Ohne großes öffentliches Aufsehen geht seit ein paar Monaten am Vorabend jeder Nationalrats-Plenumswoche ein geselliges Beisammensein der Volksvertreter über die Bühne. Auch für den Abend vor dem Start der dieswöchigen Marathonsitzungswoche zur Verabschiedung des letzten Budgets von Türkis-Grün fanden jüngst die Parlamentsabgeordneten eine Einladung in ihren E-Mail-Postfächern. Das „Komitee der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft“ (ÖPG) hatte für diesen Montagabend einmal mehr ins noble Palais Epstein, linker Hand des frisch renovierten Parlamentsgebäudes am Wiener Dr.-Karl-Renner-Ring, geladen.

„Parlamentarische Abende finden ab 17.30 Uhr des Vorabends des ersten Plenartages des National- und Bundesrats zum überfraktionellen Austausch statt“, heißt es darin zur Erklärung des erst kürzlich aus der Taufe gehobenen Events. Unterzeichnet ist die persönliche Einladung von je zwei Klub-Funktionären aller fünf Parlamentsparteien. Zaungäste sind nicht erwünscht: „Diese Einladung ist persönlich an Sie als Mandatar:in gerichtet und nicht übertragbar.“

Das gesellige Beisammensein wurde erst vor dem Sommer auf Anregung der drei Präsident:innen und Klubobleute im Rahmen der überparteilichen ÖPG ins Leben gerufen. Es soll, wenn es nach dem Willen der Erfinder geht, das polarisierte Klima zwischen den Fraktionen verbessern und generell den zunehmenden Tunnelblick im politischen Alltag aufhellen.

Das lockere Beisammensein bei Speisen und Getränken erfreut sich nicht nur bei Abgeordneten aus den Bundesländern großer Beliebtheit, die meist am Vorabend von Plenarsitzungen nach Wien anreisen. Mitte Oktober wurde erstmals auch der neue SPÖ-Chef, Bundesrat und Klubvorsitzende aller roten Abgeordneten am Eröffnungsabend der Plenumstage rund um die vorläufig letzte Budgetrede von Finanzminister Magnus Brunner im Palais Epstein gesichtet. Die anwesenden anderen Spitzenfunktionäre, vom geselligen türkisen August Wöginger bis zum roten Kärntner Kumpeltyp Philip Kucher, schüttelten quer durch die Fraktionen Hände.

Regierungs- und Oppositionsmandatare mischten sich zum lockerem Beisammensein. Andreas Babler marschierte ohne Hallo und Händeschütteln ins Palais Epstein ein und zog sich schnurstracks mit seinen engsten Vertrauten aus der roten Klubspitze in eine Ecke zurück.

Diese Episode wäre an sich belanglos, zumal Babler damals wenige Woche vor seinem entscheidenden Parteitag samt Abstimmung über sein Programm und neuerlich über seine Person stand. Für Teilnehmer des geselligen Parlamentarier-Abends steht sein Verhalten beim lockeren Get-together freilich prototypisch für den Umgang des neuen, selbsternannten roten Robin Hood mit politisch Andersdenkenden.

Wo auch immer das Gespräch mit Regierungs- und Oppositionsvertretern auf die Einschätzung des neuen SPÖ-Spitzenplayers kommt, zieht sich eine Botschaft querdurch: Abseits formeller und informeller Begegnungen auf Parlamentsebene wie zuletzt der im Palais Epstein gebe es so gut wie keine Kontakte mit dem Nachfolger von Pamela Rendi-Wagner. Was der roten „Pam“ im Vergleich zu Babler an zündendem Feuer und Redetalent fehlte, machte sie vergleichsweise hinter den Kulissen mit politischer Beziehungspflege quer durch die Lager wett.

„Es gibt seitens Andreas Babler null Versuche einer politischen Achsenbildung für die Zeit nach der kommenden Wahl“, sagt ein Spitzengrüner.

Die noch vor einem Jahr liebevoll gepflegte Vision einer Ampelkoalition ist mangels Mandatsmasse zwar längst begraben. Nicht wenige Ökos hegen aber nach wie vor den Traum von Rot-Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot-Grün. Aktuell umso mehr, weil seit Wochen die Nationalratswahl-Umfragen nur ein Dreierbündnis der einstigen Großkoalitionäre mit Grün oder Pink als einzige politisch realistische Alternative zu Blau-Schwarz hergeben.

Ähnlich spurlos präsentiert sich bislang die rote politische Landschaftspflege seit Beginn der Ära Babler auch in Richtung des türkis-schwarzen Lagers. Wie ratlos selbst erfahrene Vollprofi s sind, belegt der Bericht eines teilnehmenden Beobachters über das Innenleben der ÖVP Niederösterreich.

Der als ÖVP-Strippenzieher hinter den Kulissen nach wie vor umtriebige niederösterreichische Landeskaiser a. D. Erwin Pröll ließ intern jüngst wissen, dass er bei vertrauten Roten gerade diskret auszuloten versucht, mit wem in der SPÖ es Sinn mache, abseits von Babler eine politische Achse für die Zeit nach der kommenden Wahl zu schmieden. Denn der neue rote Vormann verhalte sich bislang wie in seiner Rolle als Bürgermeister von Traiskirchen. Dank einer satten absoluten Mehrheit könne er ohne jede Rücksicht auf einen Koalitionspartner schalten und walten.

Das wird es nach der Nationalratswahl 2024 für keinen der Kanzlerkandidaten spielen. In der ÖVP ist noch nicht ausgemacht, welcher Flügel danach das Sagen haben wird. Beißen Nehammer & seine niederösterreichischen Hilfsregimenter besonders katastrophal ab, hat der Möchtegernkanzler der Mitte wohl weder in noch außerhalb seiner Partei ausreichend Spielraum, um weiter den Takt vorzugeben.

Auch wenn sich nach der niederösterreichischen Landtagswahl im Jänner die von Ex-Klubchef Klaus Schneeberger und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker angeführten Anhänger von Schwarz-Blau durchgesetzt haben – ausgemacht ist ein FPÖ-Kanzler von türkisen Gnaden in der ÖVP noch nicht.

Denn auch die in der ÖVP nach wie vor den Tonangebenden niederösterreichischen Schwarzen sind in zwei Flügel gespalten. Viele Angehörige des ÖVP-Bauernbunds lassen ähnlich wie der langjährige NÖ-Alleinherrscher Erwin Pröll kein gutes Haar an dessen Nachfolgerin und immer öfter auch an ihrem Protegé am Wiener Ballhausplatz.

Im Wirtschaftsbund wird österreichweit schon seit Amtsantritt von Karl Nehammer als ÖVP- und Regierungschef ein von der Dominanz des ÖAAB geprägter Polit-Kurs ausgemacht und mit wachsendem Unwillen gesehen. Ein blauer Kanzler hätte derzeit alles andere als den Segen des ÖVP-Wirtschaftsbunds, geschweige denn der nach wie vor höchst einflussreichen Industriellenvereinigung. „Noch ist es wie im Lotto: Alles ist möglich“, resümieren daher erfahrene Parlamentarier – sowohl bei Rot als auch bei Schwarz-Türkis.

Die nächsten entscheidenden Weichen für das Regierungsbündnis 2024 werden bereits Monate vor der nächsten Nationalratswahl gestellt – am EU-Wahlabend 9. Juni.

Ein Kantersieg der FPÖ und ein massiver Absturz von ÖVP und SPÖ könnten bei Rot und Schwarz nachhaltige Panikattacken auslösen und für die Nationalratswahlen die personellen Karten neu mischen.

„Wenn die EU-Wahl total schiefgeht, werden bei uns die Stimmen unüberhörbar werden, Karl Nehammer gegen Magnus Brunner oder, wenn es die Justiz-Causen erlauben, gegen Sebastian Kurz auszutauschen“, sagt ein ÖVP-Insider.

„Dann kann es auch bei uns passieren, dass der Spitzenkandidat wieder zur Disposition steht“, meint ein SPÖ-Intimkenner: „Denn am Ende setzt die SPÖ immer auf den, mit dem sie Wahlen auch tatsächlich gewinnen kann.“

Dieses Szenario für die Tage nach der EU-Wahl machte abseits der Bablermania-Bühnenshow bereits am SPÖ-Parteitag Mitte November in den Gängen der Grazer Messehalle die Runde.

Über die Ausgangslage herrscht quer durch die roten Lager Konsens: Auch wenn Hans Peter Doskozil offiziell auf Total-Rückzug von der Bundesbühne macht, lauert er in Wahrheit in Eisenstadt nur auf eine passende Gelegenheit zur Genugtuung für die schmachvolle Niederlage bei der Kampfabstimmung gegen den Linkspopulisten aus Traiskirchen.

„Wenn ihn alle in der SPÖ sehr bitten, wird er die Reservebank gerne jederzeit wieder verlassen“, sagt ein Doskozil-Vertrauter.

Besonders verwegene Polit-Prognostiker bei den Roten rechnen spätestens bei der übernächsten Wahl mit dem ultimativen politischen Showdown von ÖVP und SPÖ: Sebastian Kurz gegen Hans Peter Doskozil. Der eine wird von einer ÖVP in tiefer Verzweiflung ob ungebremster Wählerverluste noch einmal auf den Schild gehoben. Der andere wird mit einem roten Zauberwort doch noch in der SPÖ durchgedrückt: Nur er kann Kickls Dauerlauf stoppen.

QOSHE - Kanzlerkandidaten auf Bewährung [Politik Backstage] - Josef Votzi
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Kanzlerkandidaten auf Bewährung [Politik Backstage]

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24.11.2023

Ohne großes öffentliches Aufsehen geht seit ein paar Monaten am Vorabend jeder Nationalrats-Plenumswoche ein geselliges Beisammensein der Volksvertreter über die Bühne. Auch für den Abend vor dem Start der dieswöchigen Marathonsitzungswoche zur Verabschiedung des letzten Budgets von Türkis-Grün fanden jüngst die Parlamentsabgeordneten eine Einladung in ihren E-Mail-Postfächern. Das „Komitee der Österreichischen Parlamentarischen Gesellschaft“ (ÖPG) hatte für diesen Montagabend einmal mehr ins noble Palais Epstein, linker Hand des frisch renovierten Parlamentsgebäudes am Wiener Dr.-Karl-Renner-Ring, geladen.

„Parlamentarische Abende finden ab 17.30 Uhr des Vorabends des ersten Plenartages des National- und Bundesrats zum überfraktionellen Austausch statt“, heißt es darin zur Erklärung des erst kürzlich aus der Taufe gehobenen Events. Unterzeichnet ist die persönliche Einladung von je zwei Klub-Funktionären aller fünf Parlamentsparteien. Zaungäste sind nicht erwünscht: „Diese Einladung ist persönlich an Sie als Mandatar:in gerichtet und nicht übertragbar.“

Das gesellige Beisammensein wurde erst vor dem Sommer auf Anregung der drei Präsident:innen und Klubobleute im Rahmen der überparteilichen ÖPG ins Leben gerufen. Es soll, wenn es nach dem Willen der Erfinder geht, das polarisierte Klima zwischen den Fraktionen verbessern und generell den zunehmenden Tunnelblick im politischen Alltag aufhellen.

Das lockere Beisammensein bei Speisen und Getränken erfreut sich nicht nur bei Abgeordneten aus den Bundesländern großer Beliebtheit, die meist am Vorabend von Plenarsitzungen nach Wien anreisen. Mitte Oktober wurde erstmals auch der neue SPÖ-Chef, Bundesrat und Klubvorsitzende aller roten Abgeordneten am Eröffnungsabend der Plenumstage rund um die vorläufig letzte Budgetrede von Finanzminister Magnus Brunner im Palais Epstein gesichtet. Die anwesenden anderen Spitzenfunktionäre, vom geselligen türkisen August Wöginger bis zum roten Kärntner Kumpeltyp Philip Kucher, schüttelten quer durch die Fraktionen Hände.........

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