Artikel vom 26.01.2024

In den USA wurde erstmals ein Verbrecher durch Nitrogen exekutiert. Damit gibt es eine neue Technik der Todesstrafe, die in den fünf bevölkerungsreichsten Ländern der Welt weiterhin in Kraft ist.

Kenneth Eugene Smith war erstens ein brutaler Killer. Und zweitens ein doppelter Pechvogel. Nachdem er als gedungener Mörder 1988 eine Frau ermordet hatte, verurteilte ihn eine Jury im US-Bundestaat Alabama mit zehn zu eins Stimmen nicht zum Tod, sondern nur zu lebenslanger Haft. Aber Richter in dem US-Bundesstaat waren zu der Zeit noch nicht gebunden an die Voten von Jurys, und der Vorsitzende in diesem Fall überstimmte die Geschworenen, indem er eine Exekution verfügte. Das geschieht vergleichsweise selten, und danach wurde das Gesetz in Alabama so angepasst, dass eine Juryentscheidung heute den Richter bindet.

Am 17. November 2022 sollte der geständige Smith per Giftinjektion getötet werden. Doch die Henker stachen dem verurteilten Mörder mehrfach mit der Nadel in Muskeln, fanden schlicht keine Vene für die beiden benötigten Infusionen und gaben nach 80 Minuten auf. Die Exekution wurde fürs erste abgesagt.

Und hier hatte Smith, geboren am 4. Juli, also dem Unabhängigkeitstag der USA, im Jahr 1965 erneut Pech. Während es in manchen Gesellschaften als Wille Gottes betrachtet wird, wenn ein Hinzurichtender drei Exekutionsversuche überlebt (bei Smith wurde mutmaßlich ein halbes Dutzend mal die Nadel vergeblich angesetzt) und deswegen auf freien Fuß gesetzt wird, verfügte Alabama die Anwendung einer anderen Hinrichtungsmethode. Diesmal sollte Stickstoff zum Einsatz kommen. Dieser alternativen Exekution hatte Smith nach dem Todesurteil selbst zugestimmt.

Am späten Abend des 25. Januar wurde Smith mit Stickstoff getötet, diesmal lief alles nach Plan. Der Gefangene wurde gefesselt und bekam eine Gesichtsmaske aufgesetzt, in die das Nitrogen durch einen Schlauch gepumpt wurde. Alles lief diesmal offenkundig wie geplant, Smith soll rasch das Bewusstsein verloren und dann gestorben sein.

Damit schrieb der 66-jährige Verbrecher Geschichte. Obwohl die Exekution mittels Stickstoff auch in Oklahoma und Mississippi erlaubt ist, wurde sie in keinem der drei Staaten zuvor je angewendet. Smith hatte seinerzeit im Auftrag eines Pastors dessen Frau zusammen mit einem Kollegen zu Tode geprügelt und dafür eine Prämie von 1000 Dollar kassiert. Der Pastor hatte eine Affäre und wollte zudem eine Lebensversicherung kassieren, die er auf seine Frau abgeschlossen hatte. Als die Ermittlungen den Pastor als Auftraggeber ins Visier nahmen, gestand dieser die Tat vor seinen Kindern und beging Selbstmord.

Dabei ist Stickstoff grundsätzlich weder giftig noch gefährlich. Stickstoff (N2) macht 78 Prozent der uns umgebenden Luft aus. Aber wenn sie in eine dichte Gesichtsmaske gepumpt wird, presst sie den für unseren Körper überlebenswichtigen Sauerstoff weg und führt zu sehr rascher Bewusstlosigkeit, zu Atemstillstand und zum Tod. Wegen seiner Wirkung wird Stickstoff auch bei assistierten Suiziden angewendet.

Die Todesstrafe wurde nach Angaben von Amnesty International bis Ende 2022 in weltweit 112 Staaten aufgegeben. In den sechs bevölkerungsreichsten Ländern hingegen, Indien, China, USA, Indonesien, Pakistan und Nigeria, wird sie noch vollstreckt. Auch in Iran, Saudi-Arabien oder Russland gibt es die Todesstrafe weiterhin.

