Im dichten Wiener Morgenverkehr reihen sich Autos aneinander. Unter ihnen ein weißer Toyota. „Bolt“ steht in großen Buchstaben auf der Fahrertür. Am Armaturenbrett des Taxis vibriert leise ein Smartphone. Eine Nachricht leuchtet auf dem Bildschirm auf: „Achtung, Taxischeinkontrolle beim AKH“. Der Fahrer wechselt die Route. Herzschlag und Adrenalin steigen. Es ist nicht das erste Mal in dieser Woche.

Der WZ liegen Auszüge des WhatsApp-Gruppenchats „Polizei-Radar“ mit fast 400 Teilnehmern vor. Es ist einer von vielen, in denen sich Taxifahrer vor Polizeikontrollen warnen. Viele von ihnen haben keine Taxilenkerberechtigung, dafür einen gefälschten Taxischein. Die meisten beziehen Arbeitslosengeld und gehen offiziell einer geringfügigen Beschäftigung als Taxifahrer nach. Wie viel sie wirklich verdienen, melden sie den Behörden nicht.

„Die sind vernetzt wie richtige Mafiosi. Sie arbeiten 12 bis 15 Stunden pro Tag und mindestens 28 Tage im Monat“, sagt Goran (Name von der Redaktion geändert) gegenüber der WZ. Er ist seit 20 Jahren Taxifahrer in Wien. „Ich kenne so viele. Diese Leute schädigen unseren Ruf und haben unseren Job kaputt gemacht. Sie verdienen viel mehr als wir, die korrekt arbeiten“, sagt auch Taxifahrer Ahmed. Auch er möchte seinen richtigen Namen hier nicht lesen, aus Angst vor beruflichen Konsequenzen.

Goran und Ahmed sind wütend. Sie wissen: Die Fahrdienstvermittler Uber und Bolt tragen zum Problem bei. „Bei Bolt fahren 60 Prozent der Fahrer ohne Taxischein“, sagt Ahmed.

Seit der Zusammenlegung des Taxi- und Mietwagengewerbes im Jahr 2021 müssen alle Taxifahrer:innen im Besitz eines Taxischeins sein – ganz egal, ob sie ihre Aufträge über den Taxistandplatz, eine Funkzentrale oder Vermittlungsapps wie Uber und Bolt abwickeln. Viele Fahrer, die davor ihre Dienste ohne Taxischein über die Plattformen anbieten durften, wurden gekündigt.

Laut Gesetz besteht zwischen den Fahrdienstmöglichkeiten kein Unterschied mehr. Die Realität ist jedoch eine andere. Wie ist das möglich?

„Bei Diensten wie Uber und Bolt registriert man sich als Fahrer über die Handy-App. Mit ein bisschen Photoshop-Kenntnissen lässt sich ein Taxischein leicht fälschen“, sagt Thomas Gleiszner vom „Stadttaxi“ im Gespräch mit der WZ. Er ist seit 2015 Taxiunternehmer und kennt die Branche wie seine Westentasche. Für Uber und Bolt ist er aktiv in der Corona-Zeit gefahren, mittlerweile macht er sein Geschäft fast ausschließlich mit Stammkunden. Angemeldet ist er bei den beiden Fahrdienstvermittlern aber immer noch. Er kritisiert, dass die Plattformen ihre Fahrer:innen nach der Erstanmeldung nie wieder überprüfen: „Wenn ich keinen Taxischein mehr hätte oder die Konzession für mein Auto nicht mehr gültig wäre, könnte ich die Accounts trotzdem weiterhin nutzen. Sie werden einmal freigeschaltet und nie wieder kontrolliert.“

Bei den Taxi-Funkdiensten 40100 und 31300 ist es erforderlich, dass Fahrer:innen alle fünf Jahre ihre Funkkarte verlängern. Dafür müssen sie persönlich im Büro erscheinen und werden auch auf Taxi- und Führerschein überprüft. Gleiszner vermisst derartige Kontrollen bei den beiden Taxi-Apps: „Ich würde das sowieso einmal pro Jahr vorschlagen. Aber Uber und Bolt wollen nur möglichst viele Autos auf der Straße haben, alles andere ist ihnen egal.“

Viele der Taxiunternehmen, die mit Uber und Bolt arbeiten, kaufen günstigere Fahrzeuge „in Massen“ und stellen Fahrer:innen anschließend unter fragwürdigen Umständen an, so Gleiszner. „Bei fehlenden Taxischeinen nutzen diejenigen Unternehmer, die bis zu 60 Autos besitzen, eine bestimmte Methode: Sie geben die Login-Daten für die Plattformen, die von bestehenden Mitarbeitern genutzt werden, einfach an die nächsten Mitarbeiter weiter.“

Die Fachgruppe Beförderungsgewerbe mit Pkw der Wirtschaftskammer Wien kennt das Problem. „Wir haben davon gehört und verurteilen das Lenken von Taxis ohne gültigen Taxilenkerausweis aufs Schärfste“, sagt Taxi-Obmann Leopold Kautzner gegenüber der WZ. „Wir arbeiten mit der Polizei und unserer Disziplinarkommission zusammen, um die Vergehen zu ahnden.“ Alle Anbieter seien angehalten, die Taxilenkerausweise der für sie tätigen Fahrer:innen zu kontrollieren.

Für Kund:innen kann es durchaus gefährlich sein, bei einem nicht-konzessionierten Taxifahrer mitzufahren, da dieser nicht die erforderlichen Prüfungen bezüglich Fahrsicherheit, Orts- und Sprachkenntnis durchlaufen hat. Außerdem können Haftungsfragen entstehen – etwa bei Unfällen. In Wien sind ungefähr 7.000 Taxis unterwegs. 2023 wurden 495 Taxi- und Schulbusausweise entzogen, während 1.544 ausgestellt wurden, heißt es vom Verkehrsamt. Eine Gesamtzahl zu ausgestellten Taxilenkerausweisen gibt es nicht. Weder Uber noch Bolt verraten, wie viele Fahrer:innen für sie in Österreich tätig sind.

