Artikel vom 24.04.2024

Deep Tech-Start-ups haben enormes Potenzial und sind wichtig für unseren Wirtschaftsstandort.

Was muss getan werden, um Deutschland für solche Unternehmen noch attraktiver zu machen? Ein Gastbeitrag von Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin.

Der Begriff Deep Tech bezeichnet Technologien, die lange Entwicklungszeiten bis zur Marktreife benötigen, dafür aber ein enormes Marktpotenzial versprechen und nicht leicht kopiert werden können. Daher tragen sie oft das Potenzial für bahnbrechende Innovationen in sich, für erfolgreiche Unternehmen, für völlig neue Märkte. Doch eine Idee beispielsweise vom Labor in unternehmerischen Erfolg zu übersetzen, ist anspruchsvoll, risikoreich und erfordert Ausdauer, Mut sowie erhebliche Ressourcen.

Viele Deep Tech-Start-ups treten an, um drängende gesellschaftliche Probleme zu lösen. Womit auch das Versprechen auf weltweite Marktdominanz einhergeht. Sind die Ideen zudem schwer zu replizieren, stellt das einen enormen Wettbewerbsvorteil dar. Diese Eigenschaften machen Deep Tech-Start-ups interessant für Investoren, denn das Rendite- und Skalierungspotenzial ist besonders groß. Das Risiko allerdings auch.
Zu den „Deep Technologies“ zählen beispielsweise Lösungen in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und Maschinelles Lernen, Materialwissenschaften, Quantencomputing, Raumfahrt, Green Tech bzw. Climate Tech oder Robotik. In der Vergangenheit schwächelte Deutschland im internationalen Vergleich, wenn es um Gründungen in diesen und verwandten Branchen ging. Doch seit 2022 zeichnet sich eine Wende ab.

Seit 2022 wurden hierzulande erkennbare Fortschritte im Deep Tech-Sektor erzielt. So gab es in diesem Jahr 275 Deep Tech-Neugründungen, ein Plus von 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 19,7 Milliarden US-Dollar wurden in Europa in Deep Tech-Unternehmen investiert, mehrere Milliarden flossen dabei auch an deutsche Gründer (Quelle). Das Fördervolumen auf europäischer und nationaler Ebene wurde 2022 ebenfalls deutlich erhöht. Die Bundesregierung setzte den sogenannten „Deep Tech & Climate Fonds (DTCF)“ auf, der Fördergelder von bis zu einer Milliarde Euro bereitstellen soll.

Auch für KI-Start-ups ist ein positiver Trend in 2023 zu erkennen. Laut einer Studie von appliedAI wurden in diesem Jahr 508 KI-Start-ups gegründet. 165 der Gründungen entfielen auf Berlin, gefolgt von München (99) und Hamburg (41). Fast alle der Start-ups sind dem B2B-Bereich zuzuordnen, was im KI-Sektor nicht ungewöhnlich ist.

Als Beispiele für innovative Deep Tech-Unternehmen lassen sich sicher nennen:

Interessantes Zahlenmaterial liefert auch eine Studie von Morphais. Untersucht wurde unter anderem der Anteil an Deep Techs an der Gesamtzahl der Neugründungen pro Bundesland im Jahr 2022. Bayern lag mit 24 Prozent vorne. Auf Platz zwei folgte Berlin mit 19 Prozent. Besonders viele Gründer kommen von der TU München (35) und der TU Berlin (10). Die Technischen Universitäten können also eine Art Inkubator für Deep Tech Founder zu sein.

Obwohl die Zahlen Hoffnung machen, wirken sie im Vergleich mit den USA winzig. Allein 2022 wurden dort 51 Milliarden US Dollar in Deep Techs investiert – und damit mehr als doppelt so viel wie in der gesamten EU im gleichen Zeitraum.

