Artikel vom 02.01.2024

Bei der Befragung der Liberalen optierte eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der Regierung. Das ist für den Parteichef die beste Option. Aber er wird handeln müssen, will er die Existenz der FDP nicht gefährden.

Die FDP-Basis hat entschieden: Mit knappem Vorsprung hat in einer Mitgliederbefragung die Mehrheit dafür votiert, in der Ampel-Koalition zu bleiben. Zwar hatten sich 12.444 Mitglieder (47,8 Prozent) für einen Ausstritt aus der Regierung ausgesprochen. Aber 13.614 stimmten dagegen (52,2 Prozent). Mehr als jedes dritte Mitglied der aktuell 76.000 organisierten Liberalen hatten seit Mitte Dezember an der digitalen Abstimmung teilgenommen. Sie war von unzufriedenen FDP-lern initiiert worden, die das liberale und wirtschaftsfreundliche Profil ihrer Partei in der Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen schwinden sahen.
Das Ergebnis kommt dem einer Umfrage nahe, die das Meinungsforschungsinstitut INSA unlängst durchgeführt hatte. INSA-Chef Hermann Binkert hatte vor Weihnachten in TheEuropean festgehalten, dass unter FDP-Wählern (also nicht nur Mitgliedern) 33 Prozent für einen Ausstieg der Liberalen aus der Koalition seien, während 42 Prozent sich dagegen aussprächen. Deutliche Voten für einen Regierungsausstieg der FDP gab es hingegen unter den Wählern von CDU/CSU (53 Prozent dafür / 22 Prozent dagegen), Grüne (48 Prozent / 27 Prozent) und AfD (69 Prozent / 10 Prozent). Von den SPD-Wählern stimmten 40 Prozent gegen einen FDP-Austritt (keine Angabe zu den Pro-Stimmen).

Im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) zeigte sich FDP-Chef Christian Lindner nach der Verkündung des Ergebnisses der (rechtlich nicht bindenden) Befragung am Abend des Neujahrstag zufrieden. „Das Ergebnis unserer #Mitgliederbefragung sehe ich als Ausdruck der Verantwortung für Deutschland, aber auch als klaren Auftrag, im Regierungshandeln weiter liberales Profil zu zeigen“, schrieb der Bundesfinanzminister, gezeichnet mit den Initialen „CL“ als Hinweis darauf, dass hier Lindner persönlich formulierte und nicht seine Mitarbeiter.
Allerdings: Binnen rund sechs Stunden (bis 6.30 Uhr am 2. Januar) äußerten zwar 425 X-User per „Like“-Symbol ihre Zustimmung zur Botschaft Lindners. Doch in der gleichen Zeit gab es 1500 Kommentare unter dem Tweet. Und die waren, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, alles andere als positiv. Der anonyme User „Gr@ntler“, augestattet mit über 40.000 Followern, rüffelte: „Hätten Sie noch einen Funken Verantwortungsbewusstsein gegenüber diesem Land und seinen Menschen, würden Sie die Reißleine ziehen, Herr Lindner“ – und er bekam dafür 410 Likes, zog also nahezu gleichauf mit dem FDP-Vorsitzenden.

Ein (laut seinem Profil) Strafverteidiger ironisierte: „34% Beteiligung und fast 50:50. Ganz klarer Auftrag. Fraglos.“
Und bitterböse war die Reaktion von „LogoRista“, der ein GIF postete, gefilmt aus einem offenen Grab, in das eine Handvoll Trauernde Blumen wirft. „Ohne über prophetische Fähigkeiten zu verfügen: Das war es dann wohl. In 2 Jahren ist die Partei Geschichte“, orakelte der ebenfalls anonyme User dazu.
War die Entscheidung zum Verbleib in der Ampel mithin falsch? In jedem Fall falsch wäre es gewesen, die Fortsetzung der Koalition von einem solchen Votum abhängig zu machen. Die Bundestagsfraktion und die FDP-Minister müssen entscheiden, in welchem Umfang sie weiterhin Kompromisse mit Rot-Grün machen wollen – und je nach dem Ergebnis dieser Prüfung dann zwischen Kontinuität und Konsequenzen wählen. Denn die Parteimitglieder hatten ja zu Beginn der Ampel-Koalition dem Koalitionsvertrag auf einem (digitalen) Parteitag ihren Segen gegeben: Satte 92 Prozent der Liberalen stimmten am 6. Dezember 2021 dem Dreier-Bündnis zu.
Jetzt bedarf es mithin einer Sachfrage, in der die FDP sich nicht durchsetzen kann, etwa eines Gesetzesvorhabens, um im Falle unzumutbarer Inhalte die Zusammenarbeit aufzukündigen, und nicht einer erneuten Abstimmung. Das überbürokratisierte, teure, Wohlstand vernichtende Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im vergangenen Jahr wäre ein solcher Anlass gewesen. Die FDP entschied sich, lieber um Kompromisse zu kämpfen (wobei sie durchaus auch Erfolge verzeichnen konnte), als die Koalition bereits 2023 platzen zu lassen.

