Artikel vom 03.04.2024

Die Grünen sortieren hinter den Kulissen ihr Machtgefüge. Cem Özdemir zieht es nach Stuttgart, Robert Habeck soll den Bundestagswahlkampf anführen. Sein Oster-Video ist ein unverhohlenes Signal. Das Nachsehen hat Annalena Baerbock

Robert Habeck soll Kanzlerkandidat der Grünen für die Bundestagswahl im kommenden Jahr werden. Aus dem Führungskreis der Grünen ist zu hören, dass es ein "klares Mehrheitsbild" für die Kandidatur des Bundeswirtschaftsministers gebe. Nachdem Außenministerin Annalena Baerbock im Jahr 2021 mit ihrer Kandidatur verloren habe, sei nun Habeck am Zug. Habeck sei "starker Vize-Kanzler" und ein "begnadeter Wahlkämpfer", heißt es selbstbewusst - trotz mauer Umfragewerte. Außerdem schneide Habeck in den Direktwahlumfragen regelmäßig besser ab als Baerbock.

Offiziell verbreitet die Parteispitze noch die Losung, die Mitglieder sollten über die Kanzlerkandidatur in einer Urwahl entscheiden - falls es mehrere Kandidaten gibt. Doch dazu dürfte es gar nicht erst kommen. In Berlin wird verbreitet, dass Annalena Baerbock auf eine Kampfkandidatur verzichte. Sie lasse Habeck diesmal den Vortritt. Der seit Monaten wiederholte Baerbock-Satz "Der Vizekanzler führt die Grünen in der Koalition" gelte auch für den Wahlkampf. Der nach Umfragen beliebteste Grüne, Cem Özdemir, sieht seine Zukunft wohl in Baden-Württemberg und strebt danach, Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu werden.

Als ein deutliches Signal für die Kanzler-Ambitionen wird die jüngste "Oster-Botschaft" Habecks gewertet. Osterbotschaften verbreiten normalerweise nur Bischöfe oder der Papst. Kaiser Wilhelm schrieb mit seiner Osterbotschaft von 1917 einmal Geschichte. Daher ist das letztwöchige Video reichlich demonstrativ und ambitioniert. Es ist ganz im Stil einer Regierungserklärung inszeniert. Der Vize-Kanzler redet in dunklem Anzug und mit roter Krawatte staatstragend über Krieg und Frieden - so als wolle er die traditionelle Neujahrsansprache des Bundeskanzlers kontern. Und Habeck nutzt seine "Osterbotschaft" für eine Frontalkritik an der SPD, an deren zaudernder Ukraine-Politik und dem Vorschlag des SPD-Fraktionschefs nach einem "Einfrieren des Krieges".

Für einen normalen Wirtschaftsminister wäre diese Osterbotschaft sonderbar fachfremd, ja anmaßend. Für einen kommenden Kanzlerkandidaten ist sie hingegen geschickt präsentiert. Habeck spricht in Gestus und Tonalität, im Appell an NATO-Verlässlichkeit und äußere Sicherheit, auch in der direkten Ansprache an die christliche Oster-Tradition wie ein Staatsmann und zugleich wie ein Kandidat des mittigen, schwarz-grünen Milieus. Zugleich definiert Habeck damit markant die außenpolitische Linie der Grünen - und weist Baerbock vor aller Öffentlichkeit den Weg. Auch das wirkt wie eine Entscheidung im Machtkampf der beiden um die Führung der Grünen.

Habeck startet in die Kanzlerkandidatur freilich mit einigem Ballast. Er begann die Legislatur als beliebtester Politiker Deutschlands, Kanzlerkandidat der Herzen und Glaubwürdigkeitskönig. Doch im flackernden Licht der schwachen Ampel brachen auch seine Beliebtheitswerte massiv ein. Zunächst war da die Vetternwirtschaftsaffäre um Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, dann unterliefen ihm in der Energiekrise Fehler. Mit der Idee eine Gasumlage stand Habeck plötzlich allein da. Der nur um drei Monate hinausgezögerte Atomausstieg ist vielen Menschen unverständlich geblieben. Das Heizungsgesetz war ein einziger Unfall. Weite Teile des Mittelstands und die meisten Wirtschaftsverbände machten Front gegen den Minister. Aus dem einstigen Popstar der Politik wurde ein Spott-Star.

An Habecks Klagemauer prangen nun die ganz großen Schuldzuweisungen von der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, der Schwächung des Industriestandortes, der Dauer-Rezession. Habeck ist stolz darauf, Deutschland trotz des plötzlichen Wegfalls der russischen Energieträger durch den Winter 2022/2023 gebracht zu haben. Doch er muss sich die anhaltend hohen Energiepreise vorwerfen lassen. Die überdurchschnittliche Steuerlast, Bürokratie und das Mikromanagement der Wirtschaft liegen nach zweieinhalb Jahren im Amt ebenfalls in der Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers. Entsprechend hat sich in den Medien das Bild Habecks verdüstert. Ein typischer Ikarus-Effekt holte den einstigen Highflyer ein.

