DDR-Vorsitzender Erich Honecker besuchte die Bundesrepublik Deutschland, Rudi Carrell flirtete bei „Herzblatt“ im Fernsehen, Jungspund Steffi Graff ballerte sich an die Spitze der Tennis-Weltrangliste, in Österreich krachte die Verstaatlichte Industrie. Die Nachrichten des Jahres 1987 klingen verflixt lange her. Nur eines veränderte sich seither nicht: Seit damals besetzt die ÖVP (mit der Mini-Unterbrechung Expertenregierung nach dem Ibiza-Skandal) durchgehend das Wirtschaftsministerium. Kanzler und Regierungen kamen und gingen, Ministerien wechselten zwischen den Parteien, nur das Wirtschaftsressort ist seit Jänner 1987 in ÖVP-Hand. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn die ÖVP nun energisch einen „Regimewechsel in der Wirtschaftspolitik“ verlangt. An wen genau richtet sich die Forderung?

Auch der Appell, die Lohnnebenkosten endlich zu senken, erscheint prinzipiell grundvernünftig. Quer durch Österreich stöhnen Unternehmen unter der hohen Belastung. Nur ein Rechenbeispiel: Wenn eine Arbeitnehmerin 36.600 Euro netto pro Jahr verdient, dann summieren sich die Gesamtkosten mit allen Steuern und Abgaben für ihre Arbeitgeber auf erkleckliche 68.100 Euro pro Jahr, so hoch wie in kaum einem anderen Staat der Welt. Man muss keinen Wirtschaftsnobelpreis besitzen, um zu ahnen, dass das vor allem Schwarzarbeit fördert. Bloß: Generationen von ÖVP-Politikern hätten es seit 37 Jahren in der Hand gehabt, das zu ändern: Robert Graf, Wolfgang Schüssel, Johannes Ditz, Hannes Farnleitner, Martin Bartenstein, Reinhold Mitterlehner, Harald Mahrer, Margarete Schramböck, Martin Kocher – sie alle führten für die ÖVP das Wirtschaftsministerium. Bei wem beklagt sich die ÖVP, dass die Lohnnebenkosten zu hoch sind? Wer hat sie seit 1987 daran gehindert, mit Energie und Elan die Lohnnebenkosten zu senken und mehr als Mini-Schritte (wie zuletzt) zu setzen?

Sicher, es ist nie zu spät, klüger zu werden, auch in der Politik schadet eine gewisse Lernkurve nie. Aber abgesehen von lästig-pingeligen Fragen nach der Finanzierung bei ohnehin hohen Staatsschulden: Immer dasselbe zu fordern, bei der Umsetzung aber zu schwächeln, das untergräbt auf Dauer die Glaubwürdigkeit. Und an allem können nicht die bösen Regierungspartner SPÖ, FPÖ, Grüne schuld sein. Bleiben zwei Varianten, beide nicht wirklich schmeichelhaft: Entweder die ÖVP konnte sich mit ihrem dringenden Anliegen nach niedrigeren Lohnnebenkosten bei wechselnden Koalitionspartnern nie durchsetzen – oder der Wunsch war in Nicht-Superwahljahren plötzlich nicht mehr so dringend.

Verwandtes Thema, ähnlich leicht durchschaubares Manöver: Bundeskanzler Karl Nehammer pocht entschieden darauf, dass die Steuer- und Abgabenquote auf unter 40 Prozent sinkt. Applaus für die ausgezeichnete Idee, mit 43,6 Prozent hat Österreich nach Frankreich die dritthöchste Steuer- und Abgabenlast. Höchste Zeit, dass der Pfeil nach unten zeigt. Nur: Ganz neu ist der Plan nicht, im Gegenteil. Kanzler Wolfgang Schüssel versprach schon 2006, die Steuerquote „deutlich unter 40 Prozent zu senken“. Fehlanzeige. Über zehn Jahre später versicherte Kanzler Sebastian Kurz im Brustton der Überzeugung, auf „mindestens 40 Prozent“ oder noch tiefer werde die Steuer- und Abgabenquote sinken. Ebenfalls ohne Ergebnis.

