu erwartenden Predigt zu entgehen. Auch am Montag suchte Scholz seine Gäste zu bewegen, in puncto Ukraine und Israel dem westlichen Kurs zu folgen. Lula und andere werden noch viel zu kämpfen haben.

QOSHE - Kampf um Respekt - Jörg Kronauer
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Kampf um Respekt

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04.12.2023

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