Artikel vom 22.03.2024

Nike wird der neue Ausstatter der deutschen Nationalmannschaften. Das Votum gegen die bewährte Marke aus Herzogenaurach ist ein Ja zum Kommerz, den Präsident Neuendorf sonst gern kritisiert. Da wird dann sogar Habeck zum Patrioten

Es ist eine Entscheidung des Hirns gegen das Herz. So etwas ist nicht unüblich und geradezu eine Grundvoraussetzung der Marktwirtschaft. Dennoch stecken in der Verkündung des Deutschen Fußballbundes (DFB), seine Mannschaften in Zukunft in der Ausstattung des US-Sportkonzerns Nike und nicht mehr mit den drei Streifen des historischen Partners Adidas auflaufen zu lassen, gleich zwei Sensationen.

Die 1. Sensation: Geld ist doch gut

Wer rechnen kann, versteht die Entscheidung des DFB. Denn Nike wird ab Beginn der Partnerschaft im Jahr 2027 pro Jahr 100 Millionen Euro in die Kassen des ausgesprochen klammen DFB pumpen. Die Adidas AG aus dem mittelfränischen Herzogenaurach zahlt bislang nur die Hälfte der Summe, berichtet das „Handelsblatt“. Soweit also unspektakulär. Aber: Dass ausgerechnet die aktuelle DFB-Führung den Kapitalismus auf diese Weise aufs Siegertreppchen steigen ließ, ist mehr als überraschend. DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist ein langjähriger SPD-Funktionär, der gern vor der „vollkommenen Kommerzialisierung des Fußballs“ warnt. Er war bei seiner Wahl an die Spitze des mächtigen Sportverbandes vor zwei Jahren, im März 2022, der Kandidat des Amateur- und Breitensports, nicht der des Profifußballs.

Als die Deutsche Fußball-Liga (DFL), der Verband der Profivereine aus der ersten und zweiten Bundesliga, unlängst einen Investor für eine Beteiligung von bis zu acht Prozent an einer DFL-Tochter zur Verwertung der Bundesliga-Medienrechte suchte und sich davon ein Milliardengeschäft versprach, äußerte Neuendorf öffentlich seine Sorge vor einem solchen Deal. Er platze schließlich, und seitdem sind die Profivereine endgültig verärgert über Neuendorf und dessen Einmischung in den Prozess.

Und Neuendorf, menschlich sympathisch und aus dem rheinischen Hürtgenwald stammend, setzte seinen antikapitalistischen Kurs auch personell um: Sein sozialdemokratischer Bruder im Geiste und langjähriger Gefolgsmann Andreas Rettig, den er im September gegen interne Widerstände zum neuen Geschäftsführer Sport berufen ließ, gehört zu jenen Sportfunktionären, denen Spitzenleistung weniger wichtig ist als das soziale Engagement der Sportler. Als Rettig im Juni 2021 Chef des Drittligisten Victoria Köln wurde, ließ er wissen, ihm sei besonders das Thema „ESG“ wichtig. Es werde mit den „drei Säulen ‚Environment‘, zu dem vor allem der Klima- und Umweltschutz gehört, ‚Social‘, das für gesellschaftliches Engagement steht, und ‚Governance‘ für eine gute Unternehmensführung in unserem Klub eine bedeutsame Rolle spielen“. Deshalb wolle man „künftig unter anderem auch bei allen Spielern sowie den Verantwortlichen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle eine ‚Gemeinwohl-Klausel‘ in die Arbeitsverträge integrieren. In dieser Hinsicht werden wir sicher Pionierarbeit leisten.“

Nach konkreten Beispielen gefragt, antwortete der Sportfunktionär, man werde „verbindlich regeln, dass sich die Spieler im Laufe eines Vertragsjahres sozial zu engagieren haben. Jedem steht es dabei frei, für welche Aktionen er sich entscheidet, was genau er umsetzen möchte. Wir werden dazu von Vereinsseite aber auch Vorschläge machen. Das kann das Blutspenden sein, die Betreuung älterer Menschen oder Besuche in Kinderheimen und Kitas.“

Uli Hoeneß nannte Rettig den „König der Scheinheiligen“, nachdem der das Katar-Sponsoring für den FC Bayern München attackiert hatte.

2. Sensation: DFB macht Habeck zum Patrioten

Es gab viele überraschte bis kritische Reaktionen auf die Entscheidung des DFB gegen Adidas und für Nike. Aus dem Rahmen seiner bisherigen Positionierung fallend ist dabei die Äußerung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. „Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht", sagte der Grüne.

Habeck und Patriotismus, das schien bislang nicht zusammenzugehen. Zwar hatte er sich von seiner alten, ehrlicherweise von ihm selbst referierten Position gegen jeden Patriotismus („Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“) durch die Veröffentlichung seines Buches „Patriotismus: Ein linkes Plädoyer“ im Jahr 2010 bereits ein Stück weit verabschiedet. Dafür fragte er jetzt , ob „nicht ein Patriotismus ohne Deutschland an der Zeit ist, um in einer komplexen und vielfältigen Welt neue Formen zu finden, der Demokratie wieder zur Wirklichkeit zu verhelfen“. Er plädierte für einen „Einsatz für das Gemeinwesen, in dem man lebt, unabhängig vom aufgeladenen Begriff der deutschen Nation“.

Inzwischen ist Habeck erkennbar weiter, wenn er den DFB tadelt, es an Patriotismus gegenüber dem Standort (und was wäre dieser anders als nun einmal Deutschland?) mangeln zu lassen. Standort, Deutschland, deutsche Identität, alles wird jetzt von Habeck beschworen. Vom Patriotismus hat sich der Grüne offenkundig verabschiedet. Wenn das keine Sensation ist.

Man kann aber auch sagen: Der DFB scheint weit nach links gerückt zu sein, wenn Habeck rechts an ihm vorbeiwieseln kann.

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Die zwei Sensationen hinter der Entscheidung des DFB gegen Adidas

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22.03.2024

Artikel vom 22.03.2024

Nike wird der neue Ausstatter der deutschen Nationalmannschaften. Das Votum gegen die bewährte Marke aus Herzogenaurach ist ein Ja zum Kommerz, den Präsident Neuendorf sonst gern kritisiert. Da wird dann sogar Habeck zum Patrioten

Es ist eine Entscheidung des Hirns gegen das Herz. So etwas ist nicht unüblich und geradezu eine Grundvoraussetzung der Marktwirtschaft. Dennoch stecken in der Verkündung des Deutschen Fußballbundes (DFB), seine Mannschaften in Zukunft in der Ausstattung des US-Sportkonzerns Nike und nicht mehr mit den drei Streifen des historischen Partners Adidas auflaufen zu lassen, gleich zwei Sensationen.

Die 1. Sensation: Geld ist doch gut

Wer rechnen kann, versteht die Entscheidung des DFB. Denn Nike wird ab Beginn der Partnerschaft im Jahr 2027 pro Jahr 100 Millionen Euro in die Kassen des ausgesprochen klammen DFB pumpen. Die Adidas AG aus dem mittelfränischen Herzogenaurach zahlt bislang nur die Hälfte der Summe, berichtet das „Handelsblatt“. Soweit also unspektakulär. Aber: Dass ausgerechnet die aktuelle DFB-Führung den Kapitalismus auf diese Weise aufs Siegertreppchen steigen ließ, ist mehr als überraschend. DFB-Präsident Bernd Neuendorf ist ein langjähriger SPD-Funktionär, der gern vor der „vollkommenen Kommerzialisierung des Fußballs“ warnt. Er war bei seiner Wahl an die Spitze des........

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