Das Zwischenfazit: Der deutsche Deep Tech-Sektor entwickelt sich positiv, die Zahl der Neugründungen steigt. Diese Ergebnisse sollten jedoch mit Bedacht behandelt werden. Ruhen wir uns aus, fallen wir im internationalen Vergleich schnell zurück. Es gilt anzupacken und die Rahmenbedingungen für eine florierende Investitions- und Gründerlandschaft zu schaffen.

Ein erster Ansatzpunkt sind die Universitäten. Eigentlich sollten Transfermaßnahmen ein fester Bestandteil der Hochschulverträge und entsprechend langfristig finanziert sein. Dazu gehören z.B. Ressourcen für den Aufbau und Betrieb der Infrastruktur für Deep Tech-Gründungen. Denn viele Deep Tech-Projekte brauchen Labore und Forschungsanlagen oder große Rechnerinfrastruktur, und dies oft über einen langen Zeitraum, bevor sie überhaupt gründungsreif und damit für Venture Capital interessant sind. Forscher sollten durch Gründungs- und Transfersemester die Chance erhalten, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse wirtschaftlich zu verwerten.

Es braucht Programme, die erfahrene Investoren und Business Angels mit den Hochschulen verbinden. Potenzielle Kooperationen oder Investitionen können auf diese Weise besser ausgelotet und bewertet werden. Das hilft beiden Seiten.

Bleibt der Zugang zu Kapital - insbesondere in den frühen Phasen der Unternehmensgründung - beschränkt, werden Start-ups in ihrer Entwicklung blockiert. Finanzierungshemmnisse wirken nach wie vor gravierend. Es bedarf also einer verbesserten Innovationsförderung sowie einer verstärkten Einbindung privater Investoren und Venture Capitalists.

Eine weitere Hürde sind die regulatorischen Rahmenbedingungen für große Kapitalsammelstellen. Aktuell sind diese so gestaltet, dass Investitionen in hochriskante Anlagen wie Start-ups stark eingeschränkt sind oder nur in begrenztem Umfang erfolgen dürfen. Für den Schutz von Anlegern wie Verbrauchern sind Kapitalanforderungen, Liquiditätsvorschriften oder Riskmanagement zwar wichtig. In Bezug auf Investitionen in Start-ups kann dies aber dazu führen, dass Finanzinstitute ablehnend entscheiden, insbesondere wenn die Deep Techs als zu riskant oder spekulativ eingestuft werden.
Dazu kommt auch, dass im Gegensatz zu den USA etablierte Tech-Börsen in Europa fehlen. Das erschwert den Zugang zu Kapital und Investoren bleiben spezifische Anlageoptionen verwehrt.

Eine Bitkom-Umfrage aus dem Juni 2023 belegt, dass über ein Drittel aller Gründer (34 Prozent) darüber nachdenkt, den Sitz ins Ausland zu verlagern, weil zu wenig Kapital vorhanden ist. Nur 31 Prozent können sich einen nationalen Börsengang vorstellen. Insofern sollten die regulatorischen Bedingungen so gestaltet sein, dass sie den Mut und das Durchhaltevermögen von Wagniskapitalgebern belohnen.

Abseits finanzieller Aspekte existiert noch eine weitere Problematik: Die EU-Gesetzgebung. Dies gilt nicht nur für den restriktiven Bereich des Datenschutzes – Stichwort DSGVO. Ein prominentes Beispiel ist der geplante „Artificial Intelligence Act“ (AIA). Das Gesetz zur Künstlichen Intelligenz soll risikobehaftete KI-Anwendungsfälle kontrollieren und vertrauenswürdige Lösungen fördern. Jedoch gibt es bereits Bedenken, dass diese Regulierung den Fortschritt bremsen und sich nachteilig auf Open-Source-Projekte auswirken könnte. Laut einer AppliedAI-Analyse würden 33 bis 50 Prozent aller KI-Anwendungen als „High-Risk“ klassifiziert werden. Die Hälfte aller KI-Start-ups glaubt, die neue Regulatorik wird die KI-Innovation in Europa deutlich verlangsamen. 16 Prozent der Befragten ziehen sogar in Erwägung, KI gar nicht mehr oder nur außerhalb der Europäischen Union zu entwickeln. Das zeigt, dass die europäische Wettbewerbsfähigkeit sowie die Bedürfnisse der ansässigen Start-ups deutlich stärker ins Zentrum der EU-Gesetzgebung rücken sollten.

