Artikel vom 07.01.2024

Beim Dreikönigstreffen kontert FDP-Chef Lindner die Parolen linker Störer. Aber in einem zentralen Punkt machte er es sich zu einfach.

Christian Lindner ist immer gut für rhetorische Gags in improvisierter Rede – auch wenn er dabei mit den Fakten gelegentlich ebenso freihändig umgeht wie mit den Worten. Das ist jetzt mal wieder beim Dreikönigstreffen der Liberalen in der Stuttgarter Oper zu beobachten gewesen, als die Rede des FDP-Chefs und Bundesfinanzministers von linken Aktivisten unterbrochen wurde.

Die Störer starteten schwer verständliche Zwischenrufe und entrollten Transparent mit dem Slogan „Tax the Rich“. Und: „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten.“ Auf einem anderen Plakat war zu lesen: „Klimakiller.“

Ironischerweise ereignete sich diese Unterbrechung just in einer Passage der Rede, in der Lindner mahnte: „Täuschen wir uns doch auch nicht darin, dass es viele gibt, die unser Land destabilisieren wollen…“ An der Stelle wurden die Zwischenrufe laut, Lindner schaute hoch zur Galerie und las den Text murmelnd vor: „…können uns die Reichen nicht mehr leisten…“

Seine schlagfertige Reaktion zum Klimakiller-Vorwurf: „Aber eines überrascht mich dann besonders. Wenn Attac jetzt für das Klimageld wirbt, dann ist das das erste Mal, dass linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP werben.“

Und dann sagte Lindner noch: „Also ich muss Sie darauf hinweisen, dass Deutschland bei den CO2-Emissionen im vergangenen Jahr einen historischen Tiefstand erreicht hat.“

Das ist formal richtig, hat aber Gründe, mit denen FDP-Politiker eigentlich nicht prahlen sollten. So gehen 26 Prozent der Einsparung nach der Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke auf den europäischen Strommarkt zurück. Soll heißen: Deutschland exportiert weniger Energie und importiert mehr, insbesondere aus erneuerbaren Quellen und zu einem Viertel aus (vornehmlich französischer) Kernkraft. Und schon der zweitgrößte Posten der Emissionsminderung (17 Prozent) wurde durch krisenbedingte Produktionsrückgänge verursacht, sprich: durch Deutschlands schwache Konjunktur. Über so etwas freuen sich Anhänger einer irrlichternden Degrowth-Bewegung, aber icher nicht Vertreter einer sich als wirtschaftsnah definierenden Partei. Auch der geringere Stromverbrauch in der Industrie (8 Prozent der Emissionseinsparung) mag partiell auf die Wirtschaftsschwäche zurückzuführen sein. Der Zubau erneuerbarer Energien macht 6 Prozent der CO2-Minderung aus, der geringere Stromverbrauch außerhalb der Industrie 5 Prozent und die mildere Witterung plus Sparen in Haushalten immerhin 3 Prozent.

Man hätte sich gefreut, wäre Lindner nicht in der Reaktion auf die Störer, wohl aber in seiner Rede auf die tatsächlichen Gründe dieses CO2-Rückgangs eingegangen – und auf die Ursache dafür, dass Deutschland von allen entwickelten Ländern 2023 wohl das schwächste Wachstum aufzuweisen hat und nach Prognosen der OECD auch 2024 kaum aus der Talsohle herauskommen dürfte.

Bezeichnend ist aber auch das in Stuttgart gezeigte Transparent mit der Forderung nach einer Besteuerung der Reichen und der Klage, man könne sich eben diese Reichen nicht mehr leisten. Der frontale Widerspruch sollte bereits stutzig machen: Gefordert wird eine Besteuerung der Reichen, die man aber doch zugleich los werden möchte, mutmaßlich durch Umverteilung. Was denn nun?

Der Slogan der Störer geht zurück auf ein Buch des britischen Soziologieprofessors Andrew Sayer aus dem Jahr 2016: „Why we can’t afford the rich“ (deutsche Fassung: „Warum wir uns die Reichen nicht leisten können“, München 2017), das gleich in seinem ersten Teil einen Leitfaden anbietet zum Thema „Reichtum abschöpfen“ – mit programmatischen Sätzen wie: „Zinsen sind wie Mieten unverdientes, leistungslos wachsendes Vermögenseinkommen. Ein paar Verwaltungskosten mögen anfallen, aber die sind im Allgemeinen unerheblich und können auf den Kreditnehmer abgewälzt werden.“

Nun erinnern sich manche, in welchem erbärmlichen Zustand Wohnungen und andere Immobilien in der DDR, in der Sowjetunion und in allen sozialistischen Ländern waren (oder noch sind, etwa auf Kuba!), weil es praktisch keine Privateigentümer gab und der notorisch klamme Staat darauf verzichtete, zugige Fensterrahmen auszuwechseln, Löcher im Dach zu flicken oder gar für Wärmedämmung zu sorgen. Dahin will Autor Sayer offenkundig zurück, und die Linksaktivisten in Stuttgart mögen diesen Teil der Realität ausklammern. Aber im Effekt würde eine Gesellschaft ohne Immobilienbesitzer, die ihre Vermietungsobjekte regelmäßig renovieren, und ohne Reiche oder zumindest Wohlhabende, die diese Immobilien mit ehrlich verdientem Geld erworben haben und unterhalten, erneut in diese Richtung steuern.

