Artikel vom 13.03.2024

Robert Kennedy, Neffe des ermordeten Präsidenten, war heroinsüchtig und ist ein grüner Verschwörungstheoretiker. In Harvard pfuschte er sich durch. Dennoch ist er Amerikas populärster Politiker - und steht im November zur Wahl.

Dieser Mann hat Politik im Blut, Charisma in den Genen, und den Marshallstab trug er schon als Baby im Tornister: Robert Kennedy Jr., der im November für das Weiße Haus kandidiert, ist Teil der berühmtesten Politiker-Dynastie der Vereinigten Staaten. Sein gleichnamiger Vater, Robert Kennedy, war Justizminister, Senator und aussichtsreichster demokratischer Bewerber für die Präsidentschaftswahlen 1968, bis er nach einem rauschenden Vorwahlsieg in Kalifornien durch die Schüsse eines palästinensischen Attentäters in Los Angeles tödlich verletzt wurde. Und dieser Robert Kennedy war der Bruder des bis heute mit nahezu religiöser Inbrunst verehrten John F. Kennedy, ebenfalls Demokrat und Präsident der USA von 1961 bis zu seiner Ermordung im November 1963 in Dallas.

Nun wird, im November 2024, Robert Kennedy Jr. als unabhängiger Kandidat auf den Wahlzetteln für das Weiße Haus stehen. Er ist aktuell der beliebteste Politiker der USA. Nach einer Umfrage von Economist / YouGov.Poll aus dem Januar haben 45 Prozent der Amerikaner eine sehr oder einigermaßen gute Meinung von dem 70-Jährigen. Auf die gleiche Zahl an Positiv-Stimmen kommt zwar auch Donald Trump. Aber während der mutmaßliche republikanische Präsidentschaftskandidat zugleich auf 50 Prozent mit einer „sehr oder einigermaßen schlechten“ Meinung über ihn kommt, sind es bei Kennedy nur 34 Prozent mit einer negativen Haltung ihm gegenüber.

Von Joe Biden haben nur 42 Prozent eine mehr oder weniger positive, aber 54 Prozent eine mehr oder weniger negative Meinung. Andere bundesweit bekannte Politiker, von Vizepräsidentin Kamala Harris (positiv 39 / negativ 51 Prozent), Floridas Gouverneur Ron DeSantis (38 / 43) oder Nikki Haley (35 / 41), die als Trumps letzte parteiinterne Widersacherin unlängst doch aus dem Rennen schied, sind in der Publikumsgunst abgeschlagen.

Dennoch: Robert Kennedys Aussichten, ins Weiße Haus einzuziehen und am „Resolute Desk“ Platz zu nehmen, dem Schreibtisch, an dem der Onkel so häufig saß und den der Vater fast übernommen hätte, sind im Rennen gegen Amtsinhaber Joe Biden (81) und dessen Amtsvorgänger Donald Trump (77) eher theoretischer Natur. In den neueren Umfragen nicht zur Beliebtheit, sondern zur Wahlabsicht pendelt Kennedy zwischen 6 Prozent (Emerson College Poll, 5. bis 7. März) und 15 Prozent (HarrisX / Forbes, 9. bis 11. März). Trump liegt in diesen beiden Erhebungen mit 43,2 bzw. 44 Prozent vor Biden, der auf 41,5 bzw. 38 Prozent kommt. Das verschafft dem ausgesprochen schlechten Wahlverlierer von 2020 einen Vorsprung von 1,7 bzw. 6 Prozentpunkten vor dem aktuellen Präsidenten.

Trotzdem dürfte Kennedy zum Königsmacher werden: Die Demoskopen in den USA versuchen aktuell vor allem herauszufinden, aus welchem Milieu die potenziellen Wähler des unabhängigen Kandidaten kommen. Und auch dazu gibt es Zahlen. Denn bei einem weiterhin sehr knappen Rennen zwischen Trump und Biden (Ende Februar sah eine I&I / TIPP Insights-Umfrage beide Spitzenkandidaten bei 38 Prozent) dürfte es entscheidend sein zu wissen, wer von ihnen mehr Unterstützer an den Außenseiter verlieren wird.

