Essen. Die einen fordern ein Kalifat, die anderen wollen den Kaiser wieder haben. Höchste Zeit, dass die Demokratie sich aktiv dagegen wehrt.

1932, nur Monate vor der Machtergreifung der Nazis, schrieb der österreichische Staatsrechtler Hans Kelsen verzweifelt klingend: „Die Demokratie ist die Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Feinde wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, dass sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muss.“ Das zu lesen macht keine gute Laune.

Zugleich erinnerte ich diese Gedanken, als es in Talkshows in dieser Woche manch relativierende Worte zur Islamisten-Demonstration in Hamburg gab. Gut 1000 Männer und verhüllte Frauen warben dort lautstark für ein Kalifat und die Anwendung der Sharia hierzulande. Ähnliches geschah vor sechs Monaten in Essen.
Hinterher meinte mancher, dass es sich halt um Meinungsfreiheit handele. Oder dass unser Land so etwas halt aushalten müsse. Nein, muss es nicht.

Ähnlich wird argumentiert, wenn es um ein Verbot der AfD geht, um die Ahndung rechtsradikaler Hetze im Netz oder wenn Reichsbürger den Kaiser wiederhaben wollen. Es fällt schwer, all diese Feinde unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats zu ertragen. Kalifats-Anbeter sollten sich doch in Afghanistan am wohlsten fühlen, Autokraten-Fans vielleicht in Nordkorea. Aber solche Verwünschungen helfen leider nicht weiter.

Möglich ist aber, dass sämtliche Extremisten hierzulande keine große Bühne bekommen, zumindest dürfen sie es nicht leicht haben. Alle sind da gefordert: Polizei, Justiz, Politiker. Natürlich auch wir als Wählerinnen und Wähler.

Dass demokratische Gegenwehr richtig ist, hat Kelsen später im US-Exil (er musste als Jude fliehen) so formuliert: „Die Freiheit findet dort ihre Grenzen, wo sie die Freiheit selbst bedroht.“ Damit revidierte er seinen pessimistischen Satz von oben. Richtig so. Die Gegner unseres Gemeinwesens dürfen nicht fröhlich skandieren und hetzen. Unsere Demokratie ist wehrhaft angelegt, gerade nach den Erfahrungen aus der Nazi-Zeit. Es wird Zeit, dass sie die Muskeln spannt.

QOSHE - Nein, die Demokratie muss nicht alles aushalten - Manfred Lachniet
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Nein, die Demokratie muss nicht alles aushalten

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03.05.2024

Essen. Die einen fordern ein Kalifat, die anderen wollen den Kaiser wieder haben. Höchste Zeit, dass die Demokratie sich aktiv dagegen wehrt.

1932, nur Monate vor der Machtergreifung der Nazis, schrieb der österreichische Staatsrechtler Hans Kelsen verzweifelt klingend: „Die Demokratie ist die Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Feinde wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, dass sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muss.“ Das zu lesen macht keine gute Laune.

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