Viacheslav Ratynskyi/REUTERS

Maskottchen schützen nicht vor Beschuss mit scharfer Munition (Charkiw, 25.12.2023)

Wenn ein russischer politischer Beamter vor Hurrapatriotismus warnt, lässt das aufhorchen. Wladimir Rogow, der Gouverneur der von Russland annektierten Teile des Gebietes Saporischschja, hat genau dies getan: Die mediale Darstellung des Kriegs auf russischer Seite sei bei weitem zu optimistisch. Von Munitionsmangel auf ukrainischer Seite könne keine Rede sein, ein russischer Sieg sei keine Frage von Tagen oder Wochen, so Rogow, zu dessen Verwaltungsregion unmittelbares Frontgebiet gehört. Da hatte die Ukraine ihren spektakulären Schlag gegen den Hafen von Feodossija noch nicht geführt, der ein russisches Landungsschiff zumindest für längere Zeit außer Gefecht setzte. Ein russischer Angriff etwa auf Odessa, wie ihn sich Wladimir Putin auf seiner Jahrespressekonferenz vor zwei Wochen noch ausdrücklich vorbehielt, ist damit unwahrscheinlicher geworden. Vielleicht ist der Krieg doch näher an dem von der ukrainischen Seite beklagten »Patt« als daran, dass Russland ihn gewinne, wie es im Kreml in Reaktion auf die Pattrede des ukrainischen Oberkommandierenden hieß?

Was der Spiegel am Freitag über den Verlauf eines Dinners in der deutschen Botschaft in Washington mit US-amerikanischen Russland-Experten Ende Oktober berichtet, deutet darauf hin, dass sich die westliche Politik in der eigenen Rhetorik verfangen hat und dies auch weiß: Die Formel, die Ukraine werde so lange unterstützt, wie dies »nötig« sei, habe die politischen Optionen auf westlicher Seite verengt und die Entscheidung über ein Kriegsende in die Hand der Kiewer Machthaber gelegt, sei von den Teilnehmern beklagt worden. Wolodimir Selenskij und seine Mannschaft aber verfolgen mit dem Krieg auch ihren eigenen Machterhalt. Denn solange der Krieg dauert, sind die eigentlich 2024 anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gesetzlich verboten. Ob Selenskij diese Wahlen gewinnen kann, ist eine sehr offene Frage. In dieser Situation unterzeichnet kein Präsident gerne einen Frieden, der ohne Gebietsverluste für die Ukraine wohl nicht stattfinden wird.

Russland hat zwar die Kontrolle über die Westhälfte des Schwarzen Meeres verloren, am Boden ist es materiell und personell jedoch noch immer überlegen. Damit ist es auch für Wladimir Putin politisch lohnender, den Krieg zumindest bis über den russischen Wahltermin am 17. März hinaus fortzuführen. Das entscheidende Hindernis für eine Verhandlungslösung ist der Mangel an Vertrauen in die Vertragstreue der jeweils anderen Seite. Jede Partei unterstellt der anderen, den Krieg bei erster Gelegenheit fortsetzen zu wollen, egal, was jetzt oder demnächst vereinbart würde. Und der Dritte im Spiel, der kollektive Westen, wäre in seiner Weltordnungspolitik blamiert, wenn er jetzt die Ukraine fallenließe. Da ist es einfacher, weiter Krieg zu führen bzw. führen zu lassen.

QOSHE - Kein Frieden in Sicht - Reinhard Lauterbach
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Kein Frieden in Sicht

6 0
26.12.2023

Viacheslav Ratynskyi/REUTERS

Maskottchen schützen nicht vor Beschuss mit scharfer Munition (Charkiw, 25.12.2023)

Wenn ein russischer politischer Beamter vor Hurrapatriotismus warnt, lässt das aufhorchen. Wladimir Rogow, der Gouverneur der von Russland annektierten Teile des Gebietes Saporischschja, hat genau dies getan: Die mediale Darstellung des Kriegs auf russischer Seite sei bei weitem zu optimistisch. Von Munitionsmangel auf ukrainischer Seite könne keine Rede sein, ein russischer Sieg sei keine Frage von Tagen oder Wochen, so Rogow, zu dessen Verwaltungsregion unmittelbares Frontgebiet gehört. Da hatte die Ukraine ihren spektakulären Schlag gegen den Hafen von Feodossija noch nicht geführt, der ein russisches........

© Junge Welt


Get it on Google Play