Parliament of Georgia/Handout via REUTERS

Für die »Demokratie«: Faustschlag gegen den Regierungsabgeordneten Mdinaradze am Montag im Parlament in Tbilissi

Nach der klassischen »Drei-Elemente-Lehre« besteht ein Staat aus: a) einem Stück Erdoberfläche (Staatsgebiet), b) den dort lebenden Menschen, die er zu seinem Staatsvolk erklärt, und c) der Herrschaft, die dieser Staat innerhalb seiner territorialen Grenzen ausübt. Diese Konstruktion ist tautologisch, weil genau die – unbestrittene – Herrschaft das Territorium und seine Grenzen definiert sowie entscheidet, wer zum Staatsvolk gehört und wer demzufolge nicht.

Ohnehin ist die politische Praxis inzwischen über diesen Formalismus weit hinaus. Zu besichtigen zuletzt am Freitag, als der Bundeskanzler den georgischen Regierungschef Irakli Kobachidze zu Gast hatte und ihm ins Gewissen redete: Ein Gesetz über die »Transparenz der Öffentlichkeit« dürfe nicht beschlossen werden, weil es »den europäischen Prinzipien widerspreche«, und die EU erwarte, dass Georgien dieser Kritik Rechnung trage, wenn es seinen Beitrittswunsch ernst nehme. Scholz mahnte auch den »friedlichen Umgang von Regierung und Opposition« miteinander an und bekam nach drei Tagen die Antwort der georgischen EU-Fans. Die prügelten den Fraktionschef der Regierungspartei vom Rednerpult herunter, als dieser das erwähnte Gesetz ins Parlament einbringen wollte. Der Kern der Kritik der »Proeuropäer«: das Gesetz ähnele dem russischen über »ausländische Agenten«, indem es Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes aus dem Ausland erhalten, zwinge, dies einmal im Jahr gegenüber den Behörden anzumelden.

Es ist nämlich genau umgekehrt: die EU und die USA beharren auf ihrem Recht, sich qua überlegener Finanzkraft etwas leisten zu können, was ein Kleinstaat wie Georgien schon organisatorisch nicht hinbekäme: in anderen Ländern Parallelöffentlichkeiten zu organisieren. Ein großer Teil der georgischen »Zivilgesellschaft« wird aus Washington und Brüssel am Leben gehalten. Man könnte ja sagen: Sollen sie doch irgendwelche Vereine in Georgien finanzieren, die dann das Lied derer singen, deren Brot sie essen; nur sind dieselben Regierungen des Westens, die sich sorgen, dass ihre Kreaturen zu »ausländischen Agenten« erklärt werden, nicht minder als Russland oder China bemüht, Firewalls im Internet zu errichten und (von ihnen) unabhängige Teilöffentlichkeiten zu Quellen von »Desinformation« zu erklären.

Alle Staaten ergänzen inzwischen ihr Staatsterritorium um das Postulat eines »Informationsraums«, in dem ihre Interpretation der Weltlage allein Geltung beanspruchen darf. Es geht um die Kontrolle der Köpfe, damit unerwünschte Fragen erst gar nicht gestellt werden können. Wie sagte einst Immanuel Kant: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.« Das ging damals gegen die Kirche und geht heute gegen den Exklusivitätsanspruch in den »Informationsräumen«.

QOSHE - Kampf um die Köpfe - Reinhard Lauterbach
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Kampf um die Köpfe

18 0
16.04.2024

Parliament of Georgia/Handout via REUTERS

Für die »Demokratie«: Faustschlag gegen den Regierungsabgeordneten Mdinaradze am Montag im Parlament in Tbilissi

Nach der klassischen »Drei-Elemente-Lehre« besteht ein Staat aus: a) einem Stück Erdoberfläche (Staatsgebiet), b) den dort lebenden Menschen, die er zu seinem Staatsvolk erklärt, und c) der Herrschaft, die dieser Staat innerhalb seiner territorialen Grenzen ausübt. Diese Konstruktion ist tautologisch, weil genau die – unbestrittene – Herrschaft das Territorium und seine Grenzen definiert sowie entscheidet, wer zum Staatsvolk gehört und wer demzufolge nicht.

Ohnehin ist die politische Praxis inzwischen über diesen Formalismus weit hinaus. Zu besichtigen........

© Junge Welt


Get it on Google Play