Artikel vom 09.01.2024

Erfolglose Menschen sagen oft, die Erfolgreichen hätten nur deshalb Erfolg gehabt, weil sie „mehr Glück“ hatten oder ihnen der „Zufall“ geholfen habe.

Mihály Csíkszentmihályi hat zahlreiche Nobelpreisträger und andere Erfolgreiche befragt. Der inzwischen verstorbene populäre ungarische Psychologe wollte von kreativen Menschen wissen, was sie für die Ursachen ihres Erfolges hielten. „Eine der der häufigsten Antworten – vielleicht sogar die häufigste Antwort war“, so berichtet er, „dass sie einfach Glück gehabt hätten. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein ist eine fast allgemeingültige Erklärung.“

Mit der Frage, was für den Erfolg außerordentlich erfolgreicher Personen verantwortlich sei, setzt sich Malcolm Gladwell in seinem Buch „Outliers. The Story of Success“ auseinander. Seine zentrale These ist, Persönlichkeitsmerkmale, Intelligenz usw. seien von untergeordneter Bedeutung, um den Erfolg ungewöhnlicher Personen zu erklären. Besonders erfolgreiche Menschen seien nicht etwa deshalb so erfolgreich, weil sie über Persönlichkeitsmerkmale verfügten und Strategien verfolgten, die denen ihrer Mitmenschen überlegen seien, sondern weil sie sehr hart dafür gearbeitet und vor allem weil sie sehr viel Glück im Leben gehabt hätten. Ähnlich wie Csíkszentmihályi verweist Gladwell darauf, dass Personen wie Bill Gates selbst die Bedeutung des Glücks für ihren Erfolg hervorheben. „I was very lucky“ – dies habe Gates gleich zu Beginn des Interviews unterstrichen, das Gladwell mit ihm über die Gründe seines Erfolges führte.

Die Argumentation von Autoren, die die Rolle des Zufalls bzw. „Glücks“ hervorheben, ist stets ähnlich: Wenn eine bestimmte Person nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen wäre oder nicht bestimmte andere Personen gekannt hätte, dann hätte sich ihr Erfolg nicht eingestellt. Was wäre passiert, wenn Bill Gates nicht die Gelegenheit gehabt hätte, kostenlos an einem Großrechner zu arbeiten? Es ist schwer, solche Annahmen weiterzuspinnen. Hätte Gates dennoch in diesem Feld einen außerordentlichen Erfolg gehabt? Und wenn nicht: Wäre Gates vielleicht in einem anderen Feld überaus erfolgreich gewesen, eben aufgrund bestimmter Merkmale wie etwa der Kombination seiner überragenden Intelligenz mit seinem überragenden Geschäftssinn bzw. von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und der Anwendung von Erfolgsstrategien?

Es geht nicht vor allem um gute Gelegenheiten, die sich einer Person bieten, sondern es geht darum, ob die Person diese Gelegenheiten erstens überhaupt erkennt und ob sie zweitens in der Lage ist, diese zu nutzen. Andere Menschen treffen mit Sicherheit auf ähnlich gute Gelegenheiten, aber sie erkennen diese gar nicht oder nutzen diese nicht bzw. nur unzureichend.

Der Schriftsteller Max Frisch hat einmal formuliert: „Der Zufall zeigt mir, wofür ich zur Zeit ein Auge habe.“ Der Psychologe Richard Wiseman hat sich mit der Frage befasst, welche Auffassungen Menschen von der Rolle des Zufalls in ihrem Leben haben und wie sie mit ihren Chancen umgehen. Er legte seinen Versuchspersonen buchstäblich zwei Zufälle in den Weg. Einmal in Form eines Geldscheins, der auf ihrem Weg ins Forschungslabor lag, zum anderen in Gestalt eines potenziellen Arbeitgebers, der in einem Café das Gespräch mit den Versuchspersonen suchte. „Die ‚Glückspilze‘ fanden das Geld sofort, und sie gingen bereitwillig auf das Gespräch im Café ein und hörten so von einem interessanten Job. Die ‚Pechvögel‘ übersahen fast alle das Geld auf der Straße, und sie nutzten auch die Gesprächssituation nicht.“ Dies zeigt, dass das Erkennen und Nutzen von Zufällen auch ein Ergebnis bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen ist.

