Deutsche Bahn und GdL haben sich auf einen erstaunlich klugen Tarifvertrag geeinigt. Noch klüger wäre es, jetzt weitere Weichen zu stellen.

Fangen wir mit den guten Nachrichten an: Bahnkunden müssen zunächst – zumindest bis ins Frühjahr 2025 – keine weiteren Streiks fürchten. Und der Tarifvertrag, den Deutsche Bahn und Gewerkschaft der Lokomotivführer jetzt ausgehandelt haben, ist in einigen Punkten zukunftsweisend.

Die Auswirkungen im Alltag muss man abwarten, aber besonders klug klingt vor allem das Modell zur zeitlichen Flexibilität. Ja, man kann seine Arbeitszeit ohne Lohnverlust auf 35 Stunden in der Woche herunterfahren. Damit wurde die Kernforderung der GDL erfüllt. Auf der anderen Seite können die Mitarbeiter auch bis zu 40 Stunden arbeiten. Und bekommen dafür noch ein Zückerchen obendrauf.

Für die Bahn in Zeiten des Fachkräftemangels bedeutet das auch, Dienstpläne auszutüfteln, die längeres Arbeiten attraktiv machen, um so den alltäglich zu besichtigenden Personalmangel samt Zugausfällen zu minimieren. Derlei Arbeitszeitmodelle könnten eine wichtige Weichenstellung sein.

Auf der anderen Seite bleiben Fragen offen: Was wird aus der merkwürdigen Konstruktion der von Gewerkschaftsseite gegründeten Genossenschaft für Leihlokführer? Wie ist die Strategie des scheidenden Claus Weselski und der GdL zu bewerten, dass er mit knapp 30 Unternehmen freudestrahlend Tarifverträge abschließt, die die 35-Stunden-Woche einführen und so den „großen“ Tarifpartner Deutsche Bahn und sich selbst unter Druck setzt.

Denn die 28 Verträge enthalten sämtlich im Kleingedruckten die Klausel, dass die Bahnunternehmen Nachverhandlungen durchdrücken können, wenn die GdL mit der Bahn andere Konditionen vereinbart.

Solche Nachverhandlungen wird es laut Bahn auch mit der EVG, der größeren Bahngewerkschaft, nicht geben. So entstehen Beschäftigte erster und zweiter Klasse. Das ist Werbung für die kleinere GdL und gewiss eine Motivation für den Arbeitskampf der EVG im kommenden Jahr.

Und apropos Arbeitskampf: Nach den Osterferien müssen wir wieder mit Streiks der kommunalen Nahverkehrsanbieter rechnen. Hoffen wir, dass es auch da gelingt, bald eine kluge Lösung zu finden. Für einen ideenreichen Kompromiss, der die Verkehrswende nicht am Fachkräftemangel scheitern lässt. Und für klamme Kommunen dennoch tragbar ist.

QOSHE - Bahn: Ein gelungener Kompromiss – und viele offene Fragen - Stephan Hermsen
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Bahn: Ein gelungener Kompromiss – und viele offene Fragen

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26.03.2024

Deutsche Bahn und GdL haben sich auf einen erstaunlich klugen Tarifvertrag geeinigt. Noch klüger wäre es, jetzt weitere Weichen zu stellen.

Fangen wir mit den guten Nachrichten an: Bahnkunden müssen zunächst – zumindest bis ins Frühjahr 2025 – keine weiteren Streiks fürchten. Und der Tarifvertrag, den Deutsche Bahn und Gewerkschaft der Lokomotivführer jetzt ausgehandelt haben, ist in einigen Punkten zukunftsweisend.

Die Auswirkungen im Alltag muss man abwarten, aber besonders klug klingt vor allem das Modell zur zeitlichen Flexibilität. Ja, man kann seine Arbeitszeit ohne........

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