Artikel vom 07.03.2024

Kanzler Scholz im Visier: Inzwischen wird klar, wie die russischen Agenten arbeiteten. Das Ausland reagiert mit massiver Kritik auf die peinliche Panne der belauschten Telefon-Konferenz.

Deutschland steht in der Weltöffentlichkeit blamiert da, nachdem russische Geheimdienste den Mitschnitt eines Telefonats ranghoher Luftwaffen-Offiziere mit ihrem Inspekteur Ingo Gerhartz ins Netz gestellt haben.

„Jetzt ist Deutschland an der Reihe, die Verbündeten in Sachen Ukraine zu frustrieren“, schrieb dazu die „New York Times“. Von einem „politischen Skandal“ spricht die „Neue Zürcher Zeitung“, der „die Bundeswehr in einem erschreckenden Zustand“ zeige. „Le Monde“ kommt zu dem Ergebnis: „In Deutschland schwächt der Abhörskandal der Luftwaffe durch Russland Kanzler Scholz.“ In Riga fragt die lettische Tageszeitung „Latvijas Avize“: „War das ein Stück des russischen Hybridkrieges oder westliche Naivität?“

Am saftigsten allerdings schlug die britische „Daily Mail“ zu. „Wenn du ein Geheimnis an den Kreml durchstechen willst, erzähle es einfach den Deutschen – deren Spione sind ein Haufen absoluter Trottel“, ließ sich dort als Gastkolumnist Edward Lucas aus, Autor mehrerer Sachbücher zum Thema russischer Spionage und Desinformation.

Zwar ging Lucas von der vorübergehend kursierenden Fehlinformation aus, ein russischer Spion habe sich einfach in das WebEx-Gespräch der vier Männer eingewählt und niemandem sei aufgefallen, dass während der 38:13 Minuten noch ein fünfter, gänzlich schweigsamer Anrufer auf der Liste der Gesprächsteilnehmer angezeigt worden sei. Diese Schmonzette wurde inzwischen allerdings von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sehr eindeutig und glaubwürdig dementiert. Gleichwohl bleibt die Peinlichkeit, dass einer der Teilnehmer, der gerade wegen der Air Show in Singapur weilte, sich wohl über eine ungesicherte Mobil-Leitung oder das WLAN-Netz seines Hotels eingewählt hatte. Gerade während Veranstaltungen wie dieser Luftfahrtausstellung mit dem Besuch militärischer und unternehmerischer Entscheidungsträger aus aller Welt werden Telefonate aus den einschlägigen Hotels in großem Umfang abgehört, heißt es unter Experten.

Die Offiziere ignorierten diese Gefahr. Bis zur Einwahl des Inspekteurs parlierten sie im entspannten Denglisch, das regelmäßige Konferenzteilnahmen in der Nato vermuten lässt, über Trivialitäten wie dem „View“ aus dem Hotelfenster, architektonische Attraktionen im südostasiatischen Stadtstaat wie die Luxusherberge „mit den drei Säulen und der Platte obendrauf“ (gemeint war das „Marina Bay Sands“) und das feuchte Klima: „Quite humid hier.“

Brisanter waren natürlich die politischen Inhalte. Aber sensationell oder skandalös waren sie, abgesehen vom Tabubruch der mangelnden Sicherheitsvorkehrungen, trotz aller Aufgeregtheiten nicht. Man bereitete sich auf ein Briefing des Ministers („ein ganz cooler Typ im Umgang“) vor für den Fall, dass der Bundeskanzler von seiner bisherigen Linie, keine Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern, abweichen sollte, und man wollte sich gegenseitig informieren, wie es dann letztlich laufen würde im Gespräch „mit dem großen Boris“. Dazu sollte eine Vorlage für den Minister erstellt werden, möglichst kompakt, aber man wolle ihn auch nicht „zuballern mit einer Slideshow mit 30 Slides“, sondern innerhalb eines 30-minütigen Briefings nur einen „kurzen Aufschlag“ machen. Erörtert wurden Fragen, welche Ziele mit welcher Genauigkeit die Ukraine mit den deutsch-schwedischen Marschflugkörpern ins Visier nehmen könnte, und ob sie einsetzbar seien, ohne Bundeswehrsoldaten mitzuschicken.

Nebenbei wurde über „viele Leute mit amerikanischem Akzent“ in der Ukraine gesprochen, die in „Zivilklamotten“ herumliefen – ob das US-Soldaten oder Geheimdienstler oder schlicht Freiwillige ohne staatlichen Auftrag sind, blieb offen. Bekannt ist, dass zumindest zu Beginn des Krieges einige US-Militärs auf eigene Faust in die Ukraine gereist waren, um vor allem bei der Ausbildung der dortigen Soldaten zu helfen.