Dazu muss man wissen: Kennedy, zum dritten Mal verheiratet und Vater von sechs Kindern, ist grundsätzlich in beide Lager zu vermitteln. Was für ihn als Demokraten-nah spricht, ist nicht nur seine familiäre Herkunft. Auch sein politisches Engagement als Umweltschützer macht ihn für das linksliberale Lager attraktiv. Und ebenso sein Einsatz für eine Reform des Strafsystems. Er selbst hat in einer von ihm geleiteten Umweltinitiative fast ausschließlich entlassene Straftäter angestellt, weil „jeder eine zweite Chance verdient“ und Anspruch auf Vergebung hat.

Manche Republikaner fühlen sich hingegen angesprochen, wenn Kennedy Verschwörungstheorien verbreitet: Über den „Great Reset“ etwa, den groß angelegten Bevölkerungsaustausch zu Lasten der westlichen Gesellschaft, der von wem auch immer betrieben werde. Oder dass chinesische und aschkenasische Juden weniger anfälliger für das angeblich aus Biowaffen-Versuchen entstandene Corona-Virus seien als Weiße und Afroamerikaner, was Rückschlüsse zuließe, wer denn wohl ein Interesse an der weltweiten Pandemie gehabt haben könnte. Indizien dafür gibt es selbstverständlich keine.

Ebenso faktenfrei behauptet Kennedy, die Anti-Corona-Impfstoffe würden zu Autismus führen. Das sei vorab bekannt gewesen, gleichwohl habe die US-Regierung „mit diesem Wissen der Pharmaindustrie erlaubte, eine ganze Generation von amerikanischen Kindern zu vergiften“.

Schließlich versichert er immer wieder, dass die CIA heimliche Drahtzieherin des tödlichen Attentats auf seinen Onkel John F. Kennedy war und der Schütze Lee Harvey Oswald mithin nicht als Einzeltäter handelt. Mit gleicher Sicherheit bezweifelt Robert Kennedy Jr. auch, dass mit Sirhan Sirhan der tatsächliche Mörder seines Vaters eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Der Palästinenser, für dessen Begnadigung sich der Neffe des Opfers gar einsetzte, hatte die Tat zugegeben, später aber behauptet, sich an nichts zu erinnern und unter der Hypnose durch eine unbekannte Frau gehandelt zu haben.

Auf der anderen Seite engagierte sich Kennedy in NGOs gegen Wasserverschmutzung und für den Klimaschutz. Präsident Barack Obama hatte Kennedy auf seiner Anwärterliste für hohe Posten in der Administration und sah in ihm einen möglichen Kandidaten für die Leitung der wichtigen Umweltschutzbehörde EPA. Das hätte, so hieß es damals, Obamas vorheriger parteiinterner Gegenkandidatin Hillary Clinton ebenso gefallen wie dem demokratischen Senator Edward M. „Ted“ Kennedy, der jüngste Bruder von John und Robert und damit ebenfalls ein Onkel des grünen Demokraten. Doch letztlich entschied Obama gegen Robert Kennedy, der ihm und vielen gemäßigten Demokraten zu kontrovers erschien, forderte er doch unter anderem, sogenannte „Klimaleugner“, die einen menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung bestritten, als „Verräter“ zu behandeln – und davon gibt es einige in den Reihen der republikanischen Abgeordneten. Eine solche Reizfigur durch den Kongress zu bringen, hätte die Chancen auf Kompromisse mit den Republikanern an anderer Stelle für den neuen Präsidenten reduziert.

Republikaner störten sich auch an der Vergangenheit von Robert Kennedy. Nach der Ermordung seines Vaters hatte Bobby, wie er genannt wurde, manche Verwirrungen eines Teenagers ausgelebt. Von zwei elitären Schulen wurde Bobby, wie ihn Verwandte und Freunde riefen, wegen ungebührlichen Benehmens und wegen Drogenkonsums verwiesen. Nach eigener Ansicht litt er unter ADHS, also Hyperaktivität. Er besuchte wie zuvor Vater und Großvater die prestigeträchtigste Universität der USA, aber er fiel schon bei der Bewerbung dazu durch Arroganz auf. So schrieb er auf das Bewerbungsformular angeblich nur zwei Wörter: „Kennedy“ und „Harvard“ – und wurde trotzdem angenommen.