Andererseits zeigt Habeck aber Stehvermögen. Seine rhetorische Begabung ist ungebrochen, sein Charisma intakt und seine Mobilisierungsfähigkeit gefühlt hoch. In seinem Umfeld wird darauf verwiesen, dass die Grünen im Gegensatz zu FDP und SPD in den Umfragen vergleichsweise stabil geblieben seien. Mit 12 bis 16 Prozent lägen sie ungefähr bei ihrem Bundestagswahlergebnis (14,8 Prozent) und seien gleichauf mit der SPD. Ihm wird man 2025 zudem nicht vorwerfen können, was man 2021 Baerbock vorgehalten hatte - "regierungsunerfahren" zu sein.

Was die Habeck-Fans bei den Grünen nicht sagen: Er wird auch deshalb wahrscheinlicher Kanzlerkandidat, weil Baerbock es doppelt verspielt hat. Ihr Wahlkampf von 2021 war skandalerschüttert - unsauberer Umgang mit Nebeneinkünften, irreführende Lebenslauf-Angaben und ein Plagiatsbuch führten zu einem Vertrauens-Crash der Kandidatin. Als Außenministerin hat Baerbock hernach selbst geweckte Erwartungen nicht erfüllt. Anfangs punktete sie mit einem modern-sympathischen Auftritt und klaren Positionen, das Styling ihrer Auftritte wirkte geradezu cool und ihre "werte-basierte", "feministische" Außenpolitik bekam jede Menge Zustimmung.

Doch mit den immer ernster werdenden Konfliktlagen der Weltpolitik begann Baerbocks Stern zu sinken. Ihr wird vorgeworfen, zu sehr auf mediale Wirkung und schöne Fotos, aber zu wenig auf substanzielle Außenpolitik zu achten. Ihr Amtsvorgänger Sigmar Gabriel kritisierte das als "Außenpolitik mit Megafon". Wiederholt unterliefen ihr Patzer wie ihr heikler Europarats-Auftritt ("Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland."). Sie vergrätzte Peking, als sie Xi Jinping als "Diktator" brandmarkte, und immer wieder sorgte sie mit Versprechern für Spott.

Mit autoritären Regimen von Budapest über Ankara bis Teheran findet sie keinen Umgang. Die Ukraine-Politik bestimmt das Kanzleramt - und Baerbock kann die immer wieder durchscheinende Uneinigkeit zwischen ihr und Olaf Scholz nur mühsam kaschieren. Die vielen Reisen in den Nahen Osten fördern viele Bilder, aber keine erkennbaren Ergebnisse zutage. Deutschland steht hinter Israels Selbstverteidigungsrecht, hinter humanitärer Hilfe für die Menschen in Gaza, aber vor allem zwischen allen Stühlen. Zugleich ist die eigene Basis enttäuscht, etwa über Baerbocks Rolle bei der EU-Asylreform.

Vom Ruhm und Glanz der einstigen Kanzlerkandidatin ist wenig übrig, zu wenig zumindest für eine zweite Kanzlerkandidatur. Die geht an den Mann, der derzeit kaum einen Zweifel daran lässt, dass er sich diese Chance nicht noch einmal entgehen lassen will.

QOSHE - Grüne: Robert Habeck soll Kanzlerkandidat werden - Wolfram Weimer
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Grüne: Robert Habeck soll Kanzlerkandidat werden

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03.04.2024

Artikel vom 03.04.2024

Die Grünen sortieren hinter den Kulissen ihr Machtgefüge. Cem Özdemir zieht es nach Stuttgart, Robert Habeck soll den Bundestagswahlkampf anführen. Sein Oster-Video ist ein unverhohlenes Signal. Das Nachsehen hat Annalena Baerbock

Robert Habeck soll Kanzlerkandidat der Grünen für die Bundestagswahl im kommenden Jahr werden. Aus dem Führungskreis der Grünen ist zu hören, dass es ein "klares Mehrheitsbild" für die Kandidatur des Bundeswirtschaftsministers gebe. Nachdem Außenministerin Annalena Baerbock im Jahr 2021 mit ihrer Kandidatur verloren habe, sei nun Habeck am Zug. Habeck sei "starker Vize-Kanzler" und ein "begnadeter Wahlkämpfer", heißt es selbstbewusst - trotz mauer Umfragewerte. Außerdem schneide Habeck in den Direktwahlumfragen regelmäßig besser ab als Baerbock.

Offiziell verbreitet die Parteispitze noch die Losung, die Mitglieder sollten über die Kanzlerkandidatur in einer Urwahl entscheiden - falls es mehrere Kandidaten gibt. Doch dazu dürfte es gar nicht erst kommen. In Berlin wird verbreitet, dass Annalena Baerbock auf eine Kampfkandidatur verzichte. Sie lasse Habeck diesmal den Vortritt. Der seit Monaten wiederholte Baerbock-Satz "Der Vizekanzler führt die Grünen in der Koalition" gelte auch für den Wahlkampf. Der nach Umfragen beliebteste Grüne, Cem Özdemir, sieht seine Zukunft wohl in Baden-Württemberg und strebt danach, Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu werden.

Als ein deutliches Signal für die Kanzler-Ambitionen wird die jüngste "Oster-Botschaft" Habecks gewertet. Osterbotschaften verbreiten normalerweise nur Bischöfe oder der Papst. Kaiser Wilhelm schrieb mit seiner Osterbotschaft von 1917 einmal Geschichte.........

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