Artikel vom 23.01.2024

Wenn Landwirte Straßen blockieren, finden sie, anders als Klimakleber, Zustimmung in der Bevölkerung. Und wenn sie in der Werbung auftauchen, fühlen wir uns gut. Selbst im Schach sind sie die Seele des Spiels. Zeit für ein Loblied

Deutschland hat im 21. Jahrhundert ein neues Kraftzentrum. Es mag auf den ersten Blick wie im Raum-Zeit-Kontinuum verschoben wirken und aus dem 19. Jahrhundert stammend, aber das ist eine Fehlwahrnehmung aus dem Elfenbeinturm der deutschen Halbinformationsgesellschaft: Wir reden vom Bauern, und es gibt schlicht keine Gegenwart ohne ihn, er ist gewissermaßen gehärtet gegen jedes Aus-der-Mode-kommen.

Der Bauer, Landwirt, Agrarier – gestern suchte er noch nach einer Frau und brachte es damit zum Trash-TV-Ruhm. Heute legt er, wenn er möchte, das Leben lahm, blockiert Straßen, sorgt für stundenlange Staus – und erregt damit, anders als die Klimakleber, nicht Unmut, sondern findet deutschlandweit Zustimmung für seinen Protest. Selbst als Bauern einmal eine Fähre mit dem aus der Privatheit zurückkehrenden Wirtschaftsminister Robert Habeck am Anlegen hinderten und rasch die Mär gesponnen wurde, rund um das Wasserfahrzeug habe sich ein Bauernkrieg mit rechtsradikalen Querverbindungen und gefährlichen Entermanövern angebahnt, stellte der öffentlich-rechtliche Norddeutsche Rundfunk acht Tage später richtig: „Blockade der Habeck-Fähre nach Recherchen des NDR kein Erstürmungsversuch.“

Besagter Habeck übrigens war ja vor seiner Zeit als erster Vizekanzler in der Ampelregierung selbst für Landwirtschaft zuständig, und zwar in der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Oder, wie Annalena Baerbock es formulierte: „Vom Hause her kommt er – Hühner, Schweine, weiß ich nicht, was haste? – Kühe melken… Ich komme eher aus dem Völkerrecht. Da kommen wir aus ganz anderen Welten.“

Zwar geistert immer noch die falsche Wahrnehmung durchs Land, die Bauern protestierten derzeit für die Fortsetzung von Subventionen, obwohl sie in Wirklichkeit lediglich gegen eine Steuererhöhung auf Agrardiesel kämpfen. Der für sie geringere Steuersatz rührt schlicht daher, dass bäuerliche Fahrzeuge wie Traktoren oder Mähdrescher nur selten öffentliche Straßen benutzen (okay, die Demos bildeten da eine Ausnahme), sondern meistens auf Feldwegen und Feldern rangieren – und darum die Steuer auf Sprit, die ja ideell der Aufrechterhaltung der Fernstraßen zugute kommen soll, geringer ausfällt als für den Fahrer eines Pkw oder Lkw mit Dieselantrieb.

Und obwohl es an anderer Stelle durchaus reichlich Subventionen für die Landwirte gibt, leisten sie Beachtliches für die Gesellschaft. Sie bewirtschaften mit ihren Betrieben mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands, nämlich 18,1 Millionen von 35,8 Millionen Hektar.

Landwirte gehören in Deutschland mutmaßlich zu den am härtesten arbeitenden Menschen, viele von ihnen ohne echtes Wochenende und Jahresurlaub – und mutmaßlich ohne Träume von der Vier-Tage-Woche. Die Work-Life-Balance eines Bauern liegt wohl weniger im Netflix-Streamen schon am Nachmittag oder dem Wochenendtrip ab Donnerstagabend als im zufriedenen Blick übers Feld, wenn Ähren, Rispen oder Kartoffeln so gedeihen wie sie sollen und wenn im Stall neue Ferkelchen oder Kälbchen fröhlich schmatzen. Ja, die haben anschließend nicht immer ein rosiges Leben und werden gar irgendwann geschlachtet. Aber selbst Veganer, die den armen Schnecken den leckeren Salat wegfuttern, kommen an dieser oder jener Stelle in einen moralischen Spagat.

Das Leben der Bauern ist ganz sicher nicht idyllisch. Aber wir alle sind bereit, es zu verklären. Wenn in der Werbung sich Getreidehalme im Wind bewegen, wenn Männer oder Frauen in bäuerlicher Tracht in ein Käsebrot oder ein Stück Fleicshwurst beißen, wenn Kinder in landwirtschaftlicher Umgebung einen Joghurt mit lecker Frucht löffeln, wähnen wir uns wohlig umgeben von Glück und Gesundheit, obwohl da gerade für verarbeitete Lebensmittel geworben wird (für die Generation Z: „processed food“). Auf der Alm, da gibt koa Sünd, was die Generation Alpa jetzt nicht ergoogeln sollte, das glaubten wir in den 70-er Jahren und das glauben wir noch heute.