Es würde nicht schwerfallen, im Leben dieser Erfolgsmenschen zahlreiche negative Zufälle und Ereignisse zu finden, die man nur als Pech bezeichnen könnte. Wären diese Menschen nicht so erfolgreich gewesen, sondern gescheitert, dann könnte man eine ebenso suggestive Aufeinanderfolge von zufälligen Pech-Ereignissen konstruieren, die dann als Erklärung für den Misserfolg herhalten müssten. Dabei wird übersehen, dass es weniger die Ereignisse selbst sind, die zu bestimmten Ergebnissen führen, als die Art, wie wir darauf reagieren.

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im Leben ständig nur Glück oder Pech hat, erscheint sehr gering. Über viele Jahre und Jahrzehnte werden sich positive und negative Zufälle oftmals im Durchschnitt wieder ausgleichen. Zufall oder Glück spielen zweifelsohne eine Rolle, aber sie ist sehr unterschiedlich, je nachdem, um welche Aktivitäten oder Lebensbereiche es sich handelt.

Michael J. Mauboussin, der die Rolle von Zufall oder Glück betont, räumt gleichwohl ein, dass es erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bereichen und Aktivitäten gibt. Er spricht von einem „luck-skill-continuum“ und führt als Beispiele verschiedene Sportarten und andere Aktivitäten an. Auf der „Glücksseite“ des Kontinuums ist beispielsweise Roulette angesiedelt und auf der „Fähigkeitsseite“ das Schachspiel. Die Frage, wo in diesem Kontinuum eine bestimmte Aktivität angesiedelt sei, könne man anhand der Frage beurteilen, ob man mit Absicht verlieren könne. Anwälte, die sich in den USA für die Legalisierung des Online-Pokers einsetzten, benutzten diesen Test sogar, um ihre Argumentation zu untermauern.

Auch wenn der Zufall eine Rolle spielt, ist es von großer Bedeutung, was der Einzelne aus dem Zufall macht. Ein Beispiel für Glück sind Lottogewinne. Aber wir wissen, dass Personen, die im Lotto einen Hauptgewinn hatten, oft schon wenige Jahre danach ihr Geld wieder verloren haben. Andererseits gibt es Selfmade-Millionäre und -Milliardäre, die alles verloren und binnen einiger Jahre ein neues Vermögen aufbauen konnten. Das Erbe eines großen Vermögens ist ein anderes Beispiel für einen glücklichen Zufall, an dem derjenige, der erbt, keinen Anteil hat. Aber auch sehr reiche Erben verlieren das Vermögen oft innerhalb von zwei oder drei Generationen.

Der Hinweis erfolgreicher Menschen darauf, dass sie Glück gehabt hätten, diene, so der Soziologe Helmut Schoeck, der unbewussten Neidabwehr: „Ein Sportler, ein Schüler, ein Geschäftsmann, der gerade einen besonders schönen (und für andere neiderregenden) Erfolg errungen hat, sagt einfach, achselzuckend: na, ich hab eben Glück gehabt … Damit, meist unbewusst, sucht er einen möglichen Neid gegen sich zu neutralisieren.“

Die Erklärung eines sehr erfolgreichen Menschen, er habe „eben Glück gehabt“, wirkt zudem sehr viel sympathischer, menschlicher und angenehmer, als wenn er beispielsweise auf seinen überragenden Intellekt oder auf seine ungewöhnliche Persönlichkeit verweisen würde.