Auch über eine Präsenz der Briten („die haben auch’n paar Leute vor Ort“) wurde im Telefonat geredet. Die könnten „mit ihrem Know-how vielleicht die Bedienung am Anfang mitmachen“ und bei der Montage der Marschflugkörper an MiG-23-Kampflugzeuge helfen, während die Bundeswehr in Deutschland ukrainische Soldaten ausbilde. Hochachtung vor den ukrainischen Kameraden war hörbar, die viel schneller als erwartet die Bedienung der „Patriot“-Abwehrraketen erlernt hätten. Zwischendurch wurde ironischerweise für den Fall der Übermittlung von Daten in die Ukraine „eine sichere Leitung“ angemahnt.

Die Soldaten waren alles andere als auf dem Kriegspfad, sie sprachen über Machbarkeiten, ohne diese ihrerseits zu befürworten. Unwidersprochen blieb eine Wortmeldung, dass die „Taurus“-Lieferung „nicht den Krieg ändern würde“, zumal man maximal 50 Flugkörper in einer ersten Tranche „und wenn sie uns dann noch einmal würgen“ eventuell weitere 50, „aber dann wäre auch Ende Gelände“.

Das Primat der Politik über das Militär wurde eindeutig respektiert. Spekuliert wurde, dass die Ukrainer die Kertsch-Brücke aus der russischen Region Krasnodar zur seit 2014 von Russland besetzten Krim „rausnehmen wollen“. Diese 19 Kilometer lange Brücke war bereits mehrfach von ukrainischen Raketen getroffen worden. Das wäre wohl „grundsätzlich doable“. Gleichwohl war die Gesprächsrunde uneins, ob die „Taurus“-Marschflugkörper wegen der Größe und „Komplexität der Brücke“ möglicherweise „nur ein Loch in den Pfeiler“ schießen könnten. Eine Alternative könnten Munitionsdepots sein. In jedem Fall gebe es zudem russische Luftverteidigung. Die Übermittlung der Zielkoordinaten seitens der Bundeswehr oder durch den Waffenhersteller MBDA, zur Not per Auto über Polen, in das von Russland angegriffene Land wurde angesprochen, aber recht deutlich verworfen. Das seien „glaube ich, beides keine akzeptablen Lösungen“, sagte einer der Gesprächsteilnehmer, mutmaßlich der Inspekteur, das sei ein „Kill-Kriterium“, gemeint offenkundig in dem Sinne, dass unter solchen Voraussetzungen eine Zustimmung zur „Taurus“-Lieferung gänzlich undenkbar sei.

Darum bleibe nur denkbar, ukrainische Soldaten zur Not auch etwas länger auszubilden, aber nicht, ihnen Daten für die Zielerfassung zu liefern. Also keine direkte oder indirekte Beteiligung, das sei eine „rote Linie“. Und weiter: „Stell dir mal vor, dass ginge an die Presse.“

Die Offiziere und der General gingen also hypothetische Szenarien durch, so wie man das von Fachleuten erwarten kann. Erörtert wurde die Sorge, unvorbereitet von einer Änderung der Position des Kanzlers in Sachen „Taurus“ überrascht zu werden, und just dann käme von der Bundeswehr die Auskunft, „aber es dauert noch sechs Monate“. Damit würde die Ankündigung „ganz schnell zur Negativnachricht“.

Wäre man dabei nicht fahrlässig mit der Abhörsicherheit umgegangen, hätte dieses Gespräch keinerlei politische Auswirkungen gehabt, sondern lediglich den Generalinspekteur in die Lage versetzt, seinem Minister (eher vage denn konkrete) Einschätzungen zur Verwendbarkeit der „Taurus“ durch die ukrainische Luftwaffe präsentieren zu können. Pistorius hat darum zwar die interne Aufklärung der „schweren Fehler“ angekündigt, was zu Disziplinarmaßnahmen führen könnte, aber zugleich versichert: „Ich werde niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern“

Nun aber ist die Lage eine andere. Man muss sich nicht fragen, warum russische Agenten das Telefonat abhörten: Wahrscheinlich taten sie es gar nicht gezielt, sondern saugten nur flächendeckend alles ein, was da in Singapur im Umfeld der Flugshow so besprochen wurde und bekamen dadurch diesen Zufallstreffer serviert. Spione spionieren nun einmal.

