Das Bild »Paragraph 218« der Malerin Alice Lex-Nerlinger zeigt eine Gruppe Frauen, die ein Kreuz mit der Aufschrift »§218« zu Fall bringt. Es ist aus dem Jahre 1931. Wir führen noch immer die gleiche Diskussion, die Lex-Nerlinger und ihre Genoss*innen bereits vor fast 100 Jahren geführt haben. Denn Abtreibung ist in Deutschland nach wie vor nicht legal, sondern lediglich straffrei – geregelt durch den von Lex-Nerlinger kritisierten Paragraphen. Erst wenn die ungewollt schwangere Person ein paar erniedrigende Gespräche, ob sie das Kind denn wirklich nicht austragen will, über sich hat ergehen lassen müssen und im Regelfall zwischen 350 und 650 Euro auf den Tisch gelegt hat, darf der Abort durchgeführt werden.

Voraussetzung ist, dass sich ein*e Ärzt*in finden lässt – gerade in ländlichen Gebieten gibt es kaum Medizinier*innen, die den Eingriff ausüben. Dies liegt unter anderem daran, dass es nach wie vor ein beliebtes Hobby von Rechtextremen, christlichen Fundamentalist*innen und Männerrechtlern ist, diese Ärzt*innen und ihre Patient*innen zu bedrohen. Das begründen sie ganz dreist mit dem »Schutz ungeborenen Lebens«. Unter dieser Prämisse betreiben christliche FundamentalistInnen auch »Beratungszentren«, die suggerieren, sie würden Unterstützung bei ungewollten Schwangerschaften anbieten – nur um die Betroffenen dann zu nötigen, diese doch auszutragen. Hier wird gezielt ausgenutzt, dass gerade im ruralen Raum Beratungsangebote, die einen Abbruch unterstützen, rar gesät sind.

Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.

Eine von der Ampel-Koalition eingesetzte Kommission verspricht nun Verbesserungen. Sie hat Empfehlungen für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorgelegt. Das Gremium schlägt eine Legalisierung des Abbruchs bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor.

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Es ist bezeichnend, dass es immer eine der ersten Amtshandlungen autoritärer Regime ist, Abtreibungen zu illegalisieren. Frauen sollen auf eine vermeintlich »naturgegebene« Rolle als Hausfrau und Mutter zurückgeworfen, Geschlechter außerhalb der Cisnormativität ausgelöscht werden. Der Fokus auf »traditionelle« Geschlechterrollen soll eine patriarchale Herrschaft sichern: Frauen müssen unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten, sind finanziell von ihrem Partner abhängig und müssen ihren Uterus sowohl der Volkswirtschaft als auch dem Volkskörper unterwerfen. Der Umgang autoritärer Systeme mit Kindern entlarvt die Behauptung des »Schutzes ungeborenen Lebens« übrigens schnell als Lüge. Denn sobald das ungewollte Kind auf die Welt gepresst worden ist, werden sowohl Kind als auch Eltern von seinen Fürsprecher*innen alleine gelassen.

Kinderarmut? Psychische Belastung für die Familie? Häusliche Gewalt – häufig nutzen missbräuchliche Männer Schwangerschaften, um eine Partnerin an der Trennung zu hindern? All das spielt für selbsternannte »Lebensschützer*innen« keine Rolle mehr. Denn ihnen geht es nicht um Kinder, sondern um Kontrolle. Ungewollt Schwangere zum Austragen des Fötus zu zwingen, ist nichts anderes als Gewalt.

Zudem müssen wir darüber diskutieren, wie freizügig die Gesellschaft mit dem Recht auf Abbrüche umgeht, sobald der Fötus Behinderungen aufzeigt (hierzu ist die Arbeit von Kirsten Achtelik sehr zu empfehlen): Wenn das ungeborene Leben nicht mehr in die völkische oder kapitalistische Verwertungslogik passt, ist es plötzlich gar nicht mehr so schützenswert.

Der Kampf auf das Recht auf Abtreibung ist einer der wichtigsten feministischen Kämpfe: Es geht nämlich um körperliche Autonomie gegen biologistisch begründete, patriarchale Zurichtungen. Übrigens fechten trans Personen den exakt gleichen Kampf aus – anders als transfeindliche Pseudo-Feministinnen behaupten, steht sich die politische Emanzipation von cis Frauen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen nicht im Weg, sondern sie ergänzen sich gegenseitig.

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In Frankreich wurde das Recht auf Abtreibung inzwischen in der Verfassung festgeschrieben, im sozialistischen Jugoslawien gab es das bereits 1974. Auch müssen wir im deutschsprachigen Raum darüber reden, dass die Annektion der DDR den ostdeutschen Frauen das dort in den 1970er Jahren etablierte Recht auf den Schwangerschaftsabbruch genommen hat. Die juristische Verankerung hat auch immer eine normative Wirkung – sie erschwert die moralische Verurteilung.

Abtreibung muss legalisiert, von der Krankenkasse finanziert und einfach zugänglich sein. Mit weniger sollten wir uns nicht zufrieden geben.

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Abtreibung: Ein Kampf wie vor 100 Jahren

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18.04.2024

Das Bild »Paragraph 218« der Malerin Alice Lex-Nerlinger zeigt eine Gruppe Frauen, die ein Kreuz mit der Aufschrift »§218« zu Fall bringt. Es ist aus dem Jahre 1931. Wir führen noch immer die gleiche Diskussion, die Lex-Nerlinger und ihre Genoss*innen bereits vor fast 100 Jahren geführt haben. Denn Abtreibung ist in Deutschland nach wie vor nicht legal, sondern lediglich straffrei – geregelt durch den von Lex-Nerlinger kritisierten Paragraphen. Erst wenn die ungewollt schwangere Person ein paar erniedrigende Gespräche, ob sie das Kind denn wirklich nicht austragen will, über sich hat ergehen lassen müssen und im Regelfall zwischen 350 und 650 Euro auf den Tisch gelegt hat, darf der Abort durchgeführt werden.

Voraussetzung ist, dass sich ein*e Ärzt*in finden lässt – gerade in ländlichen Gebieten gibt es kaum Medizinier*innen, die den Eingriff ausüben. Dies liegt unter anderem daran, dass es nach wie vor ein beliebtes Hobby von Rechtextremen, christlichen Fundamentalist*innen und Männerrechtlern ist, diese Ärzt*innen und ihre Patient*innen zu bedrohen. Das begründen sie ganz dreist mit dem »Schutz ungeborenen Lebens«. Unter dieser Prämisse betreiben christliche FundamentalistInnen auch »Beratungszentren«, die suggerieren, sie würden Unterstützung bei ungewollten........

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