Artikel vom 21.01.2024

Vor 100 Jahren starb der bolschewistische Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin. Trotz 20 Millionen Opfern des Kommunismus allein in der Sowjetunion finden seine Ideen bis heute Anhänger.

Am 21. Januar vor 100 Jahren verstarb Wladimir Iljitsch Lenin, der Begründer der Sowjetunion. Sein einbalsamierter Leichnam zieht auch heute noch Besucherströme in Moskau an. Und im Juni 2020 wurde in Gelsenkirchen eine zwei Meter hohe Lenin-Statue vor der Zentrale der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) enthüllt.

Und dieses Denkmal ist keineswegs das Einzige, dass auch im heutigen Deutschland noch an Lenin erinnert – wie diese Übersicht zeigt. Auch wenn heute kaum noch jemand den sowjetischen Diktator Stalin verteidigt, so gibt es doch immer wieder führende Politiker linker Parteien, die Lenin oder Trotzki verehren. Sie sprechen mit Verachtung vom „Stalinismus“, aber bekennen sich zu Lenin und Trotzki. Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, gehörte bis zu ihrer Wahl als Vorsitzende im Februar 2021 der trotzkistischen Gruppe Marx 21 an. Nach Ansicht der Trotzkisten gab es eine gute Zeit in der sozialistischen Sowjetunion, in der Lenin und Trotzki die Politik bestimmten – und es folgte dann nach Lenins Tod die schlechte Zeit unter Stalin.

Zizek feiert „Lenins Größe“

Einer der angesehensten zeitgenössischen linken Philosophen, der Slowene Slavoj Zizek (vergangenes Jahr hielt er die Eröffnungsrede zur Buchmesse Frankfurt), plädiert in seinem 2021 erschienenen Buch „Ein Linker wagt sich aus der Deckung“ unverdrossen für einen „neuen Kommunismus“. „Was wir heute brauchen“, so schreibt er, „ist eine Linke, die ihren Namen zu nennen wagt, keine Linke, die ihren Kern schamhaft mit einem kulturellen Feigenblatt verhüllt. Und dieser Name lautet Kommunismus.“ Zizek feiert „Lenins Größe“, die darin gelegen habe, dass er nach der Machtergreifung der Bolschewiki am Sozialismus festhielt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. John McDonnell, bis vor wenigen Jahren einer der führenden Politiker der britischen Labour-Party nannte seine stärksten intellektuellen Einflüsse "Marx, Lenin und Trotzki".

Tatsächlich begannen die Verbrechen des Kommunismus jedoch unmittelbar nach der Machtergreifung der Bolschewisten, die schon bald einen Krieg gegen die Mehrheit des Volkes führten. Es begann mit dem Kampf gegen die Bourgeoisie, gegen die Reichen. Lenin forderte im Dezember 1917, mit härtester Gewalt vorzugehen gegen „diesen Auswurf der Menschheit, diese rettungslos verfaulten und verkommenen Elemente, diese Seuche, diese Pest, diese Eiterbeule“, konkret die „Reichen und ihre Kostgänger“ sowie die bürgerlichen Intellektuellen. Es gehe um die „Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer“, den Reichen und anderen Gaunern. Wie das zu erfolgen habe, erklärte er in drastischen Worten: „An einem Ort wird man zehn Reiche, ein Dutzend Gauner, ein halbes Dutzend Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken…, ins Gefängnis stecken. An einem anderen Ort wird man sie die Klosetts reinigen lassen…An einem vierten Ort wird man einen von zehn, die sich des Parasitentums schuldig machen, auf der Stelle erschießen.“

Im Dezember 1917 verstaatlichten die Bolschewisten den Grund und Boden und Immobilien. In allen Städten, die mehr als 10.000 Einwohner zählten, wurden sämtliche Besitzer von Eigentumswohnungen enteignet. Im Februar 1918 begannen sie damit, reiche Familien aus ihren Wohnungen zu vertreiben und darin arbeitslose Proletarier oder Soldaten unterzubringen. „Wohnungskommissionen“, die von Räten eingesetzt wurden, registrierten Immobilieneigentümer und warfen sie aus ihren Unterkünften. „Für Arbeiter und Soldaten eröffneten sich Perspektiven, für die alten Eliten war der Beginn der neuen Zeit das Ende von allem, was ihr Leben lebenswert gemacht hatte.“

