Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Außenministerin Annalena Baerbock und ihr maltesischer Amtskollege Ian Borg in Skopje

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hat die Lage der Dinge kurz vor dem diesjährigen OSZE-Ministerrat auf den Punkt gebracht. »Die OSZE«, konstatierte er trocken, »hängt an der Herz-Lungen-Maschine.« Wie jede Organisation, die ihre Beschlüsse im Konsens fasst, trägt sie nur so weit wie die Gemeinsamkeiten ihrer Mitgliedstaaten. Die aber sind in Kriegszeiten denkbar gering. Kein Wunder also, dass die OSZE seit dem 24. Februar vergangenen Jahres alle Hände voll damit zu tun hat, sich »über Wasser zu halten«, um noch mal Schallenberg zu zitieren. Dass einige osteuropäische Teilnehmerstaaten das Treffen in Skopje boykottieren, weil Russlands Außenminister Sergej Lawrow angereist ist; die Entscheidung Bulgariens, kurzfristig seinen Luftraum für Lawrows Flugzeug zu sperren, da auch Lawrows Pressesprecherin Marija Sacharowa darin saß – all dies macht die Lage für die OSZE nicht einfacher. Vermutlich sehnt so mancher östliche EU-Staat einen dauerhaften Ausschluss Russlands herbei.

Den aber wünscht außer der hart antirussischen Bekenntnisfront in Osteuropa niemand, nicht einmal Annalena Baerbock. Die deutsche 360-Grad-Ministerin gegen Russland und China hat vor dem Ministerrat in Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje ausdrücklich betont, sie werde alles tun, um die OSZE zu retten. Und dazu hat Berlin aus blankem Eigeninteresse auch allen Grund. Die Organisation ist nicht nur mit sogenannten Missionen in zahlreichen Ländern von Südosteuropa bis Zentralasien präsent und ermöglicht es, sich dort in staatliche Aktivitäten einzumischen. Sie entsendet Beobachterdelegationen zu Wahlen, die man dann, je nach Interesse, vor internationalem Publikum entweder empört anprangern oder auch gönnerhaft loben kann wie erst kürzlich die Wahlen in Moldau. Selbst bei der Rüstungskontrolle hilft die OSZE, und auch wenn es um diese derzeit schlecht bestellt ist: Ein Instrument, das sich als nützlich erwiesen hat, gibt niemand freiwillig aus der Hand.

Und Russland? Solange die OSZE in ihren »Missionen«, in ihrer Rüstungskontrolle mit Sicherheitsfragen in Europa befasst ist, kommt sie um das Land nicht herum. Dazu ist es zu mächtig. »Unsere Lebenslinie in Richtung Zentralasien und Kaukasus« – so stuft Schallenberg die OSZE ein. Wäre Russland nicht Mitglied, die Chancen stünden für sie deutlich schlechter, dort etwas zu erreichen. Und last but not least: Die OSZE könnte sich, wenn der Ukraine-Krieg einmal zu einem Ende kommt, als äußerst hilfreich erweisen, für Kontrollfunktionen etwa, die man an einer Waffenstillstandslinie braucht. Schallenberg hält sie für derlei Aktivitäten sogar für »unersetzlich«. Wer gegen Russland einzig und allein auf die Fortsetzung des Ukraine-Krieges setzt, kann sie wegen Lawrows Anwesenheit hemmungslos boykottieren. Wer realisiert, dass der Westen dies auf Dauer schwer durchhalten kann, wird sich die OSZE warmhalten wollen.

QOSHE - Wird noch gebraucht - Jörg Kronauer
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30.11.2023

Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Außenministerin Annalena Baerbock und ihr maltesischer Amtskollege Ian Borg in Skopje

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hat die Lage der Dinge kurz vor dem diesjährigen OSZE-Ministerrat auf den Punkt gebracht. »Die OSZE«, konstatierte er trocken, »hängt an der Herz-Lungen-Maschine.« Wie jede Organisation, die ihre Beschlüsse im Konsens fasst, trägt sie nur so weit wie die Gemeinsamkeiten ihrer Mitgliedstaaten. Die aber sind in Kriegszeiten denkbar gering. Kein Wunder also, dass die OSZE seit dem 24. Februar vergangenen Jahres alle Hände voll damit zu tun hat, sich »über Wasser zu halten«, um noch mal Schallenberg zu zitieren. Dass einige osteuropäische Teilnehmerstaaten das Treffen........

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