Artikel vom 04.02.2024

Das Reich der Mitte schwächelt an vielen Fronten. Neben einer handfesten Wirtschafts- und Finanzkrise gefährdet die demographische Entwicklung den sozialen Frieden

Ein Immobilien-Beben erschüttert China. Die Börse ist auf Crashkurs, der Außenhandel bricht ein, Deflationssorgen trüben die Stimmung im Land. Zugleich schrumpft die Bevölkerung um täglich 5500 Menschen, das gesamte Geschäftsmodell des Landes wankt. Der 40jährige Aufschwung kommt an sein Ende - und China in dramatische Probleme.

Chinas Immobilienkonzern Evergrande ist endgültig pleite. Damit kollabiert nicht nur eines der größten Unternehmen der Welt: Evergrande hat alleine 333 Milliarden Dollar Schulden - das ist deutlich mehr als die Bruttosozialprodukte Portugals oder Griechenlands. Die Nachricht offenbart auch, wie heikel es um die wirtschaftliche Lage in China steht. Seit Monaten erschüttert nicht nur das Immobilien-Beben die Volkswirtschaft. Immer weitere Wirtschaftsbranchen werden von der Krise erfasst. Die Kurse an den Aktienbörsen in Hongkong und Shanghai sind binnen 10 Monaten im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent gefallen. Der Hang-Seng-Index hat sich in den drei Jahren seit Februar 2021 sogar fast halbiert. Chinas Wirtschaft gerät insgesamt in einen gefährlichen Abwärtsstrudel. Bautätigkeit, Produktionen, Ausfuhren, Kreditvergabe, Einzelhandelsumsätze, Arbeitsmarkt - alles schwächelt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist zum Jahreswechsel auf einem Rekordhoch von 21 Prozent gestiegen.

China leidet unter einem doppelten Schlag durch die schwache Nachfrage im In- und Ausland. Die in US-Dollar gemessenen Exporte beliefen sich 2023 auf 3,38 Billionen US-Dollar, was einem deutlichen Rückgang von 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Auch die Einfuhren gingen im vergangenen Jahr zurück, und zwar um 5,5 Prozent auf 2,56 Billionen Dollar. Nach vier Aufschwung-Jahrzehnten mit immer neuen Außenhandelserfolgen ist der jetzige Einbruch eine tiefe Zäsur. Denn nicht nur der Außenhandel, die Immobilien- und Aktienpreise sind rückläufig. Insgesamt legt sich eine Deflationslage übers Land. Der Dezember war der dritte Monat in Folge, in dem die Verbraucherpreise im Jahresvergleich gesunken sind. Dies ist der längste Rückgang seit der Finanzkrise 2009.

Analysten verweisen darauf, dass China nicht nur in kurzfristigen Schwierigkeiten steckt, sondern auch strategisch in Schieflage gerät. So taumelt China in eine Demografie-Falle. Chinas Gesellschaft altert und schrumpft rapide. Nach Angaben der Statistikbehörde ist Chinas Bevölkerung im vergangenen Jahr um zwei Millionen gesunken. Die Zahl der registrierten Sterbefälle lag bei 11 Millionen, die Zahl der Geburten bei neun Millionen. Im Vorjahr hatte es in China noch 9,6 Millionen Geburten gegeben. Das war bereits das zweite Jahr in Folge, in dem die Zahl der Einwohner zurückging. Der Prozess wird sich von nun an - das ist eine Langfrist-Folge der Ein-Kind-Politik - beschleunigen. Rechnerisch ist China damit jeden Tag (!) um 5500 Menschen kleiner geworden. Indien überholt China als bevölkerungsreichstes Land der Welt. Bis zum Jahr 2050, so UN-Prognosen, dürfte die Bevölkerungszahl um 109 Millionen zurückgehen. Da China keine nennenswerte Zuwanderung zulässt, drohen dem Land soziale Verwerfungen einer schrumpfenden und überalternden Bevölkerung. Vom Gesundheits- bis zum Rentensystem erwachsen Konflikte.

China muss daher sein gesamtes Geschäftsmodell neu definieren. Der Immobilienboom im Inland und die aggressiven Exporte von Fertigungsprodukten ins Ausland haben den Aufschwung Chinas vier Jahrzehnte getragen. Mit beidem ist es nun vorbei. Die Immobilienblase ist geplatzt, China sitzt auf einem unverkauften Bestand von mehr als 50 Millionen Wohnungen. Der Fall Evergrande ist symptomatisch für eine ganze Branche in Zahlungsschwierigkeiten. Chinas Bauunternehmen sind zur Sicherung ihrer Liquidität nun ebenfalls auf den Verkauf von Immobilien angewiesen, eine Kettenreaktion von Finanzklemmen ist die Folge. Auch bei Millionen von Privatpersonen. Denn über 70 Prozent des chinesischen Vermögens sind in Immobilien gebunden.

Und auch das zweite Standbein des Geschäftsmodells zittert - der Außenhandel. Sowohl Europa als auch die USA machen eigene Interessen in den Handelsbeziehungen schärfer geltend. Die Vereinigten Staaten sprechen von „De-Coupling" ihrer Wirtschaft von der Chinas, während Europa von "De-Risking" spricht, aber in der Praxis bedeutet beides dasselbe. US-amerikanische und europäische Unternehmen orientieren sich um, entweder durch Produktionsverlagerungen in die USA oder durch „Friendshoring“ in demokratischere, menschenrechtsfreundliche Länder Asiens - Indien profitiert davon besonders. Die Investitionsströme aus dem Westen und aus Japan nach China lassen deutlich nach. Alleine die Beschränkungen der USA für Chip-Exporte nach China sorgen dafür, dass neue Investitionen ausbleiben.