Andererseits kennen wir alle das psychologisch entlastende Bestreben, Erfolge als Ergebnis des Könnens und Misserfolge als Ergebnis unglücklicher, externer Umstände zu interpretieren. „Erfolge gehören mir, Misserfolge den anderen.“ Bei überaus erfolgreichen Menschen, die nicht in der Not stehen, Scheitern zu erklären, gibt es jedoch offenbar häufiger genau das umgekehrte Muster, Erfolge als Ergebnis von großem Glück zu bewerten oder dies zumindest zu postulieren. Vielleicht spielt sogar manchmal eine gewisse Koketterie dabei mit. Die von Schoeck erwähnte unbewusste Neidabwehr kann dabei durchaus ein wichtiger Faktor sein, jedoch kommt ein dritter Faktor hinzu, warum überaus erfolgreiche Menschen so oft den Zufall oder das Glück ins Feld führen.

Können wir einen Erfolg nicht erklären, schließen wir oft allzu rasch darauf, Glück sei die Ursache. Michael J. Mauboussin gehört zu denjenigen, die stark die Rolle des Zufalls und des Glücks betonen. Als Beleg führt er an, dass sich das musikalische Talent von Superstars und von solchen, die nicht viel verdienen, nicht allzu stark unterschieden. Das mag sein. Aber dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass viele Autoren dazu neigen, allzu rasch auf Zufall oder Glück zu schließen, obwohl es andere Erklärungen gibt, die sie nicht in Betracht ziehen.

Madonna war die zeitweise am besten verdienende Sängerin der Welt. Ihre Managerin, die ihr den Weg zu ihren ersten Erfolgen ebnete, antwortete auf die Frage, ob Madonna begabt sei: „Sie besaß gerade die Fähigkeiten, einen Song zu schreiben oder Gitarre zu spielen … Vor allen Dingen aber lagen ihre Stärken in ihrer besonderen Persönlichkeit und ihrer Fähigkeit, eine großartige Bühnenshow abzuziehen.“

Als sie für den Film „Evita“ engagiert wurde, musste sie zunächst einmal drei Monate professionellen Gesangsunterricht nehmen. Damals war sie schon eine der bekanntesten und erfolgreichsten Künstlerinnen der Welt. Der Grund für ihren Erfolg und für ihren besonderen Verdienst lag weder in besonderen musikalischen Fähigkeiten noch einfach im Zufall oder Glück, sondern in einer überragenden Fähigkeit zur Positionierung und Selbstvermarktung.

Gleiches gilt für viele andere Unternehmer und Superstars, bei denen die Erklärung für ihren Erfolg weder in überragenden fachlichen Fähigkeiten oder Produktmerkmalen lag, sondern in einem überragenden Marketing. Als Beispiele können etwa die Milliardäre Dietrich Mateschitz (Red Bull) oder Richard Branson (Virgin) angeführt werden.

Jedoch neigen nicht nur Beobachter dazu, allzu rasch mit Glück oder Zufall zu argumentieren. Erfolgreiche Menschen wissen oft selbst nicht bzw. können nicht artikulieren, warum und wie sie erfolgreich sind. Der Wissenschaftstheoretiker Michael Polanyi hat den Begriff des „stillschweigenden“ oder „impliziten“ Wissens geprägt (tacit knowledge).

Erfolgreiche Menschen können also oftmals nicht explizit erklären, warum sie erfolgreich sind. Kann ein erfolgreicher Schriftsteller genau erklären, „wie“ er schreibt, kann ein erfolgreicher Musiker genau erklären, wie es ihm gelingt, erfolgreicher zu sein als andere?

Da die Handlungen oftmals das Ergebnis impliziten Lernens sind und intuitiv erfolgen, ist dies sehr schwer. Vielleicht haben diese Personen nie besonders gründlich darüber nachgedacht, oder es fehlt ihnen die Fähigkeit, über solche Themen auf einem abstrakteren oder gar wissenschaftlichen Niveau zu reflektieren. Und selbst wenn sie es getan hätten, fehlten ihnen wohl oft die Distanz und der Vergleich, um Erklärungen zu geben. Wenn für den Erfolgreichen viele Gründe, warum er erfolgreich ist bzw. war, im Verborgenen liegen, dann bieten sich Erklärungen wie Zufall oder Glück an.

Wenn Menschen ihren Erfolg mit Glück oder Zufall erklären, können alle drei Ursachen zusammenspielen: Der Befragte kann sein verborgenes oder implizites Wissen nicht explizit machen, und er verfällt dann in eine Verlegenheits-Erklärung, die zugleich noch den dreifachen Vorteil hat, dass sie eine Teilwahrheit beinhaltet, sich für seinen Gesprächspartner „gut anhört“ und der unbewussten Neidabwehr dient. Und wer erfolglos ist, kann sich leicht damit trösten, er habe halt – anders als andere – einfach kein Glück gehabt im Leben. Ein psychologisches Trostpflaster, das diese Erklärung so beliebt macht.

Mehr zu diesem Thema findet sich in Rainer Zitelmanns Kurs https://zitelmann-freiheit.de/die-master-class

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Da habe ich einfach Glück gehabt – was Madonna und Bill Gates gemeinsam haben

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09.01.2024

Artikel vom 09.01.2024

Erfolglose Menschen sagen oft, die Erfolgreichen hätten nur deshalb Erfolg gehabt, weil sie „mehr Glück“ hatten oder ihnen der „Zufall“ geholfen habe.

Mihály Csíkszentmihályi hat zahlreiche Nobelpreisträger und andere Erfolgreiche befragt. Der inzwischen verstorbene populäre ungarische Psychologe wollte von kreativen Menschen wissen, was sie für die Ursachen ihres Erfolges hielten. „Eine der der häufigsten Antworten – vielleicht sogar die häufigste Antwort war“, so berichtet er, „dass sie einfach Glück gehabt hätten. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein ist eine fast allgemeingültige Erklärung.“

Mit der Frage, was für den Erfolg außerordentlich erfolgreicher Personen verantwortlich sei, setzt sich Malcolm Gladwell in seinem Buch „Outliers. The Story of Success“ auseinander. Seine zentrale These ist, Persönlichkeitsmerkmale, Intelligenz usw. seien von untergeordneter Bedeutung, um den Erfolg ungewöhnlicher Personen zu erklären. Besonders erfolgreiche Menschen seien nicht etwa deshalb so erfolgreich, weil sie über Persönlichkeitsmerkmale verfügten und Strategien verfolgten, die denen ihrer Mitmenschen überlegen seien, sondern weil sie sehr hart dafür gearbeitet und vor allem weil sie sehr viel Glück im Leben gehabt hätten. Ähnlich wie Csíkszentmihályi verweist Gladwell darauf, dass Personen wie Bill Gates selbst die Bedeutung des Glücks für ihren Erfolg hervorheben. „I was very lucky“ – dies habe Gates gleich zu Beginn des Interviews unterstrichen, das Gladwell mit ihm über die Gründe seines Erfolges führte.

Die Argumentation von Autoren, die die Rolle des Zufalls bzw. „Glücks“ hervorheben, ist stets ähnlich: Wenn eine bestimmte Person nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen wäre oder nicht bestimmte andere Personen gekannt hätte, dann hätte sich ihr Erfolg nicht eingestellt. Was wäre passiert, wenn Bill Gates nicht die Gelegenheit gehabt hätte, kostenlos an einem Großrechner zu arbeiten? Es ist schwer, solche Annahmen weiterzuspinnen. Hätte Gates dennoch in diesem Feld einen außerordentlichen Erfolg gehabt? Und wenn nicht: Wäre Gates vielleicht in einem anderen Feld überaus erfolgreich gewesen, eben aufgrund bestimmter Merkmale wie etwa der Kombination seiner überragenden Intelligenz mit seinem überragenden Geschäftssinn bzw. von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und der Anwendung von Erfolgsstrategien?

Es geht nicht vor allem um gute Gelegenheiten, die sich einer Person bieten, sondern es geht darum, ob die Person diese Gelegenheiten erstens überhaupt erkennt und ob sie zweitens in der Lage ist, diese zu nutzen. Andere Menschen treffen mit Sicherheit auf ähnlich gute Gelegenheiten, aber sie erkennen diese gar nicht oder nutzen diese nicht bzw. nur........

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