Artikel vom 16.01.2024

Cem Özdemir soll nach den Plänen der Grünen Kretschmann-Nachfolger in Baden-Württemberg werden. Doch die Bauernproteste bringen den Minister schwer in Bedrängnis. Er blufft, laviert und nutzt vier Tricks.

Winfried Kretschmann regiert als Deutschlands einziger grüner Ministerpräsident. Er ist 75 Jahre alt und hört mit dieser Legislatur als Landesvater in Baden-Württemberg auf. Bei den Grünen gilt Cem Özdemir als Wunschnachfolger, um die strategisch wichtige Position zu verteidigen - und alles schien bis vor wenigen Wochen gut vorbereitet. Laut einer vorweihnachtlichen Erhebung des Instituts Allensbach war Özdemir 23 Prozent der Befragten im Ländle als Kretschmann-Nachfolger am liebsten, noch vor denkbaren CDU-Konkurrenten. Die örtlichen Grünen-Konkurrenten wirken neben ihm chancenlos: Finanzminister Danyal Bayaz kam auf schmale drei Prozent, Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz auf zwei Prozent.

Doch mit den Bauernprotesten gerät Özdemirs Karriereplan gewaltig ins Wanken. Gerade im mittelständisch geprägten Baden-Württemberg kommt die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Ampel gar nicht gut an. Insbesondere die Steuererhöhungen für die Bauern, Handwerker und Spediteure sorgen im Südwesten für weiträumige Empörung. Bauernverbandspräsident Joachim Ruckwied kommt selbst aus Baden-Württemberg und mobilisiert vor Ort eine breite Widerstandsbewegung. Die Grünen im allgemeinen und Cem Özdmir als Bundeslandwirtschaftsminister im besonderen stehen plötzlich im Zentrum der Kritik. An den Stammtischen im Ländle kursieren seither bohrende Fragen wie: Hat Özdemir die Steuererhöhungen für Bauern als Minister nicht doch direkt zu verantworten? Ruiniert die grüne Energie- und Klimapolitik den Wirtschafts- und Agrarstandort? Steht Özdemir für Öko-Verbotspolitik? Kurzum: Es wachsen Zweifel, ob Özdemir den Trick Kretschmanns wiederholen kann, eigentlich CDU-Politik zu betreiben, sie nur im grünen Gewand freundlich zu verkaufen.

Neutral betrachtet gehört Özdemir zum Besten, was die Grünen an Personal zu bieten haben: Charismatisch, rhetorisch stark, konstruktiv, offen, bodenständig und verbindlich. Der anatolische Schwabe war zehn Jahre Parteivorsitzender; er verkörpert neben Winfried Kretschmann die mittig anschlussfähige, bürgerliche Grünenpartei und liegt in Beliebtheitsumfragen der Republik regelmäßig auf vorderen Plätzen. Doch seit dem Wahlerfolg von Winfried Kretschmann bei der Wahl vor drei Jahren mit 32 Prozent für die Grünen hat sich die Stimmung gedreht: Die Grünen sind auch in Baden-Württemberg massiv im Abwärtstrend, jetzt kommen die Bauernproteste dazu. Von daher ist die Lage für Özdemir schlagartig schwierig geworden.

Das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers ist ihm bei den Ampelkoalitionsverhandlungen unter grotesken Umständen zugefallen wie einem Diplomaten der Schweinestall. Ein Agrar-Experte war Özdemir noch nie – anders als etwa der lange hoch gehandelte Anton Hofreiter. Doch der Grünen-interne Machtkampf zwischen Fundis und Realos wurde zugunsten der Realos und also Özdemirs entscheiden. Doch für Özdemir war die Mission von Anfang an heikel, er fremdelt mit Thema wie Milieu. Er hätte als Außenminister, der auch einem Erdogan die Stirn bieten kann, besser gepasst.