Damit erhöht sich der politische Druck auf die Führung in Peking. Die harte Corona-Politik und willkürliche Lockdowns sowie deren chaotisches Ende im Dezember 2022 haben das Vertrauen in die politische Führung erschüttert. Zwischen den neuen Wirtschaftseliten und der Parteiführung herrscht ein offener Machtkampf. Präsident Xi Jinping wirft privaten Unternehmen vor, sie würden gegen das chinesische Volk arbeiten, weil sie nach Profit strebten, anstatt die Ziele der Kommunistischen Partei zu unterstützen. Immer häufiger werden Regimekritiker willkürlich verhaftet. Alleinherrscher Xi erklärte auf dem Parteitag, unter seiner Führung seien „Tiger erlegt, Fliegen vertrieben, Füchse gejagt und korrupte Beamte aller Art bestraft worden“. Der Kampf gegen das „Krebsgeschwür“ Korruption gehe aber weiter. In den Fokus geraten dabei immer mehr Unternehmer.

Zugleich keimt Unruhe in der Mittelschicht. Für viele Normalanleger in China ist der doppelte Crash der Immobilien- und Aktienanlagen ein Desaster. Die Stimmung in der neuen Mittelschicht verdüstert sich, denn Millionen an Mittelschichtfamilien, deren Traum vom Eigenheim ebenso platzt wie die Aktien-Sparguthaben, sehen sich um ihren sozialen Status bedroht. Der von der Einheitspartei streng bewachte soziale Frieden gerät in Gefahr.

Ein sicheres Indiz für die Krisen-Nervosität der Führung ist das hektische Austauschen von Spitzenpolitikern. So hat Staatspräsident Xi in kurzer Zeit fast alle Schlüsselministerien neu besetzt. Der neue Außenminister und der neue Verteidigungsminister haben weltpolitisch Schlagzeilen gemacht. Weniger beachtet aber ist, dass auch die wirtschaftspolitische Führung gesäubert wurde. China hat einen neuen Zentralbankchef, einen neuen Chef der Reformkommission und seit einigen Wochen auch einen neuen Finanzminister. Der 61 Jahre alte Lan Fo’an war zuvor Parteichef der nordchinesischen Provinz Shanxi und hat nun die Aufgabe, Chinas Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren und die Konjunktur wieder anzukurbeln. Er tut das mit einem umfangreichen Ausgabenprogramm und wagt neue Schulden. Lan Fo'an kündigte im Interview mit der Parteizeitung an, dass ein "vorsichtiger und vernünftiger Ansatz für das Haushaltsdefizit" die Ausweitung der Staatsausgaben ermögliche. Demnach werde die Zentralregierung spezielle Staatsanleihen über zusätzliche 137 Milliarden Dollar ausgeben. Das neue Staatsgeld soll eigentlich die Deflation beenden und einen neuen Aufschwung auslösen - doch es wird kaum reichen, um die Folgen der Evergrande-Krise abzufedern. Lan Fo’an wird tiefer in die Schulden Kiste greifen müssen - viel tiefer.

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Chinas Bevölkerung schrumpft um täglich 5500 Menschen

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04.02.2024

Artikel vom 04.02.2024

Das Reich der Mitte schwächelt an vielen Fronten. Neben einer handfesten Wirtschafts- und Finanzkrise gefährdet die demographische Entwicklung den sozialen Frieden

Ein Immobilien-Beben erschüttert China. Die Börse ist auf Crashkurs, der Außenhandel bricht ein, Deflationssorgen trüben die Stimmung im Land. Zugleich schrumpft die Bevölkerung um täglich 5500 Menschen, das gesamte Geschäftsmodell des Landes wankt. Der 40jährige Aufschwung kommt an sein Ende - und China in dramatische Probleme.

Chinas Immobilienkonzern Evergrande ist endgültig pleite. Damit kollabiert nicht nur eines der größten Unternehmen der Welt: Evergrande hat alleine 333 Milliarden Dollar Schulden - das ist deutlich mehr als die Bruttosozialprodukte Portugals oder Griechenlands. Die Nachricht offenbart auch, wie heikel es um die wirtschaftliche Lage in China steht. Seit Monaten erschüttert nicht nur das Immobilien-Beben die Volkswirtschaft. Immer weitere Wirtschaftsbranchen werden von der Krise erfasst. Die Kurse an den Aktienbörsen in Hongkong und Shanghai sind binnen 10 Monaten im Durchschnitt um 20 bis 30 Prozent gefallen. Der Hang-Seng-Index hat sich in den drei Jahren seit Februar 2021 sogar fast halbiert. Chinas Wirtschaft gerät insgesamt in einen gefährlichen Abwärtsstrudel. Bautätigkeit, Produktionen, Ausfuhren, Kreditvergabe, Einzelhandelsumsätze, Arbeitsmarkt - alles schwächelt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist zum Jahreswechsel auf einem Rekordhoch von 21 Prozent gestiegen.

China leidet unter einem doppelten Schlag durch die schwache Nachfrage im In- und Ausland. Die in US-Dollar gemessenen Exporte beliefen sich 2023 auf 3,38 Billionen US-Dollar, was einem deutlichen Rückgang von 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Auch die Einfuhren gingen im vergangenen Jahr zurück, und zwar um 5,5 Prozent auf 2,56 Billionen Dollar. Nach........

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