In manchen Orten nahmen Arbeiter blutige „Rache“ an Fabrikmanagern und Ingenieuren, manchmal aber auch einfach an allen, die sie als „Bourgeois“ ansahen – und das war im Zweifel jeder, der einen Anzug trug und keine körperliche Arbeit verrichtete.

Als Folge von Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und Sozialismus sank die Agrarproduktion zwischen 1914 und 1921 um 57 Prozent. Der Viehbestand reduzierte sich zwischen 1916 und 1922 um 33 Prozent und die landwirtschaftliche Nutzfläche ging um 35 Prozent zurück. Die Ernährungslage war deshalb sehr schwierig, aber die Bolschewisten nutzten diese Situation und den Hunger als Instrument im Klassenkampf gegen die Bourgeoisie.

Lenin machte „die Reichen“ für den Hunger verantwortlich – sie waren der Sündenbock, auf den sich der Hass richten sollte: „Die Hungersnot rührt nicht daher, dass es in Russland keine Getreide gäbe“, so Lenin, „sondern daher, dass die Bourgeoisie und alle Reichen der Herrschaft der Werktätigen, dem Staat der Arbeiter, der Sowjetmacht in der wichtigsten und brennendsten Frage, der Frage des Brotes, das entscheidende letzte Gefecht liefern. Die Bourgeoisie und alle Reichen, einschließlich der Dorfreichen, der Kulaken, hintertreiben das Getreidemonopol, sie untergraben die staatliche Verteilung des Getreides zugunsten und im Interesse der Brotversorgung der gesamten Bevölkerung.“

Martin Iwanowitsch Lazis, einer der ersten Chefs der sowjetischen politischen Polizei, gab seinen Untergebenen am 1. November 1918 die Anweisung: „Wir führen nicht Krieg gegen bestimmte Personen. Wir löschen die Bourgeoisie als Klasse aus. Suchen Sie bei den Ermittlungen nicht nach Dokumenten oder Beweisen, für das, was der Angeklagte in Worten und Taten gegen die Sowjetmacht getan hat. Die erste Frage, die Sie ihm stellen müssen, lautet, welcher Klasse er angehört, was seine Herkunft, sein Bildungsstand, seine Schulbildung, sein Beruf ist.“

Lenins Weggefährte, Grigoriij Zinov’ev, Parteichef in Petrograd, schrieb im September 1918: „Um unsere Feinde zu überwinden, brauchen wir unseren eigenen sozialistischen Militarismus. Von der 100 Millionen zählenden Bevölkerung Sowjetrusslands müssen wir 90 Millionen mit uns nehmen. Was den Rest angeht, so haben wir ihm nichts zu sagen. Er muss vernichtet werden.“

Allein in der Sowjetunion zählen die Opfer des Kommunismus 20 Millionen, weltweit sind es über 100 Millionen.

Rainer Zitelmann ist Autor des Buches „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“, das sich im 11. Kapitel auch mit der Russischen Revolution befasst.

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„Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer“

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21.01.2024

Artikel vom 21.01.2024

Vor 100 Jahren starb der bolschewistische Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin. Trotz 20 Millionen Opfern des Kommunismus allein in der Sowjetunion finden seine Ideen bis heute Anhänger.

Am 21. Januar vor 100 Jahren verstarb Wladimir Iljitsch Lenin, der Begründer der Sowjetunion. Sein einbalsamierter Leichnam zieht auch heute noch Besucherströme in Moskau an. Und im Juni 2020 wurde in Gelsenkirchen eine zwei Meter hohe Lenin-Statue vor der Zentrale der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) enthüllt.

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