Wird man als Taxilenker ohne Taxischein erwischt, erfolgen Anzeigen aufgrund von Verstößen gegen Transport- und Gewerbevorschriften. Es droht eine Geldstrafe von bis zu 726 Euro. Für den Unternehmer oder die Unternehmerin, der/die den Fahrer unrechtmäßig angestellt hat, sind es bis zu 7.267 Euro. Laut der Rechtsanwältin Eva Erlacher haben aber auch Fahrdienstvermittler gewisse Verkehrssicherungspflichten: „Ein Plattformbetreiber kann sich nicht komplett aus der Verantwortung ziehen und sich darauf berufen, bloß Vermittler zu sein und mit den Angeboten oder Anbietern nichts zu tun zu haben.“

Und was sagen die Plattformbetreiber?

Uber hat bei der Kontrolle der Taxischeine zumindest beim Onboarding-Prozess nachgeschärft: „Jeder neue Fahrer in Wien muss, nachdem die Dokumente vorweg online kontrolliert wurden, auch im Uber Support Center seinen Taxilenkerausweis vorzeigen. Diese Regelung ist bereits im letzten Jahr in Kraft getreten“, betont Uber-Österreich-Chef Martin Essl gegenüber der WZ. Auch der Führerschein wird kontrolliert. Gesetzeskonformes Handeln habe für Uber „oberste Priorität” und Fahrer mit gefälschtem Taxischein würden sofort für die Plattform gesperrt werden. Man nehme die Überprüfung „äußerst ernst“.

Bei Bolt fällt die Antwort deutlich allgemeiner aus. Man kooperiere nur mit konzessionierten Taxibetreibern, die ihre Fahrer gemäß den örtlichen Vorschriften und Bestimmungen auf der Plattform anmelden. „Wir folgen einem strengen Onboarding-Prozess, der internationalen Best Practices entspricht und kontinuierlich verbessert wird“, sagt Bolt-Österreich-Chef Farhad Shikhaliyev. Wie dieser Prozess genau aussieht, bleibt auf Nachfrage der WZ unbeantwortet.

Der Morgenverkehr hat sich beruhigt. Der Taxifahrer ist nach seinem Ausweichmanöver wieder gelassener unterwegs. Aber nicht lang. Er nähert sich der Innenstadt. Zufällig leuchtet das Smartphone wieder auf. Eine neue Nachricht von der Gruppe „Polizei-Radar“: „Polizei beim Opernring“, warnt jemand. Der Fahrer schaltet einen Gang höher. Bei der nächstbesten Gelegenheit dreht er um. Das Spiel geht wieder von vorn los.

Es bleibt die Frage: Warum gehen die schwarzen Schafe das Risiko ein und bieten Fahrdienste ohne Taxischein an? Geht es dabei nur ums Geld? Sind sie so verzweifelt, weil sie keine andere Arbeit finden? Die WZ hat niemanden gefunden, der darüber sprechen wollte.

QOSHE - Uber und Bolt: Schlupflöcher für Taxi-Betrüger - Chiara Swaton
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Uber und Bolt: Schlupflöcher für Taxi-Betrüger

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03.04.2024

Im dichten Wiener Morgenverkehr reihen sich Autos aneinander. Unter ihnen ein weißer Toyota. „Bolt“ steht in großen Buchstaben auf der Fahrertür. Am Armaturenbrett des Taxis vibriert leise ein Smartphone. Eine Nachricht leuchtet auf dem Bildschirm auf: „Achtung, Taxischeinkontrolle beim AKH“. Der Fahrer wechselt die Route. Herzschlag und Adrenalin steigen. Es ist nicht das erste Mal in dieser Woche.

Der WZ liegen Auszüge des WhatsApp-Gruppenchats „Polizei-Radar“ mit fast 400 Teilnehmern vor. Es ist einer von vielen, in denen sich Taxifahrer vor Polizeikontrollen warnen. Viele von ihnen haben keine Taxilenkerberechtigung, dafür einen gefälschten Taxischein. Die meisten beziehen Arbeitslosengeld und gehen offiziell einer geringfügigen Beschäftigung als Taxifahrer nach. Wie viel sie wirklich verdienen, melden sie den Behörden nicht.

„Die sind vernetzt wie richtige Mafiosi. Sie arbeiten 12 bis 15 Stunden pro Tag und mindestens 28 Tage im Monat“, sagt Goran (Name von der Redaktion geändert) gegenüber der WZ. Er ist seit 20 Jahren Taxifahrer in Wien. „Ich kenne so viele. Diese Leute schädigen unseren Ruf und haben unseren Job kaputt gemacht. Sie verdienen viel mehr als wir, die korrekt arbeiten“, sagt auch Taxifahrer Ahmed. Auch er möchte seinen richtigen Namen hier nicht lesen, aus Angst vor beruflichen Konsequenzen.

Goran und Ahmed sind wütend. Sie wissen: Die Fahrdienstvermittler Uber und Bolt tragen zum Problem bei. „Bei Bolt fahren 60 Prozent der Fahrer ohne Taxischein“, sagt Ahmed.

Seit der Zusammenlegung des Taxi- und Mietwagengewerbes im Jahr 2021 müssen alle Taxifahrer:innen im Besitz eines Taxischeins sein – ganz egal, ob sie ihre Aufträge über den Taxistandplatz, eine Funkzentrale oder Vermittlungsapps wie Uber und Bolt abwickeln. Viele Fahrer, die davor........

© Wiener Zeitung


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