Auch in Harvard fiel Bobby zunächst nicht durch gute Leistungen auf, wohl aber dadurch, dass er, gutaussehend wie ein Rockstar und im Stil der 70er Jahre schulterlanges Haar tragend, regelmäßig Zimmerbesuch von den hübschesten Kommilitoninnen hatte. Nicht ohne Grund wurde er als „Babe Magnet“ bezeichne. Er blieb den Drogen treu und schrieb trotzdem eine mit Bestnoten bewertete Abschlussarbeit im Fach Geschichte über einen liberalen Bundesrichter in Alabama, Frank M. Johnson Jr. Aber viele Mitstudenten waren überzeugt, dass der tatsächliche Autor der Arbeit Kennedys kluger und eher unscheinbare Zimmergefährte und Freund Peter Kaplan war, später ein angesehener Journalist und langjähriger Chefredakteur des „New York Observer“. Anschließend studierte Kennedy auch noch an der London School of Economics und erwarb einen juristischen Abschluss an der Virginia Law School, wonach er sich als Rechtsanwalt niederließ. Noch später sollte er gar Jura-Professor an der Pace University werden.

1982 wurde Robert Kennedy wegen Heroin-Besitzes verurteilt. Ein Flugzeug, in dem er als Passagier saß, hatte einen Zwischenlandung machen müssen, weil Kennedy wegen eines Überdosis in der Bordtoilette zusammengebrochen war. Er sei drogensüchtig, bekannte er danach, und ein „geborener Abhängiger“ gewesen. Nach 14 Jahren der Heroinsucht wurde er nach eigenen Angaben clean.

In seinen 40ern entwickelte sich bei Kennedy eine neurologische Stimmerkrankung, spasmodische Dysphonie, die seine Stimme abhackt und kurzatmig erscheinen lässt. Seiner Bereitschaft zu öffentlichen Auftritten tut dies keinen Abbruch. Obwohl viele Familienmitglieder sich von seinen oft kruden Ansichten distanzieren, sieht der Präsidentschaftskandidat seine Positionen als weitgehend identisch mit denen von John F. und Robert Kennedy.

Für seine Bewerbung zum Weißen Haus, so kündigte Kennedy am Dienstag an (12. März), gibt es zwei potenzielle „Running Mates“, die an seiner Seite für das Amt des Vizepräsidenten kandidieren möchten: Der erste ist der Football-Profi Aaron Rodgers, 2011 Super-Bowl-Gewinner mit den Green Bay Packers aus Wisconsin und ab Herbst designierter Quarterback der New York Jets. Nummer zwei ist der Profi-Wrestler und Gelegenheitsschauspieler Jesse „The Body“ Ventura, der nach seiner Zeit im Ring von 1998 bis 2002 über das Ticket der Reform Party des Unternehmers Ross Perot Gouverneur von Minnesota war.

Aus welchem Lager also kommen jene sechs bis 15 Prozent der Wähler, die für Robert Kennedy Jr. votieren möchten? Manche Umfragen sprechen dafür, dass er von Biden und Trump Stimmen in gleichem Maße abholen würde. Doch die Demokraten reagieren offenkundig nervöser auf seinen Wahlantritt und haben in etlichen Bundesstaaten (vergeblich) versucht, Kennedy nicht auf den Stimmzetteln erscheinen zu lassen. Vielleicht, weil ihn von den Amerikanern, die eine positive Meinung von Kennedy haben, 24 Prozent als Linken und 42 Prozent als Gemäßigten ansehen – so jemand wäre in diesem Lager also wählbar. Nur 12 Prozent aus diesem Spektrum halten ihn hingegen für einen Konservativen. Das reduziert die Zahl potenzieller republikanischer Überläufer zu ihm.

Andererseits legt eine Umfrage von Morning Consult aus dem Sommer nahe, dass Kennedys Anhängerschaft aus dem republikanischen Spektrum stärker wächst als jene aus dem demokratischen Milieu. In einer Erhebung verbesserte sich seine Beliebtheit bei potenziellen republikanischen Primary-Wählern von 42 auf 50 Prozent, während seine Popularität unter Demokraten abnahm. Etwa 59 Prozent der potenziellen demokratischen Vorwahlwähler bevorzugen eindeutig Biden, verglichen mit nur 12 Prozent, die Kennedy unterstützen würden​

Dazu passt, dass 61 Prozent der republikanischen Wähler Kennedy als „sehr oder einigermaßen“ positiv ansehen, während dies nur 33 Prozent der Demokraten sagen – und 43 Prozent der Unabhängigen, die von beiden Parteien besonders umworben werden.

