Gastkolumnistin Nadja Wenger sinniert darüber, woher die Angst vor Zecken kommt, und erklärt, warum sie weiterhin im Wald joggen wird.

Nach einem langen Dauerlauf hatte sie auch mich erwischt – die Zecke. Ganz unschuldig hatte sie sich in meiner Kniekehle festgebissen. So klein sie auch sind, so gefährlich können sie sein. Sofort kamen mir die Horrorszenarien von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und Borreliose in den Sinn. Denn die Gefahr, die von den kleinen Parasiten ausgeht, ist nicht zu unterschätzen: Schwere Krankheitsverläufe und bleibende Schäden wie etwa eine Hirnhautentzündung sind möglich.

Manchmal ist es schon erstaunlich, wie viel Panik und Angst das kleine Tierchen auslösen kann. Als hätte sich eine gesellschaftliche Phobie gegenüber diesem Parasiten entwickelt, die weit über seine tatsächliche Gefährlichkeit hinausgeht. Denn wie ich bei meinen Recherchen zur fachgerechten Zeckenentfernung feststellen musste, ist die statistische Wahrscheinlichkeit, durch einen Zeckenstich ernsthaft zu erkranken, geringer, als man annehmen würde.

Diese Angst vor dem Unbekannten, vor dem, was wir nicht kontrollieren können, ist ein tief verwurzeltes menschliches Gefühl, das vermutlich aus einer Zeit stammt, in der das Überleben oft davon abhing, potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen. Diese angeborene Angst ist auch heute noch in unserer Gesellschaft spürbar. Wir neigen oft dazu, das Unbekannte zu fürchten.

Die Zecke ist ein Paradebeispiel dafür, wie wir gerne in Gut und Böse einteilen. Doch trotz der sehr realen Gefahr, die von Zecken ausgeht, haben diese auch ihren Nutzen. Sie dienen anderen Tieren als Nahrungsquelle und regulieren Populationen.

Die Beziehung zwischen Mensch und Zecke ist also ein komplexes Zusammenspiel von Angst, Vorsicht, aber auch Nutzen. Die Angst darf uns nicht dazu verleiten, auf den ersten Blick Unnützes pauschal zu verurteilen. So werde ich trotz der lästigen Tierchen weiterhin im Wald unterwegs sein. Denn sie erinnern mich daran, dass sowohl die Natur als auch die Gesellschaft komplex und vielschichtig ist.

Mit diesem Text verabschiedet sich unsere Gast­kolumnistin Nadja Wenger, Eisschnellläuferin aus Schenkon. Wir danken ihr herzlich für ihr Engagement. Am Freitag äussern sich jeweils Gastkolumnisten und Redaktorinnen unserer Zeitung zu einem frei gewählten Thema.

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Ansteckungsangst – woher die Angst vor einem Zeckenbiss kommt

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26.04.2024

Gastkolumnistin Nadja Wenger sinniert darüber, woher die Angst vor Zecken kommt, und erklärt, warum sie weiterhin im Wald joggen wird.

Nach einem langen Dauerlauf hatte sie auch mich erwischt – die Zecke. Ganz unschuldig hatte sie sich in meiner Kniekehle festgebissen. So klein sie auch sind, so gefährlich können sie sein. Sofort kamen mir die Horrorszenarien von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und Borreliose in den Sinn. Denn die Gefahr, die von den kleinen Parasiten ausgeht, ist nicht zu unterschätzen: Schwere Krankheitsverläufe und bleibende Schäden wie etwa eine........

© Luzerner Zeitung


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