Immerhin schenkt uns Sayer reinen Wein ein hinsichtlich der selbst in bürgerlichen Kreisen gern verbreiteten Schimäre von einem „grünen Wachstum“, also von Arbeitsplätzen und Wohlstand etwa durch Lastenfahrräder, Windturbinen, emissionsneutrale Produkte und Lebensmittel. Sayer dazu: „Grünes Wachstum in den reichen Ländern der Welt ist ein Hirngespinst.“ Er fügt hinzu: „Ja, wir können uns die Reichen nicht leisten, aus Gründen des Umweltschutzes wie der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit.“

Und an anderer Stelle: „Der Traum vom ‚grünen Wachstum‘ und einem für Nachhaltigkeit sorgenden Kapitalismus ist so unsinnig wie die Vorstellung, um des Friedens willen Waffen zu verkaufen. Wir brauchen eine Wirtschaft, die auf der Grundlage eines Genug und nicht der unersättlichen Gier nach immer mehr funktioniert.“

Also fort mit dem Kapitalismus, keine freie Marktwirtschaft? Man blättere in den Geschichtsbüchern ein wenig zurück, wie es um den Umweltschutz in der kapitalismusfreien DDR mit ihren toten Flüssen und stinkenden Seen bestellt war (Stichwort „Chemiedreieck Bitterfeld“) oder wie um die soziale Gerechtigkeit in China vor den marktwirtschaftlichen Reformen des Deng Xiaoping, bei dessen Amtsantritt 1978 rund 90 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut lebten, während dies heute nur noch ein Prozent sind.

Und was sagt Lindner zum Thema „ökologisches Wachstum“? Er kratzt in seiner Rede an der Oberfläche, wenn er sagte: „Es ist kein Widerspruch, wirtschaftsfreundliche, wachstumsfördernde Politik zu machen oder sozial-ökologische. Im Gegenteil. Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung dafür, überhaupt sozial-ökologische Politik machen zu können. Und deshalb brauchen wir in diesem Jahr nun die Wirtschaftswende.“

Natürlich muss die Ökologie mit der Ökonomie ausgesöhnt werden. Aber zumindest der grüne Koalitionspartner versteht unter der Wirtschaftswende zweifellos etwas anderes als die Liberalen, und auch die Vorstellungen der Apologeten eines „demokratischen Sozialismus“ in der SPD wie die Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert dürften mit den Ideen der FDP nur mühsam zusammenzubringen sein.

Zurück zu Sayer: Auch seine Nebenargumente sind arg fadenscheinig: Um des Friedens willen Waffen zu verkaufen ist unsinnig? In der Ukraine vertritt man mit guten Argumenten die Ansicht, dass umfangreichere Waffeneinkäufe im Westen vor Putins Angriffskrieg im Februar 2022 durchaus friedenssichernd hätten sein können. Die Ansicht, Waffen stünden vor Krieg und Abrüstung für den Frieden, zeugt von einer Grundnaivität, die sich durch Sayers gesamtes Buch zieht.

Dass man die Reichen besteuern soll, die andere Forderung der Stuttgarter Protestler, ist so überflüssig wie das sprichwörtliche Tragen von Eulen nach Athen. Denn selbstverständlich geschieht das bereits in sehr großem Umfang. So schreibt der Reichtumsforscher Rainer Zitelmann vergangenes Jahr in der WELT, dass schon heute das oberste ein Prozent der Steuerzahler in Deutschland mehr als 22 Prozent der Einkommensteuern zahlt.

Im störungsfreien Teil seiner Rede hat Christian Lindner viele wichtige liberale Kernforderungen erwähnt, etwa, dass „Nachhaltigkeit nicht nur eine Gebot der Ökologie ist“, sondern „auch eine Anforderung an die Ökonomie“, weshalb er eine „Umgehung der Schuldenbremse“ ablehnte. Er sprach sich eindeutig gegen jede Form des Antisemitismus aus, wiederholte das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und auch die Solidarität mit der Ukraine: „Wer die Freiheit der Ukraine opfert, der wird im Ernstfall auch nicht bereit sein, für unsere eigene Freiheit zu kämpfen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine weiter finanziell und auch militärisch.“

Lindner kritisierte die Energiepolitik der Vorgängerregierung als „Wahnsinn“, die „einseitig auf russisches Pipelinegas gesetzt hat und keine Flüssiggasterminals bauen wollte, die Fracking und die CCS-Technologie in Deutschland gesetzlich verboten hat, die gleichzeitig aus Kohle und Kernkraft ausgestiegen ist“.