Spannender ist indes, warum die ansonsten doch so klandestinen russischen Geheimdienste die gewonnenen Erkenntnisse nicht für sich behielten, sondern an die Öffentlichkeit brachten. Die Antwort darauf: Man ist in Moskau unsicher, ob Scholz letztlich nicht doch einer „Taurus“-Lieferung zustimmt. Während die USA in dieser Debatte zurückhaltend agieren, gibt es entsprechenden Druck aus London und natürlich aus Kiew. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte in einem (im Bundestag abgelehnten) Antrag eine „unverzügliche Lieferung“ des Waffensystems gefordert, und auch aus den Reihen der Koalitionspartner Grüne und FDP wird das Nein von Scholz kritisiert.

Moskaus Kalkül ist offenkundig: Nach der Veröffentlichung dieses Gesprächs ist der Bundeskanzler in seiner derartigen Haltung ziemlich eingemauert. Eine Veränderung seiner Position ließe sich durch das Herauspicken einzelner Halbsätze des belauschten Gespräche darstellen, als habe er sich von seinen Militärs treiben lassen – auch wenn dies das Telefonat insgesamt ganz und gar nicht hergibt. Aber Formulierungen wie „Beteiligung ist Beteiligung“ und Planspiele, wie Zieldaten transferiert werden könnten, erwecken den Eindruck einer Unterstützung der Zustimmung der Waffenlieferung durch die Luftwaffe, obwohl die Übermittlung in dem völlig ergebnisoffen geführten Gespräch verworfen wurde. Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte mit seinen Agenten recht zufrieden sein.

QOSHE - „Taurus-Abhöraffäre“: Was die Offiziere sagten – und warum Moskau es veröffentlichte - Ansgar Graw
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„Taurus-Abhöraffäre“: Was die Offiziere sagten – und warum Moskau es veröffentlichte

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07.03.2024

Artikel vom 07.03.2024

Kanzler Scholz im Visier: Inzwischen wird klar, wie die russischen Agenten arbeiteten. Das Ausland reagiert mit massiver Kritik auf die peinliche Panne der belauschten Telefon-Konferenz.

Deutschland steht in der Weltöffentlichkeit blamiert da, nachdem russische Geheimdienste den Mitschnitt eines Telefonats ranghoher Luftwaffen-Offiziere mit ihrem Inspekteur Ingo Gerhartz ins Netz gestellt haben.

„Jetzt ist Deutschland an der Reihe, die Verbündeten in Sachen Ukraine zu frustrieren“, schrieb dazu die „New York Times“. Von einem „politischen Skandal“ spricht die „Neue Zürcher Zeitung“, der „die Bundeswehr in einem erschreckenden Zustand“ zeige. „Le Monde“ kommt zu dem Ergebnis: „In Deutschland schwächt der Abhörskandal der Luftwaffe durch Russland Kanzler Scholz.“ In Riga fragt die lettische Tageszeitung „Latvijas Avize“: „War das ein Stück des russischen Hybridkrieges oder westliche Naivität?“

Am saftigsten allerdings schlug die britische „Daily Mail“ zu. „Wenn du ein Geheimnis an den Kreml durchstechen willst, erzähle es einfach den Deutschen – deren Spione sind ein Haufen absoluter Trottel“, ließ sich dort als Gastkolumnist Edward Lucas aus, Autor mehrerer Sachbücher zum Thema russischer Spionage und Desinformation.

Zwar ging Lucas von der vorübergehend kursierenden Fehlinformation aus, ein russischer Spion habe sich einfach in das WebEx-Gespräch der vier Männer eingewählt und niemandem sei aufgefallen, dass während der 38:13 Minuten noch ein fünfter, gänzlich schweigsamer Anrufer auf der Liste der Gesprächsteilnehmer angezeigt worden sei. Diese Schmonzette wurde inzwischen allerdings von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sehr eindeutig und glaubwürdig dementiert. Gleichwohl bleibt die Peinlichkeit, dass einer der Teilnehmer, der gerade wegen der Air Show in Singapur weilte, sich wohl über eine ungesicherte Mobil-Leitung oder das WLAN-Netz seines Hotels eingewählt hatte. Gerade während Veranstaltungen wie dieser Luftfahrtausstellung mit dem Besuch militärischer und unternehmerischer Entscheidungsträger aus aller Welt werden Telefonate aus den einschlägigen Hotels in großem Umfang abgehört, heißt es unter Experten.

Die Offiziere ignorierten diese Gefahr. Bis zur Einwahl des Inspekteurs parlierten sie im........

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