Gleb Garanich/REUTERS

Lieber engere Zusammenarbeit als ein Verhandlungsfrieden: NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit Ukraines Präsidenten Selenskij (Kiew, 28.9.2023)

Chancen hat es zur Genüge gegeben, den Krieg zu verhindern, der am 24. Februar vor zwei Jahren begann. Nein, natürlich hätte Russland die Ukraine nicht angreifen müssen. Aber ebensowenig waren die NATO-Staaten gezwungen, das Angebot brüsk auszuschlagen, das ihnen Präsident Wladimir Putin Ende 2021 machte: Sicherten sie zu, ihr Bündnis nicht weiter auszudehnen, dann werde es auch keinen Krieg gegen die Ukraine geben – so fasste NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Moskaus Vorschlag im September 2023 vor Abgeordneten des EU-Parlaments zusammen. »Natürlich haben wir das nicht unterschrieben«, brüstete sich Stoltenberg; denn dass die NATO auf ihre weitere Expansion verzichtete, kam für die herrschaftsgewohnten Eliten des Westens nicht in Frage. Damit war die vielleicht letzte echte Chance, den Krieg abzuwenden, vertan.

Chancen, den Krieg frühzeitig zu beenden, hat es ebenfalls gegeben. Ende 2023 hat Oberst a. D. Wolfgang Richter in einer Analyse für die Friedrich-Ebert-Stiftung einen Überblick über die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew vorgelegt, die bereits am 28. Februar 2022 unter türkisch-israelischer Vermittlung begannen und am 18. Mai von Kiew offiziell abgebrochen wurden. Richters Fazit: Hätten die NATO-Mächte damals einen Kompromiss zwischen beiden Seiten unterstützt, wären ein Waffenstillstand und womöglich sogar ein Friedensabkommen machbar gewesen. Die westlichen Staaten taten jedoch das Gegenteil. So etwa der britische Premierminister Boris Johnson, als er der ukrainischen Regierung am 9. April in Kiew empfahl, mit westlichen Waffen weiterzukämpfen. Damit war die erste Chance, den Krieg zu beenden, vertan.

Es hat weitere Chancen gegeben. Vor genau einem Jahr legte China ein Zwölfpunktepapier vor, in dem es Schritte hin zu einem politischen Abgleich zwischen Russland und der Ukraine skizzierte. Beijing begann zwischen beiden Seiten zu vermitteln, stieß bald aber auf Granit: Im Westen hieß es, bevor man verhandle, solle Kiew erst mit einer großen Frühjahrsoffensive die russischen Streitkräfte zurückdrängen und Moskau unter Druck setzen. Die nächste Chance war vorbei.

Stört’s den Westen? Nicht unbedingt, meinte kürzlich die Chefredakteurin der Zeitschrift The Economist, Zanny Minton Beddoes: Den Ukrainern Waffen zu geben, damit sie gegen Russland kämpften, das sei die wohl billigste Methode für die USA, ihren russischen Rivalen zu schwächen. Deutschland wiederum fürchtet, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« einräumte, Moskau könne ihm seine Dominanz in Ost- und Südosteuropa streitig machen. Deshalb müsse Russland, heißt es in dem Ukraine-Antrag, den der Bundestag am Donnerstag verabschiedete, »diesen Krieg verlieren«. Auch das aber bedeutet: Die Ukraine soll weiterkämpfen. Bleibt Berlin bei der Forderung nach einem Kiewer Sieg, dann gibt es wohl keine Chance auf einen Waffenstillstand mehr.

QOSHE - Vertane Chancen - Jörg Kronauer
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Vertane Chancen

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23.02.2024

Gleb Garanich/REUTERS

Lieber engere Zusammenarbeit als ein Verhandlungsfrieden: NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit Ukraines Präsidenten Selenskij (Kiew, 28.9.2023)

Chancen hat es zur Genüge gegeben, den Krieg zu verhindern, der am 24. Februar vor zwei Jahren begann. Nein, natürlich hätte Russland die Ukraine nicht angreifen müssen. Aber ebensowenig waren die NATO-Staaten gezwungen, das Angebot brüsk auszuschlagen, das ihnen Präsident Wladimir Putin Ende 2021 machte: Sicherten sie zu, ihr Bündnis nicht weiter auszudehnen, dann werde es auch keinen Krieg gegen die Ukraine geben – so fasste NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Moskaus Vorschlag im September 2023 vor Abgeordneten des EU-Parlaments zusammen. »Natürlich haben wir das nicht unterschrieben«,........

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