Shamil Zhumatov/REUTERS

Sitz der russischen Zentralbank in Moskau

Woher nehmen und nicht stehlen? Das war mit Blick auf die immensen Kosten des Ukraine-Kriegs eine der zentralen Fragen, mit denen sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem aktuellen Gipfeltreffen bereits am Donnerstag befassten. Schon die viele Munition und die Waffen sind extrem teuer, doch sie sind ja bekanntlich bei weitem nicht alles; Millionen ukrainische Flüchtlinge müssen versorgt, der Kiewer Staatsetat muss mit gewaltigen Summen notdürftig gestützt werden. Kurz vor dem Gipfel, am Mittwoch, zahlte Brüssel die ersten 4,5 von den insgesamt 50 Milliarden aus, die es Kiew bis inklusive 2027 zur Verfügung stellen will – ein Tropfen auf den heißen Stein, und schon der Beschluss darüber war am 1. Februar nur mit Hängen und Würgen nach aufreibenden Auseinandersetzungen zustande gekommen. Klar ist dabei: All das reicht, zumal die USA als Finanzier wohl ausfallen, noch längst nicht aus.

Und nun? Was bleibt, sind vor allem Appelle und das Schleifen von Tabus. Was die Appelle anbelangt, spielen Berlin und Paris wieder einmal Pingpong. Kanzler Olaf Scholz forderte in Brüssel im Ton des heldenhaften Mahners die anderen Staats- und Regierungschefs auf, doch gefälligst ein wenig mehr für die Ukraine zu zahlen. Nun sind allerdings gerade die nach Deutschland wirtschaftsstärksten EU-Staaten, Frankreich und Italien, stark verschuldet und müssen ohnehin knapsen. Präsident Emmanuel Macron plädierte denn auch dafür, für die Ukraine ein neues EU-Schuldenprogramm aufzulegen; damit jedoch stieß er beim gefühlten Austeritätsweltmeister Berlin auf harten Widerspruch. Konsensfähig schien es zu sein, die Europäische Investitionsbank (EIB) aufzufordern, künftig auch für Rüstungsprojekte Geld zur Verfügung zu stellen. Bislang tut sie das nicht – aus ökonomisch gutem Grund: Rüstung gilt als, nun ja, nicht nachhaltig; manche fürchten jetzt um die Bonität der EIB.

Weil das aber alles hinten und vorne nicht reicht, wird bereits seit längerem ein weiterer Schritt diskutiert – der Zugriff auf die in der EU eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank, immerhin etwa 210 Milliarden Euro. Fremde Staaten eigenmächtig zu enteignen, das ist in dieser Form neu. In einem ersten Schritt sollen die Zinsen aus den Guthaben beschlagnahmt werden – »Erträge, die niemandem zustehen«, behauptete Scholz in einer überraschenden Interpretation des bürgerlichen Eigentumsrechts. Manche EU-Staaten widersetzten sich der neuartigen Scholz-Doktrin am Donnerstag noch. Sollte sie sich durchsetzen, dann darf man gespannt sein, wie Moskau mit – dann vermutlich ebenso herrenlosen – Erträgen von EU-Firmen in Russland umgehen wird. Nehmen und stehlen – wer das zum Prinzip erhebt, reißt einen weiteren Teil der bürgerlichen Ordnung ein, und das nach Lage der Dinge nicht zugunsten des Fortschritts, sondern der Barbarei.

QOSHE - Nehmen und stehlen - Jörg Kronauer
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Nehmen und stehlen

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21.03.2024

Shamil Zhumatov/REUTERS

Sitz der russischen Zentralbank in Moskau

Woher nehmen und nicht stehlen? Das war mit Blick auf die immensen Kosten des Ukraine-Kriegs eine der zentralen Fragen, mit denen sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem aktuellen Gipfeltreffen bereits am Donnerstag befassten. Schon die viele Munition und die Waffen sind extrem teuer, doch sie sind ja bekanntlich bei weitem nicht alles; Millionen ukrainische Flüchtlinge müssen versorgt, der Kiewer Staatsetat muss mit gewaltigen Summen notdürftig gestützt werden. Kurz vor dem Gipfel, am Mittwoch, zahlte Brüssel die ersten 4,5 von den insgesamt 50 Milliarden aus, die es Kiew bis inklusive 2027 zur Verfügung stellen will – ein Tropfen........

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