Immerhin hat sich Özdemir bislang dem negativen Meinungsstrudel zur Ampel halbwegs entziehen können. Die katastrophalen Umfragewerte betrafen sein Amt kaum. Doch seit den hastigen Dezemberbeschlüssen steht er mitten im politischen Feuer.

Özdemir hat die Krisenlage offensiv angenommen. Anders als der Bundeskanzler duckt er sich vor den Protesten nicht weg sondern stellt sich den Bauern und der Debatte. Seine Losung: „Schwätza muass mer mit de Leit“. Das ist in dieser Beschlusslage denkbar schwierig, doch Özdemir ist ein politischer Superprofi. Seine kommunikative Verteidigungsstrategie hat vier taktische Elemente:

Erstens das Unschuldslamm mimen. Als die Entscheidungen bekannt wurden und die Wutwelle aufbrandete, ließ Özdemir verbreiten, er sei an dem Beschluss nicht beteiligt gewesen, mithin unschuldig. Diese Strategie ist riskant. Denn im günstigen Fall wirkt er damit wie ein unwissender, ohnmächtiger Minister, der bei einer Schlüsselentscheidung zu seinem Ministerium nicht einmal gefragt wird. Im schlechten Fall war er doch irgendwie eingebunden und informiert und das Unschuldslamm endet als Lügner. Dann hätte er das wichtigste politische Pfund verloren - seine Glaubwürdigkeit.

Zweitens den tapferen Widerständler mimen. Özdemir verbreitet lustvoll die Version, dass er sich den Beschlüssen von Scholz, Habeck und Lindner vehement entgegen stelle und mit seinem Veto schon einige Korrekturen erreicht habe. Diese Strategie hat das Risiko, dass er damit seinen Kabinettskollegen und dem Bundeskanzler offen in der Rücken fällt - ob nur zum Schein oder tatsächlich. Es vertieft das Bild einer Regierung, die unprofessionell, zerstritten und sprunghaft herum stümpert. Auch die Widerständler-Inszenierung gegen seine eigene Partei ist heikel. In der Illner-Sendung des ZDF kritisiert er die Grünen, die mit „moralinsaurer Haltung durch die Landschaft ziehen“. Das Urteil ist zwar mehrheitsfähig, aber sich auf Kosten der eigenen Kollegen zu profilieren, könnte ihm irgendwann auf die Füße fallen, wenn er genau diese moralinsauren Kollegen einmal brauchen sollte - etwa um Ministerpräsident zu werden.

Drittens das Schwarze-Peter-Spiel spielen, die Verantwortung also anderen zuschieben, am besten der Vorgänger-Regierung. "Der Karren ist so tief im Dreck, um mal bildlich zu sprechen, dass wir alle miteinander arbeiten sollten und jetzt nicht so sehr Parteipolitik machen sollten, wie es meine Vorgängerin vorher gemacht hat", schimpft Özdemir über seine Amtsvorgängerin, die CDU-Politikerin Julia Klöckner. "Der Agrardiesel alleine hat nicht den Zorn ausgelöst, sondern was den Zorn ausgelöst hat, ist, dass jahrzehntelang den Bauern Dinge versprochen wurden von wechselnden Regierungen, die dann nur zum Teil oder gar nicht gehalten worden sind." Der Bundesagrarminister betont: "Landwirte denken in Generationen, wir denken in Legislaturperioden - und das ist das Problem.“ Diese Verteidigungsstrategie ist wenig riskant, aber auch billig und zu durchschaubar.

Viertens ein großes Ablenkungsmanöver starten. Das tut Özdemir, indem er plötzlich einen „Bauern-Soli“ als „Tierwohl-Abgabe“ vorschlägt. Diese Taktik hat die besten Chancen, den Konflikt zu minimieren und Özdemir aus dem politischen Feuer zu holen. Plötzlich steht er als positiver Gestalter da, als einer der den Bauern und dem Tierschutz helfen will. Das Problem bei dieser Taktik - der Vorschlag wird keine Realität. Denn damit käme nach einer Steuererhöhung beim Agrardiesel nun auch noch eine Steuererhöhung auf Nahrungsmittel hinzu. In Baden-Württemberg punktet er damit jedenfalls nicht.

