Drei Wochen Australien. Und bislang nicht ein unfreundliches Gesicht. Alle sind gut gelaunt. Jeder lächelt einen an. Das lernen die auch noch! Möchte man als guter Deutscher den emotionalen Schiefstand der Menschen hier kurz einordnen. Es wirkt hier so anders als in der Heimat, wo die Gesichter deutlich länger sind als die Tage. Dumme Fresse als Werkseinstellung. Einigkeit und Recht und Frustriertheit. Derweil verbringe ich einen Gutteil des Tages damit, im Rahmen einer Fernsehproduktion (unser Kolumnist arbeitet als Autor für die RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!", Anm. d. Red.) viel Intellekt auf besonders gut gemacht Geistloses zu verwenden. Und, klar, im fünfzehnten Jahr stellst du dir dann und wann die Frage, ob es nicht irgendwann genug ist. Sicher, der Job macht großen Spaß, das Team ist toll, die Show ist erfolgreich, und die Freizeit damit zu verbringen, zutrauliche Bartagamen mit Früchten von der Açaí Bowl am Strand zu füttern, ist wahrlich keine Bürde. Und doch ist da der Gedanke: Reicht es nicht langsam? Mit 46? Wie lange willst du den Quatsch noch machen?

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Andererseits: Würde ich spontan abreisen, käme ich wohl gar nicht nach Hause. Mit dem Flieger landen wird schwer, wenn die Flughäfen bestreikt werden. Sollte ich dennoch in Frankfurt ankommen, käme ich nicht nach Hamburg, weil Weselsky wieder den Braveheart der Eisenbahner gibt oder weil die Bauern die Autobahnen blockieren. Nix geht mehr, so scheint es. Dass man noch in einem Supermarkt einkaufen kann, ohne dass einem die Frau von Kasse drei spontan den Warentrenner über die Rübe zieht, erstaunt da fast. Gibt es in diesem Land irgendeine Person, die sich gerade nicht verweigert? Protest als Volkssport. Renitenz als kollektives Gefühl. Dass Deutschland im weltweiten Glücksindex gefühlt noch hinter Afghanistan liegt, das ist ja nicht neu, aber war es je so schlimm? Wenn am kommenden Montag die Mottowagen durch Köln fahren und Tausende auf den Straßen sind, weißt du zunächst gar nicht mehr: Karneval – oder Aufstand?

Bemerkenswert ist da die ungleich größere Menge an Menschen, die sich zu Hunderttausenden gegen Rechtsextremismus und die AfD (muss man das trennen?) aus dem Haus bewegt. Sie bildet eine Art marschierende Gegenöffentlichkeit zu den Umfragewerten der Weidel-Partei, die nun das erste Mal wieder einen Dämpfer verkraften muss. Schien es bei 22 Prozent in den Umfragen etwas weniger schmuddelig, sich für diese Partei zu entscheiden, demonstrieren nun aber sogar die Schlüters von nebenan gegen die Perlenketten-Faschos. Und hat nicht sogar die bislang als haltungsfreie Sagrotan-Sirene bekannte Helene Fischer gegen die AfD opponiert? Ein besonders ehrenhaftes Engagement, da das mutmaßlich ein geschäftsschädigendes Verhalten ist.

Auf all das blicke ich aus der Ferne von 16.000 Kilometern. Die mir viel näher vorkommen, wenn sie hier in Australien im Radio von den deutschen Demonstrationen für Menschenrechte berichten.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es vielleicht ratsam ist, nicht aufzuhören, wenn es am schönsten ist, sondern mit dem Quatsch weiterzumachen, solange er Freude macht, denn: Die schlechten Zeiten kommen eh.

Und zurück in Deutschland mögen einen die einzelnen Gesichter auf der Straße gerade nicht anstrahlen. Aber die vielen, die gerade auf der Straße unterwegs sind, haben zumindest das Herz am richtigen Fleck. Da fühl ich mich ganz gut aufgehoben.

QOSHE - Einigkeit und Recht und Frustriertheit: Ein Blick aus der Ferne auf Deutschland - Micky Beisenherz
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Einigkeit und Recht und Frustriertheit: Ein Blick aus der Ferne auf Deutschland

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08.02.2024

Drei Wochen Australien. Und bislang nicht ein unfreundliches Gesicht. Alle sind gut gelaunt. Jeder lächelt einen an. Das lernen die auch noch! Möchte man als guter Deutscher den emotionalen Schiefstand der Menschen hier kurz einordnen. Es wirkt hier so anders als in der Heimat, wo die Gesichter deutlich länger sind als die Tage. Dumme Fresse als Werkseinstellung. Einigkeit und Recht und Frustriertheit. Derweil verbringe ich einen Gutteil des Tages damit, im Rahmen einer Fernsehproduktion (unser Kolumnist arbeitet als Autor für die RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!", Anm. d. Red.) viel Intellekt auf besonders gut gemacht Geistloses zu verwenden. Und, klar, im fünfzehnten Jahr stellst du dir dann und wann die Frage, ob es nicht irgendwann genug ist. Sicher, der Job macht großen Spaß, das Team ist toll, die Show ist erfolgreich, und die Freizeit damit zu verbringen, zutrauliche Bartagamen mit Früchten von der Açaí Bowl am Strand zu füttern, ist wahrlich keine Bürde. Und doch ist........

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