In den USA haben lediglich 23 von 50 Bundesstaaten die Todesstrafe offiziell abgeschafft. Zudem sind auf Bundesebene Hinrichtungen möglich. 2014 ließ der damalige US-Präsident Barack Obama alle Hinrichtungsurteile auf Bundesebene unbefristet aussetzen, nachdem Pharmakonzerne unter öffentlichen Druck geraten und Gefängnisse deshalb Probleme mit der Lieferung sicherer Giftstoffe bekommen hatten. Sein Nachfolger Donald Trump ließ gleichwohl 2019 die Aussetzung von Exekutionen wieder aufheben. Der gegenwärtige Amtsinhaber Joe Biden setzte dann 2021 Hinrichtungen auf Bundesebene vorerst wieder aus. Biden befürwortet die grundsätzliche Abschaffung. Allerdings hat das seiner Administration unterstehende US-Justizministerium soeben angekündigt, es werde die Todesstrafe beantragen im Fall eines weißen Attentäters, der in einem rassistisch motivierten Terroranschlag zehn Schwarze in einem Lebensmittelgeschäft in Buffalo / New York ermordet hat.

Im Laufe der Geschichte haben Gesellschaften auf der ganzen Welt verschiedene Hinrichtungsmethoden als Mittel zur Bestrafung schwerer Verbrechen eingesetzt. Diese Methoden haben sich im Laufe der Zeit erheblich weiterentwickelt und spiegeln den Wandel der kulturellen Werte, der Technologie und der Rechtssysteme wider.

Erhängen: Eine der ältesten Hinrichtungsmethoden ist das Erhängen, bei dem eine Person an einem um den Hals gebundenen Seil aufgehängt wird, bis der Tod eintritt. Sie wurde in verschiedenen Kulturen in unterschiedlicher Form praktiziert. Die Falllänge und die Art der Schlinge wurden angepasst, um einen schnellen und "humanen" Tod zu gewährleisten. So wird häufig ein Falltormechanismus verwendet, um einen schnellen Tod zu gewährleisten. In den USA fand die letzte Erhängung 1936 statt. Im Iran werden bis heute Menschen gehängt, die nicht nur der Mordes, sondern auch beispielsweise der Blasphemie oder Kritik an Mohammed und dem Koran beschuldigt werden. Auch Homosexuellen droht im Iran die Exekution durch Erhängen.

Enthauptung: Die Enthauptung, die in der Regel mit einer scharfen Klinge durchgeführt wird, wurde in zahlreichen Kulturen und historischen Epochen angewandt. Sie war häufig Personen mit hohem sozialem Status vorbehalten, z. B. Adeligen oder militärischen Führern. In Saudi-Arabien ist das Enthaupten oder Köpfen weiterhin die häufigste Form der Hinrichtung.

Elektrokution: Der elektrische Stuhl wurde im späten 19. Jahrhundert als "humanere" Alternative zum Erhängen eingeführt. Der Verurteilte wird auf dem Stuhl festgeschnallt und einem elektrischen Hochspannungsstrom ausgesetzt, der den Tod durch Stromschlag herbeiführt. In einigen wenigen US-Bundesstaaten gibt es den elektrischen Stuhl als Hinrichtungsmöglichkeit bis heute, obwohl er in den letzten Jahren nur noch selten eingesetzt wird. Im Februar 2020 jedoch wurde ein verurteilter Mörder in Tennessee auf den elektrischen Stuhl gesetzt.

Gaskammer: Im frühen 20. Jahrhundert wurde die Gaskammer zu einer weiteren Hinrichtungsmethode. Dabei wird der Verurteilte in einer versiegelten Kammer auf einer Bahre gefesselt und ein tödliches Gas, in der Regel Blausäure, eingeleitet. In den USA wurde 1999 die Gaskammer bislang letztmalig zur Exekution eingesetzt, und zwar gegen den Deutschen Walter LaGrand wegen eines Banküberfalls, bei dem ein Bankangestellter erstochen wurde. LaGrand hatte bei seiner Verurteilung wählen dürfen zwischen Giftspritze und Gaskammer und sich für die Gaskammer in der irrtümlichen Annahme entschieden, diese Hinrichtung würde vom Obersten Gerichtshof als zu grausam verworfen werden. Die Nationalsozialisten verwendeten große Gaskammern in Vernichtungslagern hauptsächlich in eroberten Gebieten Osteuropas und teilweise auch in fahrbarer Form auf der Ladefläche von Lkws nicht gegen verurteilte Verbrecher, sondern vor allem zur Ausführung des Holocaust an Juden.

Giftinjektion: Die tödliche Injektion ist derzeit die gängigste Hinrichtungsmethode in den Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern. Dabei wird eine Reihe von Medikamenten intravenös verabreicht, darunter in der Regel ein Beruhigungsmittel, ein Lähmungsmittel und ein Medikament, das einen Herzstillstand herbeiführt. Auch diese Methode ist umstritten nach Fällen von gescheiterten oder ausgesprochen langwierigen und erkennbar schmerzhaften Hinrichtungen. In ethischer Hinsicht wird zudem der Einsatz von medizinischem Personal zur Tötung von Menschen problematisert.

