Li Xueren/IMAGO/Xinhua

Persönlicher Kontakt für den Notfall: Joseph Biden (r.) mit Xi Jinping

Dreierlei kann man festhalten nach dem medial so aufwendig inszenierten Gespräch zwischen US-Präsident Joseph Biden und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Das erste: Washington hat sein wohl wichtigstes Ziel erreicht. Die Kommunikationskanäle, die für Krisen, für Notfälle wichtig sind, sind wieder offen – derjenige zwischen Biden und Xi, vor allem aber diejenigen zwischen den Streitkräften beider Länder. Dass die US-Regierung so hartnäckig auf ihre Öffnung gedrungen hat, bestätigt: Sie hält es für gut möglich, dass ein krisenhafter Notfall eintritt, eine ungewollte Kollision zweier Kriegsschiffe, zweier Militärflugzeuge beispielsweise. Denn sie hat nicht vor, ihre Provokationen in der Asien-Pazifik-Region, vor allem im Südchinesischen Meer, zu beenden. Sie will nur verhindern, dass eine Provokation zu einer für sie ungünstigen Zeit zum Krieg eskaliert. Offene Kommunikationskanäle können das verhindern.

Das zweite: Washington zündelt in puncto Taiwan unverändert. Xi hat in San Francisco wiederholt, was man längst weiß: Beijing strebt eine friedliche Wiedervereinigung an, plant keine militärische Invasion – es sei denn, die Insel spaltet sich in aller Form von China ab. Ein US-Regierungsmitarbeiter hat berichtet, Xi habe Biden im Detail informiert, was genau in diesem Zusammenhang einen chinesischen Militäreinsatz auslösen würde. Mit anderen Worten: Xi hat Beijings rote Linien durchdekliniert. Biden blieb zweideutig: Er behauptete zwar, keine Abspaltung der Insel zu wünschen; doch hält die US-Regierung an Taiwans umfassender Aufrüstung fest, die die Voraussetzungen für eine etwaige Sezession schafft. Man weiß seit dem 24. Februar 2022, was passieren kann, wenn rote Linien großer Mächte missachtet werden. Biden weiß es auch; er hat es schon einmal getan.

Und das dritte: Biden hat die Ergebnisse des Treffens mit seinen letzten Worten auf der anschließenden Pressekonferenz mutwillig zunichte gemacht. Er hat Xi unmittelbar nach dem Gespräch, das er selbst als offen und ehrlich lobte, einen »Diktator« genannt. Das mag in den USA, wo Beleidigungen längst zum politischen Alltag gehören, nichts Besonderes sein. In Ostasien aber, wo es zum Grundbestand der Kultur gehört, das Gesicht seines Gegenübers zu wahren, wiegt das so schwer wie ein Dolchstoß in den Rücken. Man weiß, dass das Treffen der beiden Präsidenten aus Sicht Washingtons nicht dazu dienen sollte, die Beziehungen zwischen beiden Staaten zu verbessern, sondern dazu, die erwähnten Kommunikationskanäle für etwaige Notfälle wiederherzustellen. Vielleicht wollte Biden nur klarstellen, dass mit einer Annäherung an Beijing nicht zu rechnen ist. Wie auch immer – klargestellt hat er damit letztlich nur eines: Auf Absprachen mit ihm und mit seiner Regierung ist kein Verlass. Das ist nicht neu. Ob Beijing sich aber noch an die Absprachen mit ihm gebunden fühlt – und wenn ja, wie lange –, das ist nun wieder offen.

QOSHE - Zündelei nicht vorbei - Jörg Kronauer
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Zündelei nicht vorbei

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16.11.2023

Li Xueren/IMAGO/Xinhua

Persönlicher Kontakt für den Notfall: Joseph Biden (r.) mit Xi Jinping

Dreierlei kann man festhalten nach dem medial so aufwendig inszenierten Gespräch zwischen US-Präsident Joseph Biden und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Das erste: Washington hat sein wohl wichtigstes Ziel erreicht. Die Kommunikationskanäle, die für Krisen, für Notfälle wichtig sind, sind wieder offen – derjenige zwischen Biden und Xi, vor allem aber diejenigen zwischen den Streitkräften beider Länder. Dass die US-Regierung so hartnäckig auf ihre Öffnung gedrungen hat, bestätigt: Sie hält es für gut möglich, dass ein krisenhafter Notfall eintritt, eine ungewollte Kollision zweier Kriegsschiffe, zweier Militärflugzeuge........

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