Boris Pistorius erwischt mich kalt: Die Dienstpflicht solle nun endlich geprüft werden, meint er. Ich bin jemand, der, wenn ich den Hund von Freunden Gassi führe, schon Reißaus nimmt, sobald der Hund sich mit anderen anbellt. Dann werfe ich die Leine zu Boden und laufe weg, bis der andere Besitzer beide Hunde im Griff hat. Gewalt überlasse ich gern anderen, außer bei Moskitos, die klebe ich blutrot an die Wand.

Ich will nicht pietätlos klingen, natürlich ist das Thema ernst, aber so viele Nachrichten unserer Zeit fühlen sich an wie eine Ohrfeige. Als 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, war das einer der besten Tage meines Lebens: ein Gesetz, das jeden betraf, das Männer und Frauen gleichstellte. Junge Männer waren jetzt auch frei. Für immer, dachte ich.

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

Meine Freunde schwärmen oft von ihrem Jahr als Zivi, das sie als großen sozialen Dienst in Erinnerung haben. Ich habe sie eher kiffend, zockend und Essen herumfahrend in Erinnerung. Sie waren billige Arbeitskräfte für einen Staat, der sein Pflegewesen nicht in den Griff bekam. Wenn Männer die Erfahrung sozialer Arbeit wollen, können sie doch ein Leben lang in ihren Familien den Frauen helfen, die nach wie vor meistens die Alten und Kranken pflegen.

Mehr als deutsche Zivis prägten mich junge Männer mit Ex-YU-Pässen in Deutschland, die nicht mehr ins Gebiet des ehemaligen Jugoslawien reisten, um nicht eingezogen zu werden. Wehrpflicht, das ist der Zugriff des Staates auf das Leben seiner Bürger, eine der großen Freiheitsfragen. Gehört so ein Menschenleben, das rein zufällig auf diesen paar Quadratmetern Erde das Licht der Welt erblickt, in dieser Weise der Nation? Ist es nicht das Recht eines jeden, den Kampf im Krieg wie in Friedenszeiten zu verweigern, mit Sack und Pack wegzulaufen, statt möglicherweise zu sterben? Ich werbe seit Beginn für die Ukraine-Hilfe, aber seit dieser Angriffskrieg Russlands wütet, komme ich mit einer Sache nicht zurecht: Selenskyj verweigert Männern die Ausreise. Kampf für Freiheit durch maximale Beraubung derselben?

Auf unser Land übertragen heißt das: Sollte der Personalmangel in der Bundeswehr durch die Wiedereinführung der Wehrpflicht gelöst werden? Ich schreibe hier keine Gesetze, sondern Kolumnen, daher sage ich einfach, wie wütend mich das macht, wie mächtig auch unsere deutschen Machthaber Putin werden ließen. Viele Länder werden gerade in die Remilitarisierung gezwungen. Zur Zeitenwende gehört auch, dass man wieder über die Jugend richten will. Der CDU-Politiker Johann Wadephul etwa sieht seine Partei bereit, "über Modelle zu reden, die eine Verpflichtung von jungen Menschen beinhaltet", wie er gerade im Fernsehen sagte.

"Nein, meine Söhne geb ich nicht", sang Reinhard Mey einst. Als Teenie berührte mich dieser Vater, der seine Söhne nicht hergab. Doch während ich in den Zimmern meiner deutschen Freunde die pazifistischen Gitarrenklänge hörte, fielen Bomben über die Häuser meiner Jugendfreunde in Ex-YU, und ich wünschte mir Väter und Mütter, die ihre Söhne gäben, sie zu schützen vor den Männern, die ihre Söhne in den Krieg gehetzt hatten. Ich hasse Dialektik, man nennt’s auch Realität.

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Warum die Wehrpflicht nicht mehr in unsere Zeit passt

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13.04.2024

Boris Pistorius erwischt mich kalt: Die Dienstpflicht solle nun endlich geprüft werden, meint er. Ich bin jemand, der, wenn ich den Hund von Freunden Gassi führe, schon Reißaus nimmt, sobald der Hund sich mit anderen anbellt. Dann werfe ich die Leine zu Boden und laufe weg, bis der andere Besitzer beide Hunde im Griff hat. Gewalt überlasse ich gern anderen, außer bei Moskitos, die klebe ich blutrot an die Wand.

Ich will nicht pietätlos klingen, natürlich ist das Thema ernst, aber so viele Nachrichten unserer Zeit fühlen sich an wie eine Ohrfeige. Als 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, war das einer der besten Tage meines Lebens: ein Gesetz, das jeden betraf, das Männer und Frauen gleichstellte. Junge Männer waren jetzt auch frei. Für immer, dachte ich.

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin........

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