Gonzalo Fuentes/RTR/AP/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (M.) im Élysée-Palast (Paris, 24.2.2024)

Streit ist schon seit längerem mehr oder weniger die Daseinsform der Beziehungen zwischen den Regierungen in Berlin und Paris. Die zahlreichen, tiefsitzenden deutsch-französischen Differenzen sind alt und bekannt. Frankreich hat beispielsweise ein pragmatisches Verhältnis zu staatlichen Schulden, während Deutschland gewöhnlich den Sparkommissar spielt – jedenfalls so lange es nicht selbst, etwa im Rahmen eines »Doppelwumms«, mit Hunderten Milliarden Euro um sich wirft. Paris hat starke Interessen rings um das Mittelmeer und in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien, während Berlin traditionell seine Dominanz über Ost- und Südosteuropa auszubauen sucht. Frankreich setzt auf Atomkraft, Deutschland schafft sie ab. Und dann wären da nicht zuletzt die Streitigkeiten in Rüstungsfragen. Kanzler Olaf Scholz initiiert den Aufbau eines europäischen Raketenabwehrsystems, kauft das Gerät dazu aber in Israel und den USA statt in Frankreich ein, während deutsche Waffenschmieden die französische Konkurrenz beim gemeinsam geplanten Kampfjet und beim gemeinsam geplanten Kampfpanzer nach Kräften übers Ohr zu hauen versuchen; umgekehrt natürlich auch.

Man zofft sich, und man tut das, wie könnte es anders sein, auch im Kontext des Ukraine-Kriegs. Berlin macht Dutzende Milliarden Euro für Kiew locker – und beschwert sich über Paris, das es bislang bei einigen Milliarden belässt. Paris wettert öffentlich zurück, verweist darauf, dass die pompösen Berliner Beträge zu einem nicht geringen Teil aus großspurigen, nicht eingelösten Versprechungen bestehen – und es hat damit recht. Der Münchner »Sicherheitskonferenz« blieb Präsident Emmanuel Macron diesmal demonstrativ fern, mokierte sich über die schlechte Stimmung dort und lud kurz darauf zum Ukraine-Gipfel am vergangenen Montag abend, um endlich wieder Schwung in die Sache zu bringen; Subtext: Das können bloß die energiegeladenen Franzosen, nicht die zerstrittenen, kleinkarierten Ampelteutonen. Und dann preschte Macron mit seinen knackigen Bodentruppensprüchen vor: Ha! Da hat man’s dem knickrigen »No ›TAURUS‹«-Scholz doch mal wieder so richtig gezeigt.

Der übliche Streit also? Nun, nicht ganz. Deutschland steckt in der Krise, schwächelt, gilt international längst als »kranker Mann Europas« – und ein Aufschwung ist nicht wirklich in Sicht. Bietet das Frankreich die Chance, die deutsche Dominanz in der EU ein Stück weit abzuschütteln? Macron versucht es jedenfalls, und er setzt dabei unter anderem auf die Kooperation mit den antirussischen Hardlinern im Osten der Union, denen Berlin nicht hart genug gegen Moskau kämpft. Erst kürzlich hat er den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk für einen französischen Nuklearschirm über der EU zu gewinnen versucht, den Berlin ablehnt, weil Paris ihm dabei keinerlei Mitbestimmung gewährt. Am Montag abend hat er nun selbst den Hardliner im Ukraine-Krieg gegeben und damit in Ost- und Südosteuropa auf deutsche Kosten zu punkten versucht. So geht er eben, der Kampf um die Führung in Europa.

QOSHE - Um die Führung - Jörg Kronauer
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Um die Führung

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28.02.2024

Gonzalo Fuentes/RTR/AP/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (M.) im Élysée-Palast (Paris, 24.2.2024)

Streit ist schon seit längerem mehr oder weniger die Daseinsform der Beziehungen zwischen den Regierungen in Berlin und Paris. Die zahlreichen, tiefsitzenden deutsch-französischen Differenzen sind alt und bekannt. Frankreich hat beispielsweise ein pragmatisches Verhältnis zu staatlichen Schulden, während Deutschland gewöhnlich den Sparkommissar spielt – jedenfalls so lange es nicht selbst, etwa im Rahmen eines »Doppelwumms«, mit Hunderten Milliarden Euro um sich wirft. Paris hat starke Interessen rings um das Mittelmeer und in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien, während Berlin traditionell seine Dominanz über Ost- und Südosteuropa........

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