Außenminister Alexander Schallenberg war Mitte Oktober in der fashionablen Büroetage im zweiten Stock der ehemaligen ÖAMTC-Zentrale einen Abend lang zu Gast.

Ein paar Wochen danach machte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler dem Hauptquartier der türkisen Ex-Führungsspitze rund um Sebastian Kurz ihre Aufwartung.

Anfang Dezember fand sich Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher einen Abend lang im Kreis von rund zwei Dutzend Gästen im zweiten Stock des Ringstraßen-Prachtbaus in Sichtweite des Wiener Stadtparks ein.

Die drei jüngsten abendlichen Visiten von ÖVP-Minister:innen galten zuvorderst drei Ex-Kolleg:innen: Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger laden seit Kurzem regelmäßig zu abendlichen Talk-Runden unter dem Motto „Nach Dienstschluss“ an ihren aktuellen Arbeitsplatz ein. Nach dem unfreiwilligen Abgang von Kurz als Kanzler im Herbst 2021 haben sich hier nach und nach immer mehr seiner engsten Weggefährten einquartiert.

In der ÖVP sorgen hinter den Kulissen die gehäuften Wiedersehenstreffen der aktuellen und ehemaligen türkisen Spitzenakteure für viel Neugier und angeregte Spekulationen.

Die Abende im Hause Kurz & Co. starten mit einem knapp gehaltenen Referat des prominenten Gastes, anschließend wird diskutiert, schlussendlich bei dem einen oder anderen Glas Wein open end genetzwerkt.

Für alles, was dort coram publico gesagt wird, gelten die Chatham House Rules: Die Teilnehmer dürfen die erhaltenen Informationen verwenden, aber niemanden namentlich zitieren.

Noch mehr geheimnisumwittert abseits dieser Politrunden sind sogenannte Investorentreffen, zu denen Kurz & Co. regelmäßig an den Schubertring laden. Sie stehen offiziell unter dem Motto: Was können die Einlader tun, um den Wirtschaftsstandort Österreich für Wirtschaftstreibende attraktiver zu machen?

„Mich erinnert das alles ein wenig an die Zeit, als Kurz und sein Team die Machtübernahme in der ÖVP penibel vorbereiteten“, unkt ein ehemals eingefleischter Türkiser. Damit die Politikabende mit Schallenberg, Edtstadler & Co. nicht postwendend in den Ruf geheimer Verschwörerrunden für ein türkises „Projekt Ballhausplatz 2.0“ kommen, finden sich zusätzlich zu ehemaligen Kurz-Mitarbeitern, Kabinetts- und Parteileuten jeweils auch ein paar wenige Teilnehmer mit anderem politischem Hintergrund auf der handverlesenen Gästeliste. So waren zuletzt etwa Wolfgang Hesoun, Ex-Siemens-Chef und nunmehr Wirtschaftskammer-Vizepräsident, sowie Wirtschaftsanwalt Gabriel Lansky geladen.

Für viele im ÖVP-Regierungsviertel ist Dabeisein im „Reserve-Kanzleramt“, wie die Büroetage in der Ex-Pannendienst-Zentrale von Kurz-Fans gerufen wird, aber nach wie vor alles. Nur Gernot Blümel nehmen Türkis-Insider ab, dass er nicht mehr zurück in die Politik will.

Sebastian Kurz hat für jedermann spürbar seine Lust an Macht und Bühne noch lange nicht verloren. Auch wenn er das weiterhin routiniert dementiert – Kurz-Kenner versichern, er würde lieber heute als morgen wieder am Ballhausplatz einziehen.

Das wird auch in der ÖVP-Zentrale aufmerksam registriert. Dort wird freilich so kalkuliert: Die laufenden und wohl noch anstehenden Justiz-Causae sowie die neuen offenen Flanken im Fall Benko stehen Comeback-Gelüsten als Hürden groß im Weg. Alle offiziellen Strategiepläne in der ÖVP-Zentrale sind daher darauf angelegt: Die Türkisen werden mit Karl Nehammer in die Wahl 2024 ziehen.

Zwei Millionen Wähler sind laut ÖVP-Daten noch unentschlossen. Daran klammert sich die Kanzler-Partei.

Das neue Jahr steht vom Start weg im Zeichen von Bürger-Voten. Beginnend im März in Salzburg: Erstmals hat in der traditionsbewussten bürgerlichen Landesmetropole mit Kay-Michael Dankl ein Spitzenmann der KPÖ Plus ernsthaft Chancen auf das Bürgermeisteramt. Am 9. Juni steht die Kür der Abgeordneten zum Europäischen Parlament an. Im Herbst sind Landtagswahlen in Vorarlberg und in der Steiermark fällig. Spätestens Ende September steht auch die ­Nationalratswahl an.

Das Kabinett Karl Nehammer/­Werner Kogler dürfte trotz vieler Unkenrufe im Laufe der letzten Jahre seit Langem wieder eine ganze fünfjährige Legislatur­periode hinter sich bringen. Eine Neuauflage von Türkis-Grün ist schon mangels Wählermasse abseits sichtlicher Zerrüttung ausgeschlossen.

KARL NEHAMMER. Muss der amtierende Kanzler im Fall einer dramatischen ÖVP-Niederlage bei der EU-Wahl im Juni abdanken? In Teilen der ÖVP werden dazu bereits Pläne geschmiedet.

Alle drei größeren Parteien des Landes erheben schon ein Jahr davor lautstark Anspruch auf das Kanzleramt. Wenn das Umfrage-Hoch der letzten Monate für die Blauen so stabil bleibt, dann ist der FPÖ Platz eins aber nicht zu nehmen.

Die nach Platzen des Ibiza-Skandals 2019 Richtung 15 Prozent zertrümmerten Blauen haben sich in Umfragen mit rund 30 Prozent wieder verdoppelt. Der Respektabstand zur Nummer zwei liegt bei schwer einholbaren sieben Prozent und mehr. Zuletzt kamen hier öfter die Roten als die Schwarz-Türkisen zu liegen. Die Parole „Nein zur Kickl-FPÖ“ zeigt beim Wähler bislang keinerlei Wirkung.

Die FPÖ proklamiert darob wie zum Trotz: Kickl & Co. wollen „den Fehler im Jahr 2000 nicht wiederholen“ und jemanden für den Koalitionspartner Verträglicheren in die Regierung schicken. Damals führte Wolfgang Schüssel mit Susanne Riess-Passer anstelle des europaweit als unberührbar geltenden FPÖ-Chefs Jörg Haider das Land.

„Wenn sich Van der Bellen weigert, ­Herbert Kickl zum Kanzler zu machen, dann warten wir halt aufs nächste Mal. Dann sollen die anderen Parteien zu dritt oder zu viert etwas gegen uns machen“, sagt ein Kickl-Vertrauter: „Wir werden in den nächsten Länderwahlrunden noch mehr zulegen. Dem Druck, der sich dort in den Verliererparteien aufbaut, werden diese dann bald nachgeben müssen, auch im Bund mit uns zu kooperieren.“

Herbert Kickl ist keiner, der sein Herz auf der Zunge trägt. Der 55-jährige Berufspolitiker umgibt sich nur mit ­einem kleinen, handverlesenen Kreis von Vertrauten. Er sucht auch nicht wie ­andere Spitzenpolitiker offensiv den Kontakt zu Medien oder meinungsbildenden Journalisten. Der FPÖ-Chef setzt weiterhin bevorzugt auf jene Kanäle, die er selbst aufgebaut hat: FPÖ TV und rechte Onlinedienste.

Der Crash von Türkis-Blau 2019 im Gefolge des Ibiza-Skandal-Videos hat bei Kickl allerdings ein tiefes Trauma hinterlassen. Der FPÖ-Chef lässt derzeit alle Nationalrats- und Ministerkandidaten auf ein zweifelhaftes Vorleben und mögliche Leichen im Keller screenen.

Einen zusätzlichen Anstoß gab diesen Sommer der Start von Schwarz-Blau in Salzburg. Der Triumph, wenige Monate nach Niederösterreich nun im nächsten ÖVP-dominierten Bundesland den proklamierten Bann gegen die Kickl-FPÖ zu brechen, drohte von einem Skandal überschattet zu werden. Bei einem der nominierten blauen Landesräte wurde eine peinliche Affäre um privat verzocktes Geld in der Höhe von 600.000 Euro ruchbar. „So etwas wie jüngst in Salzburg darf uns nicht mehr passieren“, sagt ein Spitzen-Blauer.

Den eigentlichen Wahlkampf für den selbst ernannten „Volkskanzler“ wollen die Blauen diesmal als Kulturkampf anlegen: Hie die Unterdrücker der Freiheit bei Rot, Schwarz, Grün und Pink, dort die blauen Vorkämpfer für die Freiheit. Diese Propagandaschlacht soll von Rache für die Coronapolitik über Nein zum Gendern bis hin zu einem zuwanderungsfreien Leben in der Festung Europa gehen.

Eine der Schlüsselfragen für die Optionen nach der Wahl wird sein, wer hinter Herbert Kickl als Zweiter zu liegen kommt. Ist das, wie aktuelle Umfragen insinuieren, Andreas Babler, dann macht das Blau-Schwarz wie zuletzt in Niederösterreich und Salzburg noch wahrscheinlicher. In der ÖVP gilt bei vielen Länderchefs die Parole: Wenn das Kanzleramt in andere Hände kommt, dann bringt es politisch mehr, unter Blau als unter Rot die unbedankte Rolle des Zweiten zu übernehmen.

Schwarze Optimisten hoffen zudem hartnäckig, dass Kickl zur Salzburger Parteichefin Svazek à la Haider sagt: „Marlene, geh du voran.“ In der FPÖ dominiert freilich weiter die Doktrin: Kickl wird den Kanzleranspruch für sich nicht aufgeben. In Stein gemeißelt, so ein Kickl-Vertrauter, sei zudem: „Wir wollen auch das Finanzministerium. Nur von dort aus kann man Politik machen. Uns ist klar, dass die nächsten Budgets eng werden. Aber wir werden zeigen, wie wir bei den Richtigen sparen.“

An das Halten der Nummer eins für Karl Nehammer glauben nur noch die wehrlosen Stehsätze der ÖVP-Parteipropaganda. Aus Sicht realistisch denkender ÖVP-Strategen tun sich als Nummer zwei nach der Wahl zumindest mehrere Optionen auf. Sie setzen daher alles ­daran, Andreas Babler den zweiten Platz streitig zu machen.

Während einige Länderfürsten Blau-Schwarz den Vorzug geben, macht sich vor allem in ÖVP-Wirtschaftskreisen eine zweite Denkschule breit. Die ÖVP könnte in einer gemeinsamen Regierung mit den Roten weiterhin den Kanzler sowie den Finanz- oder Wirtschaftsminister stellen. Die ÖVP-Anhänger der Minimundus-­Variante des Comebacks der „Großen Koalition“ würden auch in Kauf nehmen, dass es wegen fehlender gemeinsamer Mehrheit einen Dritten im Regierungsbund braucht. Bevorzugt in Frage kämen hier die Neos. Entscheidend für alle diese Planspiele, so ein Nehammer-Berater, sei aber die politische Großwetterlage in den letzten Wochen vor dem Wahlsonntag.

„Derzeit gibt es eine totale Proteststimmung wegen des Ukraine-Kriegs, der Teuerungswelle und der Klimadebatte. Regierungspolitiker sind europaweit unten durch“, sagt der ÖVP-Stratege. „Ob es auch eine Wechselstimmung gibt, entscheidet sich drei Monate vor der Wahl.“

ANDREAS BABLER. Der SPÖ-Chef schließt neuerdings Blau-Rot nicht mehr kategorisch aus. Das alarmiert die Wiener SPÖ.

Derzeit sind laut ÖVP-Daten rund zwei Millionen der Wähler als „unentschlossen“ am Markt. Daher, so der ÖVP-Mann, „ist es besser, alle vorhandenen Umfragen für die Nationalratswahl zu kübeln“. Die ÖVP setzt darauf, dass sich die massive Proteststimmung bei der EU-Wahl entlädt. Die realen Auswirkungen des sicheren Verlusts der Nummer eins am 9. Juni halten die Schwarz-Türkisen für nebensächlich.

„Entscheidend ist, welche Grundstimmung wir drei Monate danach haben, wenn es darum geht, wer Kanzler werden soll. EU-Wahlen und Bundespräsidenten-Wahlen sind Denkzettelwahlen. Nationalratswahlen sind Change- oder Stay- Wahlen“, resümiert ein Nehammer-Berater. „In Krisenzeiten setzen die Österreicher erfahrungsgemäß auf Stay und nicht auf Change.“

Daran orientiert sich auch die Stoßrichtung des ÖVP-Kanzlerwahlkampfs. Auf drei Propagandasätze zugespitzt will die ÖVP im kommenden Kanzler-Dreikampf so reüssieren:

Mit Herbert Kickl kauft man die Katze im Sack und geht das Risiko ein, dass er ähnlich wie als Innenminister bei der BVT-Razzia seine Macht missbraucht.

Mit Andreas Babler bekommt ein totales Greenhorn die Zügel der Republik in die Hand, der noch dazu weit links blinkt.

Bei Karl Nehammer weiß man nach dann bald drei Kanzlerjahren, mit wem man es zu tun hat und was man in den kommenden fünf Jahren ­kriegen wird.

Andreas Babler ist nach einem turbulenten Jahr des Kampfs um Platz eins in der SPÖ in Sachen Strategie für den Kanzler-Wahlkampf noch in der Findungsphase. Die roten Flügelkämpfe haben zumindest Pause.

Das vom Wiener Rathaus angeführte Lager setzte erst mit allen Mitteln auf Pamela Rendi-Wagner, allein um Hans Peter Doskozil zu verhindern. Jetzt versuchen sich Ludwig & Co. wie alle anderen auch mit dem noch nebulösen Kurs des Traiskirchner Bürgermeisters anzufreunden.

Der massive Gegenwind aus der pannonischen Tiefebene ist selbst dort weitgehend im Winterschlaf. „Die Vorsitzfrage ist geklärt, die Stimmung gegenüber Babler in der Partei an sich nicht schlecht“, sagt ein SPÖ-Spitzenmann aus den Bundesländern. „Die Funktionäre sagen aber, jetzt muss Babler auch bald etwas liefern. Da ist die Erwartungshaltung noch gedämpft. Die Umfragen sind alles andere als rosig, und aus der Bundespartei kommt nach wie vor sehr wenig an politischen Impulsen.“

Der Ex-Juso-Funktionär ließ in den Wochen vor dem letzten Parteitag Mitte November abseits des SPÖ-internen Werbefeldzugs in eigener Sache wenig von sich hören. Seine jüngste Ankündigung, mit Hilfe von 1.400 Experten als „Reformkanzler“ auf Kreiskys Spuren wandeln zu wollen, stieß auf höfliche Kenntnisnahme.

Im Genossenkreis wird heftig, aber vorläufig nur hinter den Kulissen ein anderer Schachzug diskutiert, mit dem sich Kreisky einst die Rückkehr der SPÖ an die Macht für mehr als ein Jahrzehnt sicherte.

„Auch Leute, die für den Andi waren, sagen, dass er sich über kurz oder lang mit den Blauen arrangieren muss“, sagt ein langjähriger Parteikenner. „Bevor Blau-Schwarz von der AK abwärts alles zerschlägt, verhindern wir das Schlimmste und machen wir etwas mit den Blauen.“

Vor allem bei den Bürgermeistern, so ein anderer SPÖ-Spitzenmann, mache sich diese Stimmung immer mehr breit. Der mächtigste rote Bürgermeister freilich ließ jüngst via X, vormals Twitter, kompromisslos wie eh und je wissen: „Für uns ist die FPÖ eine menschenverachtende, rechtspopulistische, demokratie- und wissenschaftsfeindliche Partei. @BgmLudwig schließt einmal mehr eine Koalition mit der FPÖ sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene kategorisch aus.“

Michael Ludwig hatte in der dritten Adventwoche alarmiert, dass das innerparteiliche Raunen für Rot-Blau auch beim neuen SPÖ-Chef bereits Wirkung zeigt. In einem Puls-4-Interview mit Corinna Milborn wollte Andreas Babler ­zuletzt eine Koalition mit den Blauen vorsorglich nicht mehr ausschließen.

DER EX-KANZLER ALS RESERVEKANZLER. Sebastian Kurz hält sich trotz seiner Kalamitäten vor Gericht und mit der Benko-Pleite bereit.

In der Steiermark hält sich SPÖ-Chef Anton Lang die Option Rot-Blau für die Zeit nach der Wahl im Herbst 2024 schon länger demonstrativ offen: „Ich schließe keine Partei als ­Koalitionspartner aus.“

Dass das Liebäugeln mit Rot-Blau schon 2024 in einer Koalitionsehe münden könnte, schließen die meisten Roten aber wegen der fundamentalen Opposition der Wiener SPÖ noch aus.

Gemeinsam ist freilich so gut wie allen roten Granden der tief sitzende Wunsch, die ÖVP nach bald vier Jahrzehnten ununterbrochenen Regierens auf die Oppositionsbank zu verweisen. Für diese Strafexpedition gibt es derzeit aber jenseits von Rot-Blau keine Mehrheit. Die Träume von einer Ampelkoalition Rot-Grün-Pink sind mit Blick auf die Meinungsumfragen wie auch auf die politische Performance in Deutschland längst perdu.

All diese Szenarien und Personalspekulationen könnten am Wahl­abend des 9. Juni aber über Nacht Makulatur werden. Vor allem im Lager der ÖVP mehren sich die Stimmen: Wenn die einstige Nummer eins bereits bei den EU-Wahlen nach einem Total­absturz auf den schmählichen dritten Platz ­verwiesen wird, könnten die Panikattacken vor dem totalen Machtverlust den glücklosen Karl ­Nehammer als Kanzlerkandidaten endgültig in Frage stellen.

Der VP-Wirtschaftsbund drängt schon länger darauf, den skandalfreien, noch weitgehend unverbrauchten Finanzminister Magnus Brunner in letzter Minute als Spitzenkandidaten zu installieren.

In diesen Fall würden wohl auch in der ehemaligen Pannendienst-Zentrale am Wiener Schubertring die türkisen bunten Abende nicht mehr unter dem Motto „Nach Dienstschluss“ stehen. Kurz & Co. würden vielmehr im kleinsten Kreis die neuesten Blitzumfragen bebrüten und die alles entscheidende Frage stellen: Lässt es die Ungunst der Stunde für die ÖVP noch einmal zu, dass sich Kurz & Co. – wie 2017 – als einzig mögliche ­Erlöser aus der Misere der Volkspartei inszenieren?

Artikel aus trend.PREMIUM vom 22. Dezember 2023

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QOSHE - Projekt Ballhausplatz 2.0 [Politik Backstage] - Josef Votzi
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Projekt Ballhausplatz 2.0 [Politik Backstage]

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22.12.2023

Außenminister Alexander Schallenberg war Mitte Oktober in der fashionablen Büroetage im zweiten Stock der ehemaligen ÖAMTC-Zentrale einen Abend lang zu Gast.

Ein paar Wochen danach machte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler dem Hauptquartier der türkisen Ex-Führungsspitze rund um Sebastian Kurz ihre Aufwartung.

Anfang Dezember fand sich Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher einen Abend lang im Kreis von rund zwei Dutzend Gästen im zweiten Stock des Ringstraßen-Prachtbaus in Sichtweite des Wiener Stadtparks ein.

Die drei jüngsten abendlichen Visiten von ÖVP-Minister:innen galten zuvorderst drei Ex-Kolleg:innen: Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger laden seit Kurzem regelmäßig zu abendlichen Talk-Runden unter dem Motto „Nach Dienstschluss“ an ihren aktuellen Arbeitsplatz ein. Nach dem unfreiwilligen Abgang von Kurz als Kanzler im Herbst 2021 haben sich hier nach und nach immer mehr seiner engsten Weggefährten einquartiert.

In der ÖVP sorgen hinter den Kulissen die gehäuften Wiedersehenstreffen der aktuellen und ehemaligen türkisen Spitzenakteure für viel Neugier und angeregte Spekulationen.

Die Abende im Hause Kurz & Co. starten mit einem knapp gehaltenen Referat des prominenten Gastes, anschließend wird diskutiert, schlussendlich bei dem einen oder anderen Glas Wein open end genetzwerkt.

Für alles, was dort coram publico gesagt wird, gelten die Chatham House Rules: Die Teilnehmer dürfen die erhaltenen Informationen verwenden, aber niemanden namentlich zitieren.

Noch mehr geheimnisumwittert abseits dieser Politrunden sind sogenannte Investorentreffen, zu denen Kurz & Co. regelmäßig an den Schubertring laden. Sie stehen offiziell unter dem Motto: Was können die Einlader tun, um den Wirtschaftsstandort Österreich für Wirtschaftstreibende attraktiver zu machen?

„Mich erinnert das alles ein wenig an die Zeit, als Kurz und sein Team die Machtübernahme in der ÖVP penibel vorbereiteten“, unkt ein ehemals eingefleischter Türkiser. Damit die Politikabende mit Schallenberg, Edtstadler & Co. nicht postwendend in den Ruf geheimer Verschwörerrunden für ein türkises „Projekt Ballhausplatz 2.0“ kommen, finden sich zusätzlich zu ehemaligen Kurz-Mitarbeitern, Kabinetts- und Parteileuten jeweils auch ein paar wenige Teilnehmer mit anderem politischem Hintergrund auf der handverlesenen Gästeliste. So waren zuletzt etwa Wolfgang Hesoun, Ex-Siemens-Chef und nunmehr Wirtschaftskammer-Vizepräsident, sowie Wirtschaftsanwalt Gabriel Lansky geladen.

Für viele im ÖVP-Regierungsviertel ist Dabeisein im „Reserve-Kanzleramt“, wie die Büroetage in der Ex-Pannendienst-Zentrale von Kurz-Fans gerufen wird, aber nach wie vor alles. Nur Gernot Blümel nehmen Türkis-Insider ab, dass er nicht mehr zurück in die Politik will.

Sebastian Kurz hat für jedermann spürbar seine Lust an Macht und Bühne noch lange nicht verloren. Auch wenn er das weiterhin routiniert dementiert – Kurz-Kenner versichern, er würde lieber heute als morgen wieder am Ballhausplatz einziehen.

Das wird auch in der ÖVP-Zentrale aufmerksam registriert. Dort wird freilich so kalkuliert: Die laufenden und wohl noch anstehenden Justiz-Causae sowie die neuen offenen Flanken im Fall Benko stehen Comeback-Gelüsten als Hürden groß im Weg. Alle offiziellen Strategiepläne in der ÖVP-Zentrale sind daher darauf angelegt: Die Türkisen werden mit Karl Nehammer in die Wahl 2024 ziehen.

Zwei Millionen Wähler sind laut ÖVP-Daten noch unentschlossen. Daran klammert sich die Kanzler-Partei.

Das neue Jahr steht vom Start weg im Zeichen von Bürger-Voten. Beginnend im März in Salzburg: Erstmals hat in der traditionsbewussten bürgerlichen Landesmetropole mit Kay-Michael Dankl ein Spitzenmann der KPÖ Plus ernsthaft Chancen auf das Bürgermeisteramt. Am 9. Juni steht die Kür der Abgeordneten zum Europäischen Parlament an. Im Herbst sind Landtagswahlen in Vorarlberg und in der Steiermark fällig.........

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