Als sich Manuel Neuer im Winter das Bein beim Skilaufen brach, da war doch eigentlich schon klar: Das wird ein hartes Jahr. So wie die Knochen des Nationaltürstehers, so bröselt auch die Substanz der BRD weg. Waren die vergangenen Jahre schon geprägt von einem großen "Schaffen wir das?", so stand 2023 endgültig unter der Dunstglocke eines gewaltigen "Uff".

Das klingt jetzt scholziger, als es geplant war, und spätestens zum Jahresende sollte uns klar werden: Außer comicsprachlichem Doppelgewummse würde dem Kanzler auch in diesem Jahr nichts entfahren, was die Volksseele emotionalisieren könnte. Wobei: Sein Satz "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben" blieb hängen und zeigte, dass man für rechte Absichtserklärungen nicht einmal mehr rechte Parteien braucht.

Dieses Land, so scheint es, ist unter Druck wie nie. Und doch zählen wir zu den Glücklichen: Frag nach in Afghanistan, Armenien, Iran, der Ukraine oder in Israel, wo die Hamas am 7. Oktober neue Maßstäbe für Barbarei und Terror gesetzt hat.

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Helfen kann uns nicht einmal mehr der Papst. Benedetto ist unter der Erde, und sein Nachfolger macht nur von sich reden, wenn er als Fakeziskus in einer spektakulären weißen Daunenjacke aus purer KI durchs Netz geistert. Nein, an der künstlichen Intelligenz ließ sich in diesem Jahr nicht mehr vorbeikommen. Keine Fernsehsendung, kein Podcast, keine Zeitung ließ es sich nehmen, eine Moderation oder ein Gedicht zu präsentieren, die ausschließlich von einem Rechner verfasst wurden. Bald war jeder Joke nur noch nervig, und da hatte man schon Angst, dass uns der Spaß als Nächstes direkt in die atomare Auslöschung führt. Fast ein bisschen wie bei Trump. Aber der ist ja erst nächstes Jahr wieder dran.

Da soll noch mal einer sagen, dass die Menschheit neben kriegerischem Flächenbrand und Klimakatastrophe nicht in der Lage sei, sich nicht noch eine weitere Existenzbedrohung zu schaffen. Klasse!

Auf künstliche Intelligenz zu setzen ist aus deutscher Perspektive nachvollziehbar. Dank Pisa-Studie wissen wir jetzt, dass deutsche Schüler sich statistisch eher den Füller in die Nase rammen als eine binomische Formel zu lösen. Aber wer wollte es ihnen vorhalten, nicht mit Zahlen umgehen zu können: Scholz? Lindner? Habeck? Dass Dreiecksbeziehungen selten funktionieren, weiß jeder, der es mal versucht hat. Selten allerdings hat man es so öffentlich erlebt. Habeck wirkt mittlerweile so erschöpft, dass es ihm niemand verübelte, würde er sein Müsli nicht mit Wasser, sondern mit Mariacron nehmen. Scholz saust in Sachen Popularität auf dem Weg nach unten munter an der veganen Bratwurst vorbei. Und Lindner leistet tolle Arbeit als Oppositionsführer, hat nur vergessen, dass er Teil der Regierung ist.

Derweil feixt die AfD, die in diesem Jahr endlich den ersten Bürgermeister, den ersten Landrat und im nächsten Jahr wohl den ersten rechtsextremen Ministerpräsidenten stellen darf. Na, das haben wir alle doch gut hinbekommen. Und nicht einmal Deutschlands größter Orthopäde, Knietastmaschine Thommy Gottschalk, will uns länger von unserer Tristesse ablenken.

Das Geschrei nach Neuwahlen ist groß und kommt für gewöhnlich erst mit einem erschreckten Glucksen zum Erliegen, wenn jemand ein Foto von Friedrich Merz vorlegt mit den Worten "Das könnte Ihr neuer Kanzler sein".

Und so blicken wir am Ende fast ein wenig verliebt auf das Jahr 2023, wissend: Es wird uns schon Mitte 2024 wie die gute alte Zeit vorkommen. Uff.

QOSHE - Das Dilemma der Ampel-Regierung: Dreiecksbeziehungen funktionieren selten - Micky Beisenherz
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Das Dilemma der Ampel-Regierung: Dreiecksbeziehungen funktionieren selten

5 0
14.12.2023

Als sich Manuel Neuer im Winter das Bein beim Skilaufen brach, da war doch eigentlich schon klar: Das wird ein hartes Jahr. So wie die Knochen des Nationaltürstehers, so bröselt auch die Substanz der BRD weg. Waren die vergangenen Jahre schon geprägt von einem großen "Schaffen wir das?", so stand 2023 endgültig unter der Dunstglocke eines gewaltigen "Uff".

Das klingt jetzt scholziger, als es geplant war, und spätestens zum Jahresende sollte uns klar werden: Außer comicsprachlichem Doppelgewummse würde dem Kanzler auch in diesem Jahr nichts entfahren, was die Volksseele emotionalisieren könnte. Wobei: Sein Satz "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben" blieb hängen und zeigte, dass man für rechte Absichtserklärungen nicht einmal mehr rechte Parteien braucht.

Dieses Land, so scheint es, ist unter Druck wie nie. Und doch zählen wir zu den Glücklichen: Frag nach in Afghanistan, Armenien, Iran, der Ukraine oder in Israel, wo die Hamas am 7. Oktober neue Maßstäbe........

© stern


Get it on Google Play