Erschießungskommando: In einigen wenigen Ländern werden Hinrichtungen durch Erschießungskommandos durchgeführt, auch wenn dies nur selten geschieht. Sie gilt als eine der brutalsten Methoden, da sie gewalttätig und öffentlich ist. Das Erschießungskommando ist allerdings auch in vier US-Bundesstaaten noch immer eine Hinrichtungsmethode, wenn die tödliche Injektion nicht durchgeführt werden kann. Die letzte Hinrichtung nach dieser Methode war die des verurteilten Mörders Ronnie Gardner, der am 17. Juni 2010 auf eigenen Wunsch durch ein Erschießungskommando in Utah hingerichtet wurde.

Dabei wird der Gefangene in der Regel mit Lederriemen an der Taille und am Kopf an einen Stuhl gefesselt, der vor einer Zeltwand steht. Der Stuhl ist von Sandsäcken umgeben, um das Blut des Delinquenten aufzufangen. Dem Verurteilten wird eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen. Ein Arzt lokalisiert mit einem Stethoskop das Herz des Häftlings und klebt eine runde weiße Stoffscheibe darüber. In einer Entfernung von etwa 20 Metern stehen fünf Schützen, die mit Einzelladergewehren vom Kaliber .30 bewaffnet sind. Einer der Schützen erhält eine Platzpatrone. Jeder der Schützen zielt mit seinem Gewehr durch einen Schlitz in einer Leinwand zwischen sich und dem Gefangenen und feuert auf den Gefangenen. Niemand der Schützen weiß anschließend, ob er zur Tötung beigetragen oder nur die Platzpatrone abgefeuert hat.

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Hinrichtung per Stickstoff in Alabama: Warum Killer Kenneth Smith zweimal Pech hatte

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26.01.2024

Artikel vom 26.01.2024

In den USA wurde erstmals ein Verbrecher durch Nitrogen exekutiert. Damit gibt es eine neue Technik der Todesstrafe, die in den fünf bevölkerungsreichsten Ländern der Welt weiterhin in Kraft ist.

Kenneth Eugene Smith war erstens ein brutaler Killer. Und zweitens ein doppelter Pechvogel. Nachdem er als gedungener Mörder 1988 eine Frau ermordet hatte, verurteilte ihn eine Jury im US-Bundestaat Alabama mit zehn zu eins Stimmen nicht zum Tod, sondern nur zu lebenslanger Haft. Aber Richter in dem US-Bundesstaat waren zu der Zeit noch nicht gebunden an die Voten von Jurys, und der Vorsitzende in diesem Fall überstimmte die Geschworenen, indem er eine Exekution verfügte. Das geschieht vergleichsweise selten, und danach wurde das Gesetz in Alabama so angepasst, dass eine Juryentscheidung heute den Richter bindet.

Am 17. November 2022 sollte der geständige Smith per Giftinjektion getötet werden. Doch die Henker stachen dem verurteilten Mörder mehrfach mit der Nadel in Muskeln, fanden schlicht keine Vene für die beiden benötigten Infusionen und gaben nach 80 Minuten auf. Die Exekution wurde fürs erste abgesagt.

Und hier hatte Smith, geboren am 4. Juli, also dem Unabhängigkeitstag der USA, im Jahr 1965 erneut Pech. Während es in manchen Gesellschaften als Wille Gottes betrachtet wird, wenn ein Hinzurichtender drei Exekutionsversuche überlebt (bei Smith wurde mutmaßlich ein halbes Dutzend mal die Nadel vergeblich angesetzt) und deswegen auf freien Fuß gesetzt wird, verfügte Alabama die Anwendung einer anderen Hinrichtungsmethode. Diesmal sollte Stickstoff zum Einsatz kommen. Dieser alternativen Exekution hatte Smith nach dem Todesurteil selbst zugestimmt.

Am späten Abend des 25. Januar wurde Smith mit Stickstoff getötet, diesmal lief alles nach Plan. Der Gefangene wurde gefesselt und bekam eine Gesichtsmaske aufgesetzt, in die das Nitrogen durch einen Schlauch gepumpt wurde. Alles lief diesmal offenkundig wie geplant, Smith soll rasch das Bewusstsein verloren und dann gestorben sein.

Damit schrieb der 66-jährige Verbrecher Geschichte. Obwohl die Exekution mittels Stickstoff auch in Oklahoma und Mississippi erlaubt ist, wurde sie in keinem der drei Staaten zuvor je angewendet. Smith hatte seinerzeit im Auftrag eines Pastors dessen Frau zusammen mit........

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