Artikel vom 12.03.2024

Der ungelenke Aufruf des Papstes, im Ukraine-Krieg Mut zu Verhandlungen aufzubringen, erfährt in der Politik offiziöse Kritik. Tatsächlich sagt Franziskus, was viele denken. Hinter den Kulissen entsteht zudem diplomatischer Druck.

„Papst Franziskus ist ein besonnener Mann. Seinen Aufruf ‚Mut zu Verhandlungen‘ teile ich“, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der CDU-Landesfürst gehört damit zu den wenigen Spitzenpolitikern der politischen Mitte, die den päpstlichen Aufruf zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unterstützen. Von CDU bis zu den Grünen, von der FDP bis zum Bundeskanzler distanzieren sich die meisten von Franziskus, vor allem weil dessen Interview mit der missglückten Metapher vom „Hissen der weißen Fahne“ verbreitet wurde - so als habe der Papst der Ukraine eine Kapitulation nahegelegt.

Der Vatikan müht sich seither klarzustellen, dass der Papst nur einen Friedensappell aussenden und zu einem beiderseitigen Waffenstillstand ermutigen wollte. Das missverständliche Interview wirkt in der Weltpolitik gleichwohl wie ein Dosenöffner zu einem tatsächlichen Waffenstillstand. Denn nicht nur Michael Kretschmer findet es an der Zeit für den Start diplomatischer Lösungen. In Wahrheit platzt das Papstwort mitten hinein in einen gefühlten Wendepunkt des Krieges.

Fünf Gründe sprechen dafür, dass ein Waffenstillstand bald nahen könnte:

Erstens zeigt der Frontverlauf seit nunmehr einem Jahr einen festgefahrenen Stellungskrieg. In einem Korridor von 20 Kilometer haben sich die Armeen ineinander verkeilt wie weiland die Truppen im Ersten Weltkrieg. Nachdem die Gegenoffensive der Ukraine vor Jahresfrist stecken bleib, gewinnen die Russen wieder leicht die Überhand.

Doch die Front verschiebt sich nur wenige Kilometer - und das bei zehntausenden Toten. Militärisch ist eine Todesmaschinerie des Stillstands entstanden. Die Ukraine hat keine wirkliche Hoffnung mehr, die Gegenoffensive voran zu treiben, sie kann mit Mühe den Status Quo halten. Der populäre Ex-Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschny, hat die militärische Situation im britischen „Economist“ als grausames Patt beschrieben. Auch wenn Saluschny für diese Meinung seinen Job verlor, wird sie doch innerhalb der Ukraine und in der Armee weithin geteilt. Damit hat der Volksgeneral, wie er in der Ukraine genannt wird, die Tür zu Waffenstillstandsverhandlungen als oberster Militär selbst aufgestoßen. Der Ukraine gäbe ein Waffenstillstand - ohne irgendeine territoriale Anerkennung - eine dringend nötige Atempause und zudem die Gelegenheit, die erhoffte Einbindung in EU und Nato voranzutreiben.

Zweitens schwindet im Westen der Rückhalt für die militärische Unterstützung der Ukraine. Das Meinungsklima in mehreren Staaten hat sich messbar verändert. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde eine Studie veröffentlicht, die Menschen in verschiedenen Staaten befragt hat, welche Gefahren sie wie hoch einschätzen. In der gesamten G7-Ländergruppe wurde die von Russland ausgehende Bedrohung vor einem Jahr noch als die dringlichste und größte Sorge betrachtet. Jetzt fällt Russland als Bedrohung auf den vierten Platz zurück. In vielen westlichen Ländern schwindet die Bereitschaft zur Militärhilfe deutlich. In Deutschland befürworten beispielsweise nur noch 28 Prozent die Bereitstellung der Bundeswehr-Taurus-Raketen für den ukrainischen Abwehrkampf gegen Russland. 58 Prozent sind gegen die Lieferung dieses Waffensystems. Anfang Februar waren bei der identischen Frage noch 31 Prozent dafür und 49 Prozent dagegen.

Drittens kippt die Stimmung in der USA. Donald Trump und ein wachsender Teil der Republikaner machen bereits Stimmung gegen die teure Ukraine-Militärhilfe. Die Mobilisierung für eine isolationistische Position gewinnt an Dynamik. Präsident Joe Biden weiß das und wird - ähnlich wie in der Gaza-Frage - versuchen, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. In Bidens Umfeld wird daher die Option „diplomatische Lösung“ inzwischen aktiv erwogen. Der Rücktritt der Staatssekretärin und Vizeaußenministerin Victoria Nuland, einer der schärften Putin-Kritikerinnen und profiliertesten Militärhilfebefürworterinnen der Ukraine, gilt in Washington als Signal für einen Kurswechsel. Nach einer aktuellen Umfrage fordern mehr als zwei Drittel der Amerikaner (69 Prozent), so bald wie möglich diplomatische Verhandlungen mit Russland und den USA aufzunehmen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, so die Meinungsforscher von Quincy Institute/Harris Poll. Biden will nicht gegen diese von Trump befeuerte Stimmung Wahlkampf machen müssen. Er hatte schon zuletzt größte Mühe, Finanzzusagen für Kiew zu mobilisieren. Auch dem US-Präsidenten käme daher ein Waffenstillstand gerade Recht.

Viertens formiert sich die Welt der Drittmächte zu einer massiven Waffenstillstands-Fraktion. Von China bis Brasilien, von Indien bis zur Türkei wird der Wunsch immer lauter artikuliert, dass der Krieg in Europa endlich einer Friedenslösung zugeführt werden müsse. Die Kollateralschäden für die Weltwirtschaft wegen eines „kleinen Territorialkonflikts in Osteuropa“ seien viel zu groß, hört man aus den Hauptstädten in Asien, Afrika und Lateinamerika. China hat nun eigens einen Sonderbeauftragten, Li Hui, zum zweiten Mal in die Ukraine, die europäischen Länder und nach Russland entsandt, um nach einer politischen Lösung der „Ukraine-Krise“ zu suchen. Die Türkei wiederum ruft im Wochenauftakt zu einem Einstieg in Friedensgespräche auf. Sowohl China als auch die Türkei wollen dabei auch ihre eigene Rolle als internationaler Akteure profilieren. Doch ihre Vorschläge, zunächst mit einem befristeten Waffenstillstand und einem Gefangenenaustausch zu beginnen, treffen auf zusehends mehr Resonanz.

Fünftens ist Moskau plötzlich doch zu Gesprächen bereit. Der Kreml hat nach dem Papst-Interview die Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Beendigung des Konflikts demonstrativ betont. Russland verstehe die Äußerungen des Papstes in dem Interview nicht als Aufruf an die Ukraine zur Kapitulation, sondern als Plädoyer für Verhandlungen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. Wladimir Putin habe immer wieder davon gesprochen, bereit und offen zu sein für Verhandlungen. "Das ist der bevorzugte Weg", sagte Peskow. Für Putin käme ein Waffenstillstand zu seiner Wiederwahl gerade recht. In den vergangenen Wochen hat seine Invasionsarmee kleine Geländegewinne erzielt, er könnte sich also mit den jüngsten Eroberungen im Donbas und der Verteidigung der vor zwei Jahren eroberten Landbrücke zur Krim als Sieger inszenieren.

Fazit: Der Papst könnte mit seinem missverständlichen Interview etwas Großes ausgelöst haben. Nicht weil man ihm moralisch folgen und das Grauen in der Ukraine endlich beenden will, sondern weil ein Waffenstillstand den Interessen vieler Akteure gerade zupass käme.

QOSHE - Ukraine: Fünf Gründe, warum ein Waffenstillstand nahen könnte - Wolfram Weimer
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Ukraine: Fünf Gründe, warum ein Waffenstillstand nahen könnte

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12.03.2024

Artikel vom 12.03.2024

Der ungelenke Aufruf des Papstes, im Ukraine-Krieg Mut zu Verhandlungen aufzubringen, erfährt in der Politik offiziöse Kritik. Tatsächlich sagt Franziskus, was viele denken. Hinter den Kulissen entsteht zudem diplomatischer Druck.

„Papst Franziskus ist ein besonnener Mann. Seinen Aufruf ‚Mut zu Verhandlungen‘ teile ich“, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der CDU-Landesfürst gehört damit zu den wenigen Spitzenpolitikern der politischen Mitte, die den päpstlichen Aufruf zu Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unterstützen. Von CDU bis zu den Grünen, von der FDP bis zum Bundeskanzler distanzieren sich die meisten von Franziskus, vor allem weil dessen Interview mit der missglückten Metapher vom „Hissen der weißen Fahne“ verbreitet wurde - so als habe der Papst der Ukraine eine Kapitulation nahegelegt.

Der Vatikan müht sich seither klarzustellen, dass der Papst nur einen Friedensappell aussenden und zu einem beiderseitigen Waffenstillstand ermutigen wollte. Das missverständliche Interview wirkt in der Weltpolitik gleichwohl wie ein Dosenöffner zu einem tatsächlichen Waffenstillstand. Denn nicht nur Michael Kretschmer findet es an der Zeit für den Start diplomatischer Lösungen. In Wahrheit platzt das Papstwort mitten hinein in einen gefühlten Wendepunkt des Krieges.

Fünf Gründe sprechen dafür, dass ein Waffenstillstand bald nahen könnte:

Erstens zeigt der Frontverlauf seit nunmehr einem Jahr einen festgefahrenen Stellungskrieg. In einem Korridor von 20 Kilometer haben sich die Armeen ineinander verkeilt wie weiland die Truppen im Ersten Weltkrieg. Nachdem die Gegenoffensive der Ukraine vor Jahresfrist stecken bleib,........

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