Artikel vom 07.03.2024

"Der Mörder ist immer der Gärtner“, das war gestern. Eine aktuelle Untersuchung zeigt: Heute killen in TV-Krimis vor allem Unternehmer, Manager und Selbstständige. Und mitunter Polizisten.

Eine kürzlich erschienene Studie der Friedrich Naumann-Stiftung zeigt, dass Unternehmer in Schulbüchern oft sehr kritisch dargestellt werden. Aber schlimmer ist es noch in Krimiserien. Der Mittelstands-Verband BVMW hat alle Folgen der ARD-Krimiserie Tatort seit 2018 ausgewertet. Das Ergebnis: Mit 39 Folgen, in denen Unternehmer, Manager oder Selbstständige die Mörder sind, nahmen diese den Spitzenplatz ein, noch vor Berufskriminellen (28). Direkt danach folgen Polizisten als Mörder (23 mal). Das sind also die Bösewichte. Nicht verwundern dürfte, dass sieben mal Rechtsextreme bzw. Reichsbürger morden, aber kein einziges Mal ein Linksextremer.

Und wer sind die „Guten“? Nur in jeweils einer Serie ab 2018 mordete ein Journalist, ein Arbeiter oder ein Arbeitsloser. Mit der Realität dürfte all dies nichts zu tun haben. Denn die Kriminalstatistiken von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und Strafvollzugsanstalten belegen recht eindeutig einen Zusammenhang von entdeckter, verurteilter Kriminalität und sozialer Schichtzugehörigkeit. Mit anderen Worten: Kriminalität ist schichtspezifisch verteilt in dem Sinne, dass untere Schichten deutlich stärker repräsentiert sind als Angehörige von Mittel- oder Oberschicht. Doch im Krimi ist es umgekehrt. Und dass Polizisten zu den Gruppen gehören, die besonders oft morden, entspringt auch der Fantasie linker Drehbuchautoren.

Die Auswertung des BVMW bestätigt, was bereits 2017 eine Erhebung des Vergleichsportals Netzsieger ergab, das sogar 1023 „Tatort“-Folgen seit 1970 auswertete. Das Ergebnis damals entspricht dem der aktuellen Auswertung: „Die mit Abstand mörderischste Berufsgruppe sind Unternehmer, Manager und Selbstständige.“ Sie mordeten 109-mal.

Auch in Kinofilmen werden Reiche überwiegend negativ dargestellt. Im Rahmen meiner Studie „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ wurden 560 Kinofilme analysiert, wobei insgesamt 43, in denen Reiche eine Hauptrolle spielten, eingehend einer systematischen Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Zu Beginn der analysierten Filme wurden 31 von 43 Reichen mit einem negativen Charakter, aber zugleich als kompetent dargestellt. Diese Reichen wurden als überheblich, unsympathisch, kaltschnäuzig, unmoralisch und egoistisch gezeigt, aber zugleich als kompetent, einfallsreich, wagemutig und visionär.

Diese Darstellung entspricht dem in der Vorurteilsforschung entwickelten "Stereotype Content Model", wonach Reiche überwiegend als kalt, aber kompetent wahrgenommen werden. Nur neun Reiche wurden zu Beginn der Filme mit einem positiven Charakter dargestellt. Am Ende des Filmes hatte sich das Bild etwas verschoben, weil acht Reiche während des Filmes eine Läuterung erfuhren. Daher war die Zahl der Reichen mit einem guten Charakter beim Abspann höher als zu Beginn des Filmes – aber immer noch deutlich niedriger als die Zahl der Reichen mit einem negativen Charakter und auch deutlich niedriger als die Zahl der nichtreichen Kontrastpersonen mit positivem Charakter. Von 40 nichtreichen Kontrastpersonen haben zu Beginn des Filmes 24 einen positiven Charakter (am Ende des Filmes sind es sogar 30), und sie sind zugleich kompetent. Nur sechs Nicht-Reiche werden zu Beginn mit einem negativen Charakter dargestellt, am Ende ist es sogar nur noch ein einziger. Wir haben auch belegt, wie stark negative Frames über Reiche in Hollywoodfilmen sind.