Ein FDP-Regierungsmitglied sagte TheEuropean im Herbst unter der Bedingung der Anonymität, die Wähler hätten kein Verständnis gehabt, wenn seine Partei zu früh und ohne die ernsthafte Suche nach einer Lösung die Flinte ins Korn geworfen hätte. Und im Sommer oder Herbst 2024 sei man bereits zu dicht an der Bundestagswahl 2025, die im Fall ihrer vollen Laufzeit 46 bis 48 Monate nach der konstituierenden Sitzung des 20. Bundestags an einem Sonntag stattfinden muss, mithin zwischen dem 27. August 2025 und dem 26. Oktober 2025. Den genauen Termin wird der Bundespräsident festlegen, nach eingeübter Praxis in Absprache mit der Bundesregierung und den Landesregierungen. Darum, so die liberale Gewährsperson weiter, werde die Entscheidung über einen Verbleib in der Koalition oder ihren Bruch im Frühjahr 2025 fallen.
Dieses Frühjahr klopft gerade an die Tür. Der Ausgang der Mitgliederbefragung war so gesehen ideal für Lindner: Das Resultat gibt ihm das Mandat, zunächst weiterzumachen. Aber weil der Unterschied zwischen Pro- und Contra-Stimmen so gering war, bindet es ihn ganz und gar nicht bis zum Ende der Legislatur.

Für SPD und Grüne geht es in der nächsten Bundestagswahl um einen Verbleib in der Regierung oder (was nach allen Umfragen deutlich wahrscheinlicher ist) um einen Wechsel auf die Oppositionsbänke. Für die FDP hingegen geht es um die pure Existenz: Fällt sie unter die fünf Prozent, weil ihre Wähler enttäuscht sind vom mangelnden liberalen Fußabdruck in der Regierungspolitik, könnte dies ihr Schicksal besiegeln in einer Parteienlandschaft im Wandel mit einer zunehmend wirtschaftsliberal-konservativ profilierten Union unter Friedrich Merz, einer wegen der verbreiteten Unzufriedenheit vor allem mit der illegalen Migration im Osten wie Westen gestärkten AfD rechtsaußen, einer möglicherweise neu hinzustoßenden Wagenknecht-Partei sowie Sozialdemokraten und Bündnis-Grünen.
Fazit: Nach der Entscheidung über den FDP-Verbleib in der Ampel ist vor der Entscheidung über die Haltwertzeit von Rot-Grün-Gelb.

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FDP-Mitglieder gegen Ampel-Aus: Jetzt hat Lindner alle Optionen

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02.01.2024

Artikel vom 02.01.2024

Bei der Befragung der Liberalen optierte eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der Regierung. Das ist für den Parteichef die beste Option. Aber er wird handeln müssen, will er die Existenz der FDP nicht gefährden.

Die FDP-Basis hat entschieden: Mit knappem Vorsprung hat in einer Mitgliederbefragung die Mehrheit dafür votiert, in der Ampel-Koalition zu bleiben. Zwar hatten sich 12.444 Mitglieder (47,8 Prozent) für einen Ausstritt aus der Regierung ausgesprochen. Aber 13.614 stimmten dagegen (52,2 Prozent). Mehr als jedes dritte Mitglied der aktuell 76.000 organisierten Liberalen hatten seit Mitte Dezember an der digitalen Abstimmung teilgenommen. Sie war von unzufriedenen FDP-lern initiiert worden, die das liberale und wirtschaftsfreundliche Profil ihrer Partei in der Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen schwinden sahen.
Das Ergebnis kommt dem einer Umfrage nahe, die das Meinungsforschungsinstitut INSA unlängst durchgeführt hatte. INSA-Chef Hermann Binkert hatte vor Weihnachten in TheEuropean festgehalten, dass unter FDP-Wählern (also nicht nur Mitgliedern) 33 Prozent für einen Ausstieg der Liberalen aus der Koalition seien, während 42 Prozent sich dagegen aussprächen. Deutliche Voten für einen Regierungsausstieg der FDP gab es hingegen unter den Wählern von CDU/CSU (53 Prozent dafür / 22 Prozent dagegen), Grüne (48 Prozent / 27 Prozent) und AfD (69 Prozent / 10 Prozent). Von den SPD-Wählern stimmten 40 Prozent gegen einen FDP-Austritt (keine Angabe zu den Pro-Stimmen).

Im Kurznachrichtendienst X (vormals........

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