Bleibt es bei diesen Trends, dürfte in einem Kopf-an-Kopf-Rennen Kennedy vor allem Trumps Wählerschaft reduzieren, und sei es nur um einige wenige Prozentpunkte. Einer der beliebtesten politischen Agitatoren aus den USA, der trotz seiner neuen Selbstetikettierung als Unabhängiger weiterhin mit der berühmtesten Demokraten-Familie identifiziert wird, würde damit dem demokratischen Amtsinhaber zu einer zweiten Periode im Weißen Haus verhelfen.

QOSHE - Vier weitere Jahre für Biden oder für Trump? Das entscheidet ein Kennedy! - Ansgar Graw
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Vier weitere Jahre für Biden oder für Trump? Das entscheidet ein Kennedy!

7 0
13.03.2024

Artikel vom 13.03.2024

Robert Kennedy, Neffe des ermordeten Präsidenten, war heroinsüchtig und ist ein grüner Verschwörungstheoretiker. In Harvard pfuschte er sich durch. Dennoch ist er Amerikas populärster Politiker - und steht im November zur Wahl.

Dieser Mann hat Politik im Blut, Charisma in den Genen, und den Marshallstab trug er schon als Baby im Tornister: Robert Kennedy Jr., der im November für das Weiße Haus kandidiert, ist Teil der berühmtesten Politiker-Dynastie der Vereinigten Staaten. Sein gleichnamiger Vater, Robert Kennedy, war Justizminister, Senator und aussichtsreichster demokratischer Bewerber für die Präsidentschaftswahlen 1968, bis er nach einem rauschenden Vorwahlsieg in Kalifornien durch die Schüsse eines palästinensischen Attentäters in Los Angeles tödlich verletzt wurde. Und dieser Robert Kennedy war der Bruder des bis heute mit nahezu religiöser Inbrunst verehrten John F. Kennedy, ebenfalls Demokrat und Präsident der USA von 1961 bis zu seiner Ermordung im November 1963 in Dallas.

Nun wird, im November 2024, Robert Kennedy Jr. als unabhängiger Kandidat auf den Wahlzetteln für das Weiße Haus stehen. Er ist aktuell der beliebteste Politiker der USA. Nach einer Umfrage von Economist / YouGov.Poll aus dem Januar haben 45 Prozent der Amerikaner eine sehr oder einigermaßen gute Meinung von dem 70-Jährigen. Auf die gleiche Zahl an Positiv-Stimmen kommt zwar auch Donald Trump. Aber während der mutmaßliche republikanische Präsidentschaftskandidat zugleich auf 50 Prozent mit einer „sehr oder einigermaßen schlechten“ Meinung über ihn kommt, sind es bei Kennedy nur 34 Prozent mit einer negativen Haltung ihm gegenüber.

Von Joe Biden haben nur 42 Prozent eine mehr oder weniger positive, aber 54 Prozent eine mehr oder weniger negative Meinung. Andere bundesweit bekannte Politiker, von Vizepräsidentin Kamala Harris (positiv 39 / negativ 51 Prozent), Floridas Gouverneur Ron DeSantis (38 / 43) oder Nikki Haley (35 / 41), die als Trumps letzte parteiinterne Widersacherin unlängst doch aus dem Rennen schied, sind in der Publikumsgunst abgeschlagen.

Dennoch: Robert Kennedys Aussichten, ins Weiße Haus einzuziehen und am „Resolute Desk“ Platz zu nehmen, dem Schreibtisch, an dem der Onkel so häufig saß und den der Vater fast übernommen hätte, sind im Rennen gegen Amtsinhaber Joe Biden (81) und dessen Amtsvorgänger Donald Trump (77) eher theoretischer Natur. In den neueren Umfragen nicht zur Beliebtheit, sondern zur Wahlabsicht pendelt Kennedy zwischen 6 Prozent (Emerson College Poll, 5. bis 7. März) und 15 Prozent (HarrisX / Forbes, 9. bis 11. März). Trump liegt in diesen beiden Erhebungen mit 43,2 bzw. 44 Prozent vor Biden, der auf 41,5 bzw. 38 Prozent kommt. Das verschafft dem ausgesprochen schlechten Wahlverlierer von 2020 einen Vorsprung von 1,7 bzw. 6 Prozentpunkten vor dem aktuellen........

© The European


Get it on Google Play