Seit zwei Jahrzehnten findet sich das hehre Ziel 40 Prozent verlässlich als Dauerbrenner in Wahlkampfreden und Regierungsprogrammen – und kam über das Stadium des vollmundigen Versprechens nie hinaus. Löblich, wenn die ÖVP das 40-Prozent-Ziel nicht aus den Augen verliert, aber: Sie stellt seit dem Jahr 2002 die Finanzminister: Karl-Heinz Grasser. Wilhelm Molterer. Josef Pröll. Maria Fekter. Michael Spindelegger. Hans Jörg Schelling. Hartwig Löger. Gernot Blümel. Magnus Brunner. Und die Abgabenquote blieb stets hoch. Wie oft kann man die 40 Prozent treuherzig zusichern – und darauf vertrauen, dass die Wählerschaft überzeugt ist, dass es diesmal klappt? Und vergessen hat, dass die Wirtschaftspartei ÖVP auch Nulldefizit und andere Ziele aus den Augen verlor?

Entschiedene ÖVP-Forderungen an ÖVP-Minister: Dieses Muster zeigt das grundsätzliche Dilemma der Kanzlerpartei im Superwahljahr. Seit 2017, seit den Seriensiegen unter Sebastian Kurz, ist die ÖVP die dominante Regierungspartei: Sie stellt Bundeskanzler und Nationalratspräsidenten, sitzt in sieben von neun Landesregierungen, verfügt mit sechs über das Gros der neun Landeshauptleute und über zwei Drittel der 2093 Bürgermeister. Eine derart mächtige Partei bekommt den Zorn der Protestwähler mit Wucht ab, wie die ÖVP 2023 bei Landtagswahlen erlebte. Seit den Polykrisen Corona-Kriege-Energie-Teuerung entlädt sich die Wut der Verunsicherten über Regierenden, während Protestparteien von extrem rechts (FPÖ) bis retrolinks (KPÖ) reüssieren. Die Multiregierungspartei ÖVP kann schwer gegen die Regierung protestieren – und versucht dennoch, von der Proteststimmung mitzunaschen.

Die Strategie: Sie poltert für Schnitzel und Autofahrer und gegen Gendern, Klimakleber und Zuwanderung. Nicht unriskant: Die Opposition, allen voran die FPÖ, wird sich im Protest-fach immer leichter tun als eine Regierungspartei. Und unwürdig: Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit wäre der Wählerschaft zumutbar. Sogar in einem Superwahljahr.

QOSHE - Protestpartei ÖVP - Eva Linsinger
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Protestpartei ÖVP

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27.01.2024

DDR-Vorsitzender Erich Honecker besuchte die Bundesrepublik Deutschland, Rudi Carrell flirtete bei „Herzblatt“ im Fernsehen, Jungspund Steffi Graff ballerte sich an die Spitze der Tennis-Weltrangliste, in Österreich krachte die Verstaatlichte Industrie. Die Nachrichten des Jahres 1987 klingen verflixt lange her. Nur eines veränderte sich seither nicht: Seit damals besetzt die ÖVP (mit der Mini-Unterbrechung Expertenregierung nach dem Ibiza-Skandal) durchgehend das Wirtschaftsministerium. Kanzler und Regierungen kamen und gingen, Ministerien wechselten zwischen den Parteien, nur das Wirtschaftsressort ist seit Jänner 1987 in ÖVP-Hand. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn die ÖVP nun energisch einen „Regimewechsel in der Wirtschaftspolitik“ verlangt. An wen genau richtet sich die Forderung?

Auch der Appell, die Lohnnebenkosten endlich zu senken, erscheint prinzipiell grundvernünftig. Quer durch Österreich stöhnen Unternehmen unter der hohen Belastung. Nur ein Rechenbeispiel: Wenn eine Arbeitnehmerin 36.600 Euro netto pro Jahr verdient, dann summieren sich die Gesamtkosten mit allen Steuern und Abgaben für ihre Arbeitgeber auf erkleckliche 68.100 Euro pro Jahr, so hoch wie in kaum einem anderen Staat der Welt. Man muss keinen Wirtschaftsnobelpreis besitzen, um zu ahnen, dass das vor allem........

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