Die Manöver zeigen, dass Özdemir in einer verzwickten Lage steckt und schwer unter Druck geraten ist. Sie zeigen aber auch seine Beweglichkeit und politische Cleverness. Ob die aber jenseits der städtischen Milieus von Stuttgart, Freiburg und Heidelberg überzeugt, ist fraglich. Özdemir hat im ländlichen Raum Baden-Württembergs durch den Konflikt massiv an Akzeptanz verloren, die Menschen im Schwarzwald, in Baden, Hohenlohe oder Oberschwaben gehen auf Distanz. Seine Chancen, im Südwesten Ministerpräsident zu werden, sind deutlich gesunken.

Damit wird es spannend, ob er den Gang nach Stuttgart trotzdem wagt. Noch in diesem Jahr werden die Kandidatenlisten für die Bundestagswahl 2025 aufgestellt. Özdemir muss sich also entscheiden, ob er wieder in Stuttgart für die Bundestagswahl antritt oder ob er bei der Landtagswahl als Spitzenkandidat ins Rennen geht. Die Bauern könnten ihm den Triumphzug nach Stuttgart schon verdorben haben.

QOSHE - Özdemir will Ministerpräsident werden - doch die Bauernproteste bringen ihn ins Taumeln - Wolfram Weimer
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Özdemir will Ministerpräsident werden - doch die Bauernproteste bringen ihn ins Taumeln

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16.01.2024

Artikel vom 16.01.2024

Cem Özdemir soll nach den Plänen der Grünen Kretschmann-Nachfolger in Baden-Württemberg werden. Doch die Bauernproteste bringen den Minister schwer in Bedrängnis. Er blufft, laviert und nutzt vier Tricks.

Winfried Kretschmann regiert als Deutschlands einziger grüner Ministerpräsident. Er ist 75 Jahre alt und hört mit dieser Legislatur als Landesvater in Baden-Württemberg auf. Bei den Grünen gilt Cem Özdemir als Wunschnachfolger, um die strategisch wichtige Position zu verteidigen - und alles schien bis vor wenigen Wochen gut vorbereitet. Laut einer vorweihnachtlichen Erhebung des Instituts Allensbach war Özdemir 23 Prozent der Befragten im Ländle als Kretschmann-Nachfolger am liebsten, noch vor denkbaren CDU-Konkurrenten. Die örtlichen Grünen-Konkurrenten wirken neben ihm chancenlos: Finanzminister Danyal Bayaz kam auf schmale drei Prozent, Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz auf zwei Prozent.

Doch mit den Bauernprotesten gerät Özdemirs Karriereplan gewaltig ins Wanken. Gerade im mittelständisch geprägten Baden-Württemberg kommt die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Ampel gar nicht gut an. Insbesondere die Steuererhöhungen für die Bauern, Handwerker und Spediteure sorgen im Südwesten für weiträumige Empörung. Bauernverbandspräsident Joachim Ruckwied kommt selbst aus Baden-Württemberg und mobilisiert vor Ort eine breite Widerstandsbewegung. Die Grünen im allgemeinen und Cem Özdmir als Bundeslandwirtschaftsminister im besonderen stehen plötzlich im Zentrum der Kritik. An den Stammtischen im Ländle kursieren seither bohrende Fragen wie: Hat Özdemir die Steuererhöhungen für Bauern als Minister nicht doch direkt zu verantworten? Ruiniert die grüne Energie- und Klimapolitik den Wirtschafts- und Agrarstandort? Steht Özdemir für Öko-Verbotspolitik? Kurzum: Es wachsen Zweifel, ob Özdemir den Trick Kretschmanns wiederholen kann, eigentlich CDU-Politik zu betreiben, sie nur im grünen Gewand........

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