Die Bauern und ihre Großtaten: Zwangen sie Habeck Anfang Januar, mit seiner Fähre wieder in See zu stechen, meldete „Bild“ an diesem Dienstag: „Landwirte retten Habecks Lieblingsprojekt.“ Nämlich den Bau einer Batteriezellenproduktion für Elektro-Autos im schleswig-holsteinischen Dithmarschen, und da musste der Gemeinderat zustimmen, „in dem fast jeder aus der Landwirtschaft kommt“, so der „Bild“-Chronist. Aber die Mehrheit stand, das „Leuchtturmprojekt der Energie- und Verkehrswende, das Tausende von Green-Tech-Arbeitsplätzen schaffen wird“, soll bis 2026 anlaufen, freute sich laut dem Boulevardblatt vor allem Hinrich Habeck, Bruder des Ministers und Geschäftsführer der zu 51-Prozent bundeseigenen Wirtschaftsförderung Schleswig-Holstein (WTSH).

Bauern werden oft unterschätzt, auch im königlichen Spiel: Da ist die Dame die stärkste Figur und ihr Gemahl, der Regent, die wichtigste. Aber die Seele des Schach sind die Bauern, obwohl sie formal die schwächsten Figuren sind. Doch sie treten zu acht an, sie können Angriffe stoppen, sie können bis zur ersten Linie des Gegners vorstoßen, also sich von gegenüberkommend zur achten oder ersten Reihe vorschieben, und für diesen Mut des Pioniers werden sie dann in eine übermächtige Dame verwandelt.

Die Hymne des Autors auf die Bauern mag übrigens von positiven Vorurteilen beseelt sein, weil der Vater zwar kein Bauer war, aber als Sohn eines ostpreußischen Landwirts zum Bauingenieur wurde – und übrigens zeitlebens ein starker Schachspieler war, der es gar ganz kurz bis in die Bundesliga schaffte.

Haben Bauern bei jedermann einen so guten Ruf? Wohl kaum. Erling Haaland, norwegischer Stürmerstar bei Manchester City, ließ gerade wissen, dass er bei seinem Wechsel von Borussia Dortmund auf die Insel Spott zu hören bekam. „Es gab Leute, die haben gesagt, ich käme aus einer Bauernliga“, sagte Haaland bei Sport1, „oder wie auch immer sie die deutsche Liga nannten, dass ich zu kämpfen haben würde mit der Umstellung, solche Sachen. Aber man hat ja gesehen: Es war dann doch eine nette Saison.“

Ja, das hat man gesehen. Unterschätzt also nicht die Bauern! Nicht einmal die, die ihr nur für Bauern haltet.

QOSHE - Ehre sei dem Bauern! - Ansgar Graw
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Ehre sei dem Bauern!

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24.01.2024

Artikel vom 23.01.2024

Wenn Landwirte Straßen blockieren, finden sie, anders als Klimakleber, Zustimmung in der Bevölkerung. Und wenn sie in der Werbung auftauchen, fühlen wir uns gut. Selbst im Schach sind sie die Seele des Spiels. Zeit für ein Loblied

Deutschland hat im 21. Jahrhundert ein neues Kraftzentrum. Es mag auf den ersten Blick wie im Raum-Zeit-Kontinuum verschoben wirken und aus dem 19. Jahrhundert stammend, aber das ist eine Fehlwahrnehmung aus dem Elfenbeinturm der deutschen Halbinformationsgesellschaft: Wir reden vom Bauern, und es gibt schlicht keine Gegenwart ohne ihn, er ist gewissermaßen gehärtet gegen jedes Aus-der-Mode-kommen.

Der Bauer, Landwirt, Agrarier – gestern suchte er noch nach einer Frau und brachte es damit zum Trash-TV-Ruhm. Heute legt er, wenn er möchte, das Leben lahm, blockiert Straßen, sorgt für stundenlange Staus – und erregt damit, anders als die Klimakleber, nicht Unmut, sondern findet deutschlandweit Zustimmung für seinen Protest. Selbst als Bauern einmal eine Fähre mit dem aus der Privatheit zurückkehrenden Wirtschaftsminister Robert Habeck am Anlegen hinderten und rasch die Mär gesponnen wurde, rund um das Wasserfahrzeug habe sich ein Bauernkrieg mit rechtsradikalen Querverbindungen und gefährlichen Entermanövern angebahnt, stellte der öffentlich-rechtliche Norddeutsche Rundfunk acht Tage später richtig: „Blockade der Habeck-Fähre nach Recherchen des NDR kein Erstürmungsversuch.“

Besagter Habeck übrigens war ja vor seiner Zeit als erster Vizekanzler in der Ampelregierung selbst für Landwirtschaft........

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