Reiche werden in Filmen oft so dargestellt, wie es dem erwähnten Stereotype Content Model entspricht. Und dies ist kein neues Phänomen. Dafür zwei Beispiele aus der TV-Kriminalserie „Derrick“, die 1974 bis 1998 gesendet wurde. Da diese Serie die weltweit meistverkaufte deutsche Fernsehserie war (sie wurde in über 100 Ländern ausgestrahlt), entsprechen die Stereotype, mit denen hier gearbeitet wurde, offenbar nicht nur den Gefühlen eines deutschen Publikums, sondern auch denen der Zuschauer in vielen anderen Ländern. Unter dem Titel „Eine eiskalte Nummer“ wurde folgende Geschichte erzählt:

Zwei Männer brechen in eine Luxusvilla ein. Der Hausbesitzer ist offenbar sehr vermögend, fährt einen Jaguar. Er überrascht die Einbrecher, zeigt jedoch weder Angst noch irgendeine andere Emotion, wirkt fast roboterhaft in seinen Gesten, in der Sprache und der Handlungsweise. Er analysiert die Situation kalt und bietet den Einbrechern ein Geschäft an: Er lässt sich von der Bank 20.000 D-Mark nach Hause bringen: „Mein Angebot“. Der Reiche macht sich über die Emotionen der Verbrecher lustig: „Sie haben ja Schweiß auf der Stirn… Ein Whisky wird Ihnen gut tun, dann werden Sie Ihre Aufregung verlieren.“ Der Einbrecher, der im Unterschied zum Reichen sehr aufgeregt ist, sagt zu ihm: „Sie sind ne eiskalte Nummer.“

Die Einbrecher verlassen das Haus mit den 20.000 D-Mark, vergessen aber ihre Pistole. Kurz darauf kommt der Geschäftspartner des Reichen zu Besuch, der ihn zur Rede stellen will, weil er Kunden betrogen hat. Im Disput mit dem Geschäftspartner sagt der Reiche: „Ich habe Bilanzen gefälscht… Ich habe einen Weg gefunden, der – gut – ein bisschen außerhalb der Legalität ist… Was ist das Leben? Seiltänzerei! Es kommt darauf an, oben zu bleiben, egal was für Verrenkungen man macht.“ Der Geschäftspartner teilt diese Lebenseinstellung nicht und will Anzeige erstatten. Der Reiche macht sich lustig, lacht ihn aus: „Dein guter Charakter feiert mal wieder Feste. Wer einen guten Charakter hat, der möchte ihn auch zeigen, dass die ganze Welt ihn bewundert.“

Der Reiche nutzt die Gelegenheit und erschießt den Geschäftspartner mit der Pistole der Einbrecher, um ihnen den Mord in die Schuhe zu schieben. Nachdem Kommissar Derrick den Reichen kennengelernt hat, sagt er zu seinem Mitarbeiter: „Der ist ein eiskalter Mann.“

Der Reiche wird als emotionslos dargestellt, er entspricht geradezu prototypisch nach dem Stereotype Content Model dem Bild des Reichen, der keinerlei Wärme und Emotionen hat, aber hoch intelligent ist.

Ein zweites Beispiel, ebenfalls aus der Serie „Derrick“. In der Folge „Kein teurer Toter“ wurde diese Geschichte erzählt:

Ein Unternehmer, Besitzer eines Holzbetriebes, bekommt Anrufe mit Morddrohungen, wird als Ausbeuter beschimpft. Ein Anwalt, Freund der Familie des Unternehmers, schaltet Kommissar Derrick ein. Doch der Unternehmer nimmt die Anrufe nicht ernst, wirft Derrick hinaus und fragt ihn, ob er sonst nichts zu tun habe. Schließlich wird er doch ermordet.

Der Anwalt schildert das Betriebsklima so: „Er führt seinen Betrieb mit eiserner Hand. Es macht ihm Spaß, andere Menschen vor den Kopf zu stoßen.“ „Wer nicht pariert, der fliegt. Er ist so etwas wie ein Sklavenhalter.“ Der Unternehmer über sich selbst: „Ich bin ein unangenehmer Geselle. Und wenn mich jemand Ausbeuter nennen will, er soll es. Ich bin es!“

Die Sekretärin über den Unternehmer: „Er hasste alle Menschen… Wenn er den Raum betrat, ist mir für eine Sekunde das Herz stehengeblieben. Und ich habe den Tag anders geatmet.“ Der Vorarbeiter über den Unternehmer: „Er lag quer in der menschlichen Gesellschaft – als ein wahres Ärgernis.“

Derrick über den Unternehmer: „Er ist ein böser Mensch. Und ich habe das Gefühl, er ist auch noch stolz drauf.“ Und: „Der Tote war ein Menschenverächter. Der ständig auf der Suche war nach einem Menschen, dem er wehtun konnte.“

Auch privat war der Unternehmer ein Tyrann: Er schlug seine Tochter, die – so wie seine Frau und alle anderen Menschen – in ständiger Angst vor ihm lebte. Nach der Ermordung des Unternehmers atmen alle auf, es herrscht bei seiner Familie plötzlich eine heitere, gelöste Atmosphäre, und auch die Sekretärin kann wieder frei atmen. Auch hier wird der Unternehmer als wirtschaftlich erfolgreich, aber kalt und unmenschlich dargestellt.

Welche Wirkungen hat es auf Menschen, wenn über Jahrzehnte die Reichen und Erfolgreichen, Unternehmer, Manager usw. als kalt, brutal, rücksichtslos dargestellt werden?

Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe, demnächst erscheint sein neues Buch „Weltreise eines Kapitalisten“

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Ob "Tatort" oder "Derrick", der Mörder ist immer der Unternehmer

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07.03.2024

Artikel vom 07.03.2024

"Der Mörder ist immer der Gärtner“, das war gestern. Eine aktuelle Untersuchung zeigt: Heute killen in TV-Krimis vor allem Unternehmer, Manager und Selbstständige. Und mitunter Polizisten.

Eine kürzlich erschienene Studie der Friedrich Naumann-Stiftung zeigt, dass Unternehmer in Schulbüchern oft sehr kritisch dargestellt werden. Aber schlimmer ist es noch in Krimiserien. Der Mittelstands-Verband BVMW hat alle Folgen der ARD-Krimiserie Tatort seit 2018 ausgewertet. Das Ergebnis: Mit 39 Folgen, in denen Unternehmer, Manager oder Selbstständige die Mörder sind, nahmen diese den Spitzenplatz ein, noch vor Berufskriminellen (28). Direkt danach folgen Polizisten als Mörder (23 mal). Das sind also die Bösewichte. Nicht verwundern dürfte, dass sieben mal Rechtsextreme bzw. Reichsbürger morden, aber kein einziges Mal ein Linksextremer.

Und wer sind die „Guten“? Nur in jeweils einer Serie ab 2018 mordete ein Journalist, ein Arbeiter oder ein Arbeitsloser. Mit der Realität dürfte all dies nichts zu tun haben. Denn die Kriminalstatistiken von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und Strafvollzugsanstalten belegen recht eindeutig einen Zusammenhang von entdeckter, verurteilter Kriminalität und sozialer Schichtzugehörigkeit. Mit anderen Worten: Kriminalität ist schichtspezifisch verteilt in dem Sinne, dass untere Schichten deutlich stärker repräsentiert sind als Angehörige von Mittel- oder Oberschicht. Doch im Krimi ist es umgekehrt. Und dass Polizisten zu den Gruppen gehören, die besonders oft morden, entspringt auch der Fantasie linker Drehbuchautoren.

Die Auswertung des BVMW bestätigt, was bereits 2017 eine Erhebung des Vergleichsportals Netzsieger ergab, das sogar 1023 „Tatort“-Folgen seit 1970 auswertete. Das Ergebnis damals entspricht dem der aktuellen Auswertung: „Die mit Abstand mörderischste Berufsgruppe sind Unternehmer, Manager und Selbstständige.“ Sie mordeten 109-mal.

Auch in Kinofilmen werden Reiche überwiegend negativ dargestellt. Im Rahmen meiner Studie „Die........

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