Hingegen vermied Lindner, wie erwähnt, die Ursachenbenennung zum deutschen Konjunktureinbruch. Stattdessen sagte er: „Die Bundesregierung handelt. Sie ist nicht fehlerfrei. Wer wäre das? Aber wir entscheiden mehr richtig als falsch. Denn sonst würde die FDP dieser Regierung nicht angehören. Was die Stimmung in unserem Land auf einen Tiefpunkt drückt, das sind die Epochenumbrüche.“

Epochenumbrüche? Sie gab und gibt es immer wieder. Unter Helmut Kohl der Zusammenbruch des Ostblocks und die deutsche Wiedervereinigung. Unter Gerhard Schröder die Kriegserklärung durch den islamistischen Fundamentalismus an die freie Welt und die Waffengänge in Afghanistan und im Irak. Unter Angela Merkel die Wahl von Donald Trump in den USA, der Brexit in Europa und die Corona-Pandemie weltweit.

Zu welchen Epochenumbrüche kam es hingegen in der Zeit der Ampelregierung? Neben der Fortsetzung bereits zuvor bestehender Krisen, vom Ukraine-Krieg bis zum kontinuierlich wachsenden Migrationsdruck, sowie dem neu hinzugekommenen Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel, scheint es sich eher um hausgemachte Problemfelder zu handeln, nicht um Epochenumbrüche. Die Klimaerwärmung ist ein Faktum, auf das schon viele Bundesregierungen regieren mussten, aber nie zuvor waren die Mittel, zu denen sich die Politik entschloss, derart wohlstands- und arbeitsplatzvernichtend wie es der rot-grüne Teil der Ampel initiierte und die FDP bislang akzeptiert.

Seit 75 Jahren, so Lindner, setze sich seine Partei ein „für den Wert der Freiheit, der nichts an Aktualität verloren hat“. Zustimmung! Aber die Ampel lenkt die Fahrt bislang in Richtung Regulierung und staatliche Bevormundung. Wir werden sehen, wie lange die gelbe Ampelleuchte dabei noch mitwirken möchte. Das Frühjahr 2024, so wird in der FDP gemunkelt, wäre ein möglicher Zeitpunkt, um die Regierung zu verlassen.

QOSHE - „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ – oder? - Ansgar Graw
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„Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ – oder?

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07.01.2024

Artikel vom 07.01.2024

Beim Dreikönigstreffen kontert FDP-Chef Lindner die Parolen linker Störer. Aber in einem zentralen Punkt machte er es sich zu einfach.

Christian Lindner ist immer gut für rhetorische Gags in improvisierter Rede – auch wenn er dabei mit den Fakten gelegentlich ebenso freihändig umgeht wie mit den Worten. Das ist jetzt mal wieder beim Dreikönigstreffen der Liberalen in der Stuttgarter Oper zu beobachten gewesen, als die Rede des FDP-Chefs und Bundesfinanzministers von linken Aktivisten unterbrochen wurde.

Die Störer starteten schwer verständliche Zwischenrufe und entrollten Transparent mit dem Slogan „Tax the Rich“. Und: „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten.“ Auf einem anderen Plakat war zu lesen: „Klimakiller.“

Ironischerweise ereignete sich diese Unterbrechung just in einer Passage der Rede, in der Lindner mahnte: „Täuschen wir uns doch auch nicht darin, dass es viele gibt, die unser Land destabilisieren wollen…“ An der Stelle wurden die Zwischenrufe laut, Lindner schaute hoch zur Galerie und las den Text murmelnd vor: „…können uns die Reichen nicht mehr leisten…“

Seine schlagfertige Reaktion zum Klimakiller-Vorwurf: „Aber eines überrascht mich dann besonders. Wenn Attac jetzt für das Klimageld wirbt, dann ist das das erste Mal, dass linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP werben.“

Und dann sagte Lindner noch: „Also ich muss Sie darauf hinweisen, dass Deutschland bei den CO2-Emissionen im vergangenen Jahr einen historischen Tiefstand erreicht hat.“

Das ist formal richtig, hat aber Gründe, mit denen FDP-Politiker eigentlich nicht prahlen sollten. So gehen 26 Prozent der Einsparung nach der Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke auf den europäischen Strommarkt zurück. Soll heißen: Deutschland exportiert weniger Energie und importiert mehr, insbesondere aus erneuerbaren Quellen und zu einem Viertel aus (vornehmlich französischer) Kernkraft. Und schon der zweitgrößte Posten der Emissionsminderung (17 Prozent) wurde durch krisenbedingte Produktionsrückgänge verursacht, sprich: durch Deutschlands schwache Konjunktur. Über so etwas freuen sich Anhänger einer irrlichternden Degrowth-Bewegung, aber icher nicht Vertreter einer sich als wirtschaftsnah definierenden Partei. Auch der geringere Stromverbrauch in der Industrie (8 Prozent der Emissionseinsparung) mag partiell auf die Wirtschaftsschwäche zurückzuführen sein. Der Zubau erneuerbarer Energien macht 6 Prozent der CO2-Minderung aus, der geringere Stromverbrauch außerhalb der Industrie 5 Prozent und die mildere Witterung plus Sparen in Haushalten immerhin 3 Prozent.

Man hätte sich gefreut,........

© The European


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