Fazit

Eigentlich hätte die Deep Tech-Szene in Deutschland gute Ausgangsvoraussetzungen. Die akademischen Grundlagen sind gut, in einigen Feldern hervorragend. Technische Universitäten wie die TU Berlin, die TU München und die RWTH Aachen versorgen Gründerteams kontinuierlich mit neuen MINT-Talenten. Start-up-Hochburgen wie Berlin und München punkten mit lebendigen Netzwerken. Zwar sollen europäische und nationale Förderprogramme jungen Unternehmen helfen, Fuß zu fassen. Doch sind diese oft überfrachtet mit bürokratischen Restriktionen. Es fehlt außerdem an der notwendigen Infrastruktur, um Deep-Tech-Gründungen aufzubauen und der engen Verknüpfung von Universitäten und Kapitalgebern. Gesetzliche Regulierungen schränken darüber hinaus die Verfügbarkeit von Kapital für junge Unternehmen ein, hemmen dadurch ihr Wachstum und provozieren im schlimmsten Fall sogar Abwanderung. Insgesamt bestehen also noch immer massive Hürden für die Entwicklung eines lebendigen Deep Tech-Startup-Ökosystems in Deutschland.

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Deep Tech-Start-ups: Wie wird Deutschland zum attraktiven Gründungsstandort?

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24.04.2024

Artikel vom 24.04.2024

Deep Tech-Start-ups haben enormes Potenzial und sind wichtig für unseren Wirtschaftsstandort.

Was muss getan werden, um Deutschland für solche Unternehmen noch attraktiver zu machen? Ein Gastbeitrag von Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin.

Der Begriff Deep Tech bezeichnet Technologien, die lange Entwicklungszeiten bis zur Marktreife benötigen, dafür aber ein enormes Marktpotenzial versprechen und nicht leicht kopiert werden können. Daher tragen sie oft das Potenzial für bahnbrechende Innovationen in sich, für erfolgreiche Unternehmen, für völlig neue Märkte. Doch eine Idee beispielsweise vom Labor in unternehmerischen Erfolg zu übersetzen, ist anspruchsvoll, risikoreich und erfordert Ausdauer, Mut sowie erhebliche Ressourcen.

Viele Deep Tech-Start-ups treten an, um drängende gesellschaftliche Probleme zu lösen. Womit auch das Versprechen auf weltweite Marktdominanz einhergeht. Sind die Ideen zudem schwer zu replizieren, stellt das einen enormen Wettbewerbsvorteil dar. Diese Eigenschaften machen Deep Tech-Start-ups interessant für Investoren, denn das Rendite- und Skalierungspotenzial ist besonders groß. Das Risiko allerdings auch.
Zu den „Deep Technologies“ zählen beispielsweise Lösungen in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und Maschinelles Lernen, Materialwissenschaften, Quantencomputing, Raumfahrt, Green Tech bzw. Climate Tech oder Robotik. In der Vergangenheit schwächelte Deutschland im internationalen Vergleich, wenn es um Gründungen in diesen und verwandten Branchen ging. Doch seit 2022 zeichnet sich eine Wende ab.

Seit 2022 wurden hierzulande erkennbare Fortschritte im Deep Tech-Sektor erzielt. So gab es in diesem Jahr 275 Deep Tech-Neugründungen, ein Plus von 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 19,7 Milliarden US-Dollar wurden in Europa in Deep Tech-Unternehmen investiert, mehrere Milliarden flossen dabei auch an deutsche Gründer (Quelle). Das Fördervolumen auf europäischer und nationaler Ebene wurde 2022 ebenfalls........

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