Artikel vom 06.02.2024

Der Unternehmer und Politiker fordert, Kiew weiter gegen den russischen Aggressor zu unterstützen: „Humanitär, mit Waffen und mit Ausrüstung.“ Jetzt soll eine Gala seiner Stiftung Gelder sammeln für das geschundene Land

Der Unternehmer und Selfmade-Millionär Harald Christ, geboren 1972 in Worms, gehörte lange Zeit dem Helmut-Schmidt-Flügel der SPD an. Unter Hinweis auf einen Linksruck der Sozialdemokraten verließ er die Partei im Dezember 2019. Im folgenden Jahr schloss sich Christ der FDP an, deren Bundesschatzmeister er von September 2020 bis April 2022 war. Mit seiner Harald Christ Stiftung für Demokratie und Vielfalt fördert er demokratische Aufklärung und die Bildung der Jugend. Mit Christ sprach Ansgar Graw:

THE EUROPEAN: Herr Christ, Sie rufen auf zu anhaltender Solidarität mit der Ukraine. Das hat man nach dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 in Deutschland häufig gehört. Wie nehmen Sie das heute wahr? Liegen Sie aktuell noch im Trend? Oder werden Sie einsamer, weil viele ursprüngliche Ukraine-Unterstützer kriegsmüde geworden sind und die Putin-Versteher immer lauter werden?

HARALD CHRIST: Ich kann nicht sagen, ob ich im Trend liege. Was ich aber wahrnehme ist, dass sich der Fokus auf diesen nun schon seit zwei Jahren andauernden Krieg verschoben hat. Die aktuellen Krisen und Krisenherde sind aktuell so zahlreich, dass das Leid der Ukraine nicht mehr die Tagesmedien dominiert, sondern zunehmend eine untergeordnete Rolle spielt. Sicher sind wir auch kriegsmüde, weil wir uns Frieden wünschen. Gerade deshalb rufe ich dazu auf, weiter solidarisch zu sein. Aber ich bekomme dazu auch sehr viele Rückmeldungen von Menschen, so dass ich mich hier ganz sicher nicht einsam fühle.

Und der Kanzler? Zu Olaf Scholz hatten Sie ja früher einen guten Draht. Hat er aus Ihrer Sicht das Richtige und Notwendige getan seit seiner Rede über die "Zeitenwende" kurz nach Putins Angriff?

Ich bin parteiübergreifend gut vernetzt und pflege auch noch immer gute Kontakte ins Kanzleramt. Ich habe seit dem barbarischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine einen Kanzler erlebt, der besonnen und abwägend reagiert hat und sich nicht hat treiben lassen von der teilweise extrem aufgeheizten Atmosphäre. Bisher hielten sich die Folgen des Krieges auf Deutschland vor allem für die Bürger in Grenzen – es gab und gibt Entlastungen in Milliardenhöhe für die Menschen, die Flüchtlingssituation wurde gut gemanagt, der befürchtete Winter, in dem wir alle frieren, blieb aus. Gleichwohl hat es für die Wirtschaft dramatische Einschnitte gegeben.

Das klingt sehr zufrieden. Sie sehen keinen Nachholbedarf?

Nachholbedarf gibt es in der Zusammenarbeit der Ampel: Diese sollte geräuschloser regieren, besser kommunizieren, die Bürger stärker in Entscheidungsprozesse einbeziehen. Nur so kann sich Vertrauen auch auf lange Sicht etablieren. Und hier hat die Regierung mit einem Kanzler Scholz noch viel Luft nach oben.

Das betrifft das Innenverhältnis der Koalition und den Umgang mit der eigenen Bevölkerung. Was wünschen Sie sich von der deutschen Politik in Bezug auf die Ukraine?

Grundsätzlich: Dass wir die Ukraine nicht aus dem Blick verlieren. Dass wir zum einen immer wieder betonen, dass wir an der Seite der Ukraine stehen und diesen Angriffskrieg Russlands nicht akzeptieren, dass wir, egal wie lange dieser Krieg auch dauern mag, ein verlässlicher Partner sind und die Ukraine so lange wie nötig unterstützen.

Auf welche Weise unterstützen?

Ganz konkret: Humanitär, mit Waffen und mit Ausrüstung. Welche das konkret sind, das müssen Militärexperten abwägen und entscheiden. Das sind keine trivialen Entscheidungen. Vor allem muss das auch wie schon zuvor immer auch gemeinsam mit europäischen Partnern entschieden werden. Gleichwohl muss auch klar sein, dass diese Entscheidungen nicht ewig auf sich warten lassen können. Die Ukraine befindet sich im Krieg, und zwar jeden Tag seit nunmehr zwei Jahren. Und ich unterstütze auch weitere Sanktionen gegen Russland, so wie es jetzt auch die EU plant: also eine Erweiterung der Liste mit Personen und Einrichtungen, deren in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren werden müssen und Sanktionen gegen Unternehmen, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands beitragen.

Die Ukraine weiterhin zu unterstützen, ist das eine. Aber das andere ist doch die Definition eines Zieles: Wie kann, wie soll dieser Krieg ausgehen? Dass die ukrainische Armee irgendwann in Moskau, der Hauptstadt einer Atommacht, einmarschiert, ist kaum zu erwarten.

Das ist eine schwierige Frage, die meiner Meinung nach vor allem am Verhandlungstisch beantwortet werden muss. Die Ukraine darf nicht verlieren, Russland nicht gewinnen. Alles andere hätte verheerende Folgen – für Europa, aber auch global. Aber was das genau bedeutet, wenn man sich den aktuellen Status des Krieges ansieht, ist schwer vorauszusehen. Es braucht Vermittlung und Diplomatie – auch von Dritten. Und es braucht die Ukraine, die ihre Ziele definiert. Es wäre vermessen, wenn wir diese Ziele definieren.

Mit Ihrer Stiftung veranstalten Sie am 19. April im Konzerthaus Berlin eine Benefiz-Gala unter dem Titel #RebuildUkraine, um Spendengelder für den Wiederaufbau des Landes einzusammeln. Was soll konkret mit den Einnahmen geschehen? Oder bleiben die auf einem Konto liegen, bis es Frieden gibt und keine Raketen mehr fliegen?

Ich habe die Benefiz-Operngala „Rebuild Ukraine“ mit meiner Stiftung für Demokratie und Vielfalt ins Leben gerufen, weil ich der Meinung bin, dass wir jetzt mit dem Wiederaufbau beginnen müssen. Das wird ohnehin eine gesellschaftliche Langzeitaufgabe sein, wir dürfen also keine Zeit verlieren. Das heißt: Natürlich legen wir das Geld nicht zur Seite und warten, bis es Frieden gibt. Das Geld fließt ganz konkret unter anderem in ein Projekt von Waldimir Klitschko. Die Initiative #WeAreAllUkrainians baut Gemeinschaftszentren für Kinder in der Ukraine auf. Die Kinder bekommen hier medizinische und psychologische Unterstützung und können Bildung nachholen.

***

Für die im Interview erwähnte Benefiz-Operngala #RebuildUkraine im Konzerthaus Berlin am 19. April (mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, Star-Tenor Rolando Villazón und der kanadischen Dirigentin Keri-Lynn Wilson) lassen sich hier Tickets erwerben.

QOSHE - Harald Christ: "Wir müssen jetzt den Wiederaufbau der Ukraine beginnen" - Ansgar Graw
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Harald Christ: "Wir müssen jetzt den Wiederaufbau der Ukraine beginnen"

14 0
06.02.2024

Artikel vom 06.02.2024

Der Unternehmer und Politiker fordert, Kiew weiter gegen den russischen Aggressor zu unterstützen: „Humanitär, mit Waffen und mit Ausrüstung.“ Jetzt soll eine Gala seiner Stiftung Gelder sammeln für das geschundene Land

Der Unternehmer und Selfmade-Millionär Harald Christ, geboren 1972 in Worms, gehörte lange Zeit dem Helmut-Schmidt-Flügel der SPD an. Unter Hinweis auf einen Linksruck der Sozialdemokraten verließ er die Partei im Dezember 2019. Im folgenden Jahr schloss sich Christ der FDP an, deren Bundesschatzmeister er von September 2020 bis April 2022 war. Mit seiner Harald Christ Stiftung für Demokratie und Vielfalt fördert er demokratische Aufklärung und die Bildung der Jugend. Mit Christ sprach Ansgar Graw:

THE EUROPEAN: Herr Christ, Sie rufen auf zu anhaltender Solidarität mit der Ukraine. Das hat man nach dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 in Deutschland häufig gehört. Wie nehmen Sie das heute wahr? Liegen Sie aktuell noch im Trend? Oder werden Sie einsamer, weil viele ursprüngliche Ukraine-Unterstützer kriegsmüde geworden sind und die Putin-Versteher immer lauter werden?

HARALD CHRIST: Ich kann nicht sagen, ob ich im Trend liege. Was ich aber wahrnehme ist, dass sich der Fokus auf diesen nun schon seit zwei Jahren andauernden Krieg verschoben hat. Die aktuellen Krisen und Krisenherde sind aktuell so zahlreich, dass das Leid der Ukraine nicht mehr die Tagesmedien dominiert, sondern zunehmend eine untergeordnete Rolle spielt. Sicher sind wir auch kriegsmüde, weil wir uns Frieden wünschen. Gerade deshalb rufe........

© The European


Get it on Google Play