Am 23. Februar 2024 wurden in Wien fünf Frauen von Männern ermordet. Konkreter: Vier Frauen und ein 13-jähriges Mädchen wurden von Männern getötet.

Am 23. Februar 2024 gab es innerhalb von 24 Stunden fünf Femizide allein in einer im internationalen Vergleich verhältnismäßig kleinen Stadt wie Wien. Fünf Frauenmorde innerhalb von 24 Stunden. Es ist eine Tatsache, die man wiederholen muss, um den Satz selbst zu glauben, so unglaublich ist er. Mit fünf Frauenmorden verzeichnete Wien am 23. Februar 2024 im Übrigen binnen 24 Stunden so viele Femizide wie im gesamten Jahr 2023. Österreichweit waren es 28.

Und nun stellt euch vor, von den Angehörigen einer anderen Gruppe würden fünf an nur einem Tag ermordet werden. Stellt euch vor, welchen Aufschrei es gäbe. Stellt euch die schockierten Medienberichte vor, die eilig einberufenen Pressekonferenzen der Regierung, die Massendemos, die Krisensitzungen, die Task Force. Stellt euch vor, was in den sozialen Medien los wäre. Stellt euch das Gefühl von Urgenz und Notfall vor, mit dem die Morde behandelt würden. Die Interviews im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Angehörigen und Interessenvertreter:innen der betroffenen Gruppe. Stellt euch die breite öffentliche Thematisierung vor, die eine solche Häufung an Tötungsdelikten nach sich ziehen würde.

Wenn es eine andere Gruppe träfe als Frauen.

Es trifft aber eben: nur Frauen.

Dass Frauen ermordet werden, ist schließlich völlig normal. Neben den 28 ermordeten Frauen im Jahr 2023 auch noch 51 Mordversuche. In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von einem Mann getötet. Ebenso für Deutschland wurde 2021 die Frequenz an männlicher Gewalt gegen Frauen im Kontext von Intimbeziehungen auf 13 Fälle pro Stunde geschätzt. Weltweit wurden 2021 81.100 Frauen und Mädchen getötet. Das bedeutet, dass alle zwölf Minuten eine Frau von einem Mann getötet wird. Während ihr diesen Text lest, war es also statistisch betrachtet mindestens eine. Es ist völlig normal, dass es lebensgefährlich ist, eine Frau zu sein. Es ist völlig normal, dass Männer uns töten. Es schockiert uns nicht mehr, wir haben uns daran gewöhnt, dass unsere Leben nichts wert sind.

Es wird keine rasch einberufene Task Force geben, keinen Krisenstab, keine Pressekonferenzen der Bundesregierung. In den öffentlich-rechtlichen Medien werden nicht Feministinnen tagein-tagaus predigen, was in Sachen Geschlechtergerechtigkeit in diesem Land noch zu tun ist, damit die Gewalt endlich aufhört, was zu tun ist, um zukünftige Femizide zu verhindern. Männliche Gewalt wird nicht breit diskutiert und als systemisches Problem thematisiert werden. Die Frauenministerin wird nichts dazu sagen. Es wird keine Massendemonstrationen am Ring geben und keine Gesetzesänderungen.

Weil wir uns daran gewöhnt haben, dass männliche Gewalt normal ist. Weil wir uns daran gewöhnt haben, männliche Gewalt gegen Frauen als „das ist nun mal so“ zu akzeptieren. Weil Frauen egal sind. Weil Frauenleben egal sind. Weil unsere körperliche und psychische Sicherheit nicht nur nicht prioritär ist, sondern gänzlich irrelevant.

Und jetzt stellt euch vor, was es bedeutet, in so einer Welt als Mädchen aufzuwachsen. Was es bedeutet, in so einer Welt eine Frau zu werden und zu sein. Was es bedeutet, zu wissen, dass das eigene Leben als entbehrlich betrachtet wird, weil man eine Frau ist. Was es bedeutet für das eigene Selbstwertgefühl und für die Selbstverständlichkeit und Sicherheit, mit der man sich in der Welt bewegt, selbst wenn man nicht unmittelbar und direkt von männlicher Gewalt betroffen ist, sondern nur weiß und in dem Wissen sozialisiert wird, dass man zu jenen gehört, die zum Opfer gemacht werden können.

Am 23. Februar 2024 wurden in Wien fünf Frauen von Männern getötet. Zuerst wurden in den Morgenstunden eine 51-Jährige und ihre 13-jährige Tochter in einer Wohnung in der Erdbergstraße im dritten Wiener Gemeindebezirk „tot aufgefunden“, wie es heißt. „Tot aufgefunden“ ist eine Formulierung, die oft zum Einsatz kommt, um die mörderische männliche Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, in einer Passiv-Konstruktion zu verschleiern. Und: „Als Todesursache gilt in diesem Fall stumpfe Gewalt, die beiden Opfer wurden womöglich erstickt oder erdrosselt“, hieß es. Noch so eine Passiv-Konstruktion. Nach demjenigen, der für das Ersticken oder Erdrosseln zuständig war, wurde zu diesem Zeitpunkt noch gesucht.

Die drei anderen Frauen waren asiatische Prostituierte in einem Bordell in der Engerthstraße im 20. Wiener Gemeindebezirk. Die Morde an ihnen waren besonders grausam: „Nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa sei gegen die Opfer mit massiver Gewalt vorgegangen worden, sie wiesen heftige Schnitt- und Stichverletzungen auf.“ Dringend tatverdächtig ist ein 27-jähriger Mann, als Motiv wird vermutet, dass die drei Frauen ihn als Kunden abgewiesen haben. Dass drei der fünf Femizid-Opfer des 23. Februar 2024 Frauen in der Prostitution waren, ist relevant, denn prostituierte Frauen tragen ein 18-fach erhöhtes Risiko, ermordet zu werden. Prostitution hat eine höhere Mordrate als jeder andere Beruf. Das ist kein Zufall. Prostitution ist der äußerste Ausdruck männlicher Anspruchshaltung auf die Körper von Frauen.

Eine Gesellschaft, die Prostitution normalisiert, bestätigt auf einer systemischen Ebene, dass Frauen Männern zur Verfügung zu stehen haben, wann letztere dies wollen. Prostitution bedeutet nicht nur die kapitalistische Ausbeutung von jenen konkreten Frauen, meist migrantischen und rassifizierten, die in der Prostitution arbeiten, sondern macht Gewalt gegen Frauen, gegen alle Frauen, zur Normalität, weil sie männlichen Zugriff auf weibliche Körper zur Normalität macht und Frauen zur Ware.

Wer es ernst meint mit der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, und das hier geht vor allem an „linke“ politische Parteien und Gruppierungen, muss die Bekämpfung des sogenannten „Sexkauf“ ganz oben auf die Prioritätenliste setzen. Alles andere wäre Augenauswischerei.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.

QOSHE - Nur Frauen - Beatrice Frasl
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Nur Frauen

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08.03.2024

Am 23. Februar 2024 wurden in Wien fünf Frauen von Männern ermordet. Konkreter: Vier Frauen und ein 13-jähriges Mädchen wurden von Männern getötet.

Am 23. Februar 2024 gab es innerhalb von 24 Stunden fünf Femizide allein in einer im internationalen Vergleich verhältnismäßig kleinen Stadt wie Wien. Fünf Frauenmorde innerhalb von 24 Stunden. Es ist eine Tatsache, die man wiederholen muss, um den Satz selbst zu glauben, so unglaublich ist er. Mit fünf Frauenmorden verzeichnete Wien am 23. Februar 2024 im Übrigen binnen 24 Stunden so viele Femizide wie im gesamten Jahr 2023. Österreichweit waren es 28.

Und nun stellt euch vor, von den Angehörigen einer anderen Gruppe würden fünf an nur einem Tag ermordet werden. Stellt euch vor, welchen Aufschrei es gäbe. Stellt euch die schockierten Medienberichte vor, die eilig einberufenen Pressekonferenzen der Regierung, die Massendemos, die Krisensitzungen, die Task Force. Stellt euch vor, was in den sozialen Medien los wäre. Stellt euch das Gefühl von Urgenz und Notfall vor, mit dem die Morde behandelt würden. Die Interviews im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Angehörigen und Interessenvertreter:innen der betroffenen Gruppe. Stellt euch die breite öffentliche Thematisierung vor, die eine solche Häufung an Tötungsdelikten nach sich ziehen würde.

Wenn es eine andere Gruppe träfe als Frauen.

Es trifft aber eben: nur Frauen.

Dass Frauen ermordet werden, ist schließlich völlig normal. Neben den 28 ermordeten Frauen im Jahr 2023 auch noch 51 Mordversuche